Die Gegenrevolution

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Das dritte newtonsche Gesetz besagt, dass jede Aktion auch automatisch eine Gegenkraft erzeugt, die auf die anfängliche Aktion zurückwirkt.

Die politischen Geschehnisse ähneln diesem universellen, physikalischen Prinzip der „actio“ und „reactio“. Nur stellt sich in der Politik immer die Frage, welche Kräfte letztendlich obsiegen.

Die arabischen Revolutionen haben längst bewiesen, dass die Menschen im Falle einer jahrzehntelangen Unterdrückung nicht in Resignation und Fatalismus verfallen, sondern sich früher oder später gegen die Despoten auflehnen und die Spirale der Angst durchbrechen. Auf der anderen Seite birgt jede Revolution das Risiko einer Gegenrevolution.

Diese Dialektik bewährt sich nicht nur in Libyen, wo Gaddafi einen blutigen Krieg gegen das eigene Volk führt und sich mit ungebrochener Sturheit an die Macht klammert, oder in Bahrain und in Syrien, wo die Regime versuchen, die Aufstände niederzuknüppeln. Neben der brutalen Repression werden die Bevölkerungen dort mit leeren Reformversprechungen abgespeist, die die Machthaber ohnehin nicht einhalten werden.

Doch die Resistenz und die Gewalttätigkeit der Regierungen in Nordafrika und im Nahen Osten sind nicht die einzige Bedrohung für den Traum des demokratischen Neuanfangs. Auch in Ägypten stemmen sich die Reformer gegen die Versuche, die Revolution abzuschwächen oder gar abzuwürgen.

Kriminalisierung der Streikbewegung

Die Armee regiert das Land während der sogenannten Übergangsphase. Ihre Prioritäten sind die Stabilität, die Wiederankurbelung der Wirtschaft und die Rückkehr zur Normalität. Deshalb ist die Weiterführung der Streiks – die Ägypter kämpfen nicht nur für Freiheit, sondern auch für soziale Garantien und Lohnerhöhungen – den Generälen ein Dorn im Auge.

Deswegen wird jetzt das Streik- und Demonstrationsrecht bedeutend eingeschränkt. Bei Protesten im privaten und öffentlichen Sektor, die zu einer Einstellung der Arbeit führen, drohen künftig Gefängnisstrafen von bis zu einem Jahr und Geldstrafen von bis zu 500.000 ägyptischen Pfund (umgerechnet 59.400 Euro).

Das Gesetz soll so lange in Kraft bleiben, bis der Ausnahmezustand aufgehoben wird. Auf den ersten Blick hat die Armee zwar ihre Versprechen gehalten, denn sie hat die Verfassung geändert und ein wahrhaft demokratisches Referendum über diese Änderungsvorschläge organisiert. Vor sechs Monaten wäre solch eine Abstimmung noch unvorstellbar gewesen.

Allerdings wurde der seit 30 Jahren bestehende Notstand noch immer nicht aufgehoben und die Kriminalisierung der Streikbewegung erinnert doch beträchtlich an die dubiosen Methoden des Mubarak-Regimes. Die ägyptischen Studenten, Blogger und Intellektuellen prangern das Gesetz als einen Verrat an der Revolution an.

Die Ägypter haben ihren Diktator innerhalb von 18 Tagen verjagt, die wahren Machtkämpfe beginnen aber erst jetzt. Die westlichen Medien scheint es recht wenig zu interessieren, doch die nächsten Monate werden zeigen, welche Rolle die ambitionierten Reformer, die alten Eliten (die immer noch sehr präsent und sehr stark sind) und die Armee im neuen Ägypten spielen werden.

Es ist jedoch auch für den Westen der Zeitpunkt, sich zu entscheiden, welche Kräfte man künftig unterstützen will und ob man im Falle von neuen Freiheitseinschränkungen wieder die Augen vor der Realität verschließen will, oder ob man aus der Vergangenheit lernen und sich eindeutig auf die Seite der Emanzipationsbewegung schlagen wird.