/ Die Grubeder anderen
Erstens handelt es sich um einen Befreiungsschlag. Nachdem die Wallonen sich jahrelang anhören mussten, wie schlecht ihre Wirtschaftsleistung, ihre Arbeitsmoral und ihr gesamtes Sozialgefüge seien, haben die Sozialisten durch ihre Äußerungen dem ein Riegel vorgeschoben. Nach dem Motto: „Es reicht jetzt! Wir sind nicht auf euch angewiesen. Wir können es auch allein schaffen.“
In der Tat ist Wallonien zurzeit dabei, die jahrelange wirtschaftliche Misere – die durch den Niedergang der Schwerindustrie hervorgerufen wurde – zu überwinden. Durch die Einführung eines nationalen Marshall-Plans entstehen immer mehr kleine und mittlere, äußerst dynamische Betriebe, die das Bild vom „stets“ sozialabhängigen Wallonen Lügen straft. In diesem Sinne hat die drohende Haltung des PS auch einen positiven Effekt auf die gebeutelte Seele und das Selbstbewusstsein der Menschen dieser Region. Flandern hingegen wurde von der Krise viel stärker getroffen als der Süden, kann also auch nicht mehr in diese Richtung giften wie noch vor Jahren.
Die Tendenz ist gegeben
Die Drohungen muss man aber noch unter einem zweitem Aspekt sehen. Es ist nun mal nicht zu leugnen, dass das föderale Gefüge seit Jahrzehnten aufgeweicht wird. Diese Tendenz ist gegeben und scheinbar unumstößlich. Die Gefahr einer gewollten, oder sei es nur einer herbeigeredeten Auflösung des Landes ist demnach real und im Bereich des Möglichen. Auch wenn die Wallonen dies nicht wollen, so täten sie gut daran, sich darauf vorzubereiten. Schlechte Erfahrungen haben sie diesbezüglich in der Vergangenheit ja bereits gesammelt – man erinnere sich nur an die Aufspaltung der katholischen Universität Leuven samt der Bibliotheksbestände.
Die Gefahr allerdings in diesem Fall ist, dass die Erstellung von Szenarien sich zu einer sich selbst bewahrheitenden Prophezeiung entwickelt. Dadurch werden sich natürlich die Institutionen nicht von selbst auflösen. Es könnte aber dazu führen, dass den Eliten Belgiens sowie der gesamten Bevölkerung die Lust vergeht, die letzten vereinenden sozialen Bande zu kultivieren.
Anders ausgedrückt: Man lebt sich vollständig auseinander, einzig und allein aus dem Grund, weil man herausgefunden hat, dass es möglich ist.
Zu guter Letzt steckt hinter den Aussagen der wallonischen Sozialisten selbstverständlich ein großes Stück politisches Kalkül. Man dreht einfach mal den Spieß um und konfrontiert die flämischen Separatisten, allen voran die Wahlsieger der N-VA um Bart De Wever, mit ihren eigenen Thesen. Die N-VA hat zwar bislang während der Verhandlungen hoch gepokert, um so viele Kompetenzen vom Föderalstaat abzuziehen wie möglich – allerdings noch unter der alten Voraussetzung, dass sie es sind, die immer mit dem Abspaltungsszenario drohen.
Dies gilt nun nicht mehr. Die N-VA muss nun Farbe bekennen. Eine Tatsache, die De Wever größeres Unbehagen bereiten dürfte. Einerseits ist es doch genau dies, was die Hardliner seiner Partei seit jeher fordern. Andererseits dürfte die Partei nicht unbedingt von den vielen Wechselwählern, die ihr den Sieg bei den letzten Wahlen gebracht haben, für eine Abspaltung ein Mandat bekommen haben. De Wever sitzt also in der Zwickmühle. Lässt er die Verhandlungen gänzlich platzen, dann wird ihm und seiner Partei zusätzlich auch noch der schwarze Peter zugeschoben.
Es stellt sich allerdings noch die Frage, ob De Wever und seine Partei den Vorstoß der wallonischen Sozialisten ernst nehmen sollen? Das haben sie bereits am Montag getan, als der Parteivorsitzende der separatistischen N-VA verkündete, er habe die Hoffnung auf ein Abkommen noch nicht aufgegeben. De Wever rettet Belgien? Man kann nur erraten, wie De Wever sich gefühlt hat, als er sich in die Grube der anderen fallen lassen musste, die doch so sehr der ähnelt, die er selber so gern schaufelt.
Sascha Bremer
sbremer@tageblatt.lu
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