Die CSV gibt sich liberal

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In ihrer gestrigen Ausgabe lieferte die Wochenschrift woxx einen interessanten Beitrag zum „Ende einer Volkspartei“. Betrachtet wird die heutige CSV, dies’ mächtige Geschöpf des Jean-Claude Juncker mit 26 von 60 Sitzen im Parlament.

Die woxx-These lautet dahin gehend, dass die Wahl von Lucien Thiel zum Schiltz-Nachfolger eine politische Entscheidung wäre: Dieser Fraktionschef sei kein Vermittler mehr zwischen dem wirtschaftsliberalen und dem gewerkschaftsnahen Flügel. Er habe den Auftrag, den „klaren Wirtschaftskurs der CSV bis in den linken Flügel hinein zu stabilisieren“.

Darin, in der offensichtlichen Stoßrichtung, erkennt der woxx-Analyst eine quasi historische Abkehr vom bisherigen Erfolgskonzept der im Ursprung christkatholischen Konservativen, die in allen Bevölkerungsschichten und -klassen wurzeln wollen.

Mit Verlaub, wir sehen das ganz anders.
Wir deuten das Signal, das die CSV mit dem Fraktionssprecher Thiel an die Kapitäne der Luxemburger Finanz- und Wirtschaftskreise und sogar an die undefinierbar gewordene Kategorie „Mittelstand“ sendet, als Ausdruck des strategischen Willens, die Idee Volkspartei bis in das Kern-Stimmenreservoir der DP hineinzutragen.

Nachdem, in einer ersten Phase, unter dem Impuls des begnadeten Juncker, die Sozialisten einen wesentlichen Teil ihrer Klientel an die CSV abgeben mussten, weil sie sozial gerechter schien und auftrat, wird nun die DP-Klientel visiert. Warum sollte sie sich nicht halbieren lassen, wie die LSAP, die 1984 noch auf Augenhöhe mit der CSV verhandeln konnte?
„Wir sind die besseren Sozialisten!“, ließ Juncker gebetsmühlenartig verbreiten, und er tat es umso überzeugender, als seine roten Gegenspieler zuweilen glaubten, sich als die strengeren Manager bewähren zu müssen.

Der soziale Ruf der CSV wird trotz eines CSV-Fraktionschefs Thiel unbeschädigt bleiben, weil Juncker ihn, diesen Ruf, zu jeder Zeit brillant verteidigen kann, mit dem Verweis auf seinen persönlichen Einsatz, der sich aus seiner Herkunft (Minette, Schmelzarbeiterkind) ergibt, und auf die Verbindungen zur Kirche, der es ja zu glücken scheint, die Betrogenen zu trösten: Nach dem irdischen Leben kommt das himmlische, und dann findet Gerechtigkeit statt.

Thiel, ein Gesinnungs-Liberaler (vielleicht ohne DP-Karte) sein ganzes Berufsleben lang, ob als Journalist und als Direktor der Bankenvereinigung, oder vielleicht sogar als CSV-Abgeordneter noch, kann sich überhaupt nicht vorstellen, dass er nur eine Figur auf dem Schachbrett wäre.
Er mag tatsächlich glauben, Juncker hätte ihn wegen seiner spezifischen Fachkenntnisse auf die CSV-Liste gehievt und nicht wegen seiner Reputation in den naturgemäß wirtschaftsliberalen Finanz- und Industriekreisen, aus welcher sich Stimmenkapital schlagen lässt.

Es fehlen nur 5 Sitze

Und die DP mag tatsächlich glauben, Thiel, ihr eifriger Ratgeber während Jahrzehnten, sei lediglich ein gekaufter Verräter, den man ignorieren sollte, es sei denn, er könnte nach der nächsten Wahl als Brückenbauer fungieren, ja warum nicht, eigentlich?
Arme DP. Nix kapiert hast du.
Eine in gegenwärtiger Zeit wirtschaftsliberal ausgerichtete CSV wird, weil sie ihre sozialpolitische Berufung nicht leugnet, sondern nur der leider grausamen Realität unterwirft („Kann ein Land von der Größe Luxemburgs, das über keine Werkzeuge verfügt, das System verändern?“), ihr neues Aushängeschild ins Revier der DP tragen und in Beton verankern.

Thiel ist überall, wo er auftritt, der überzeugendere Liberale.
Am Ende könnte Juncker mit Thiel eines seiner Lebensziele erreichen. Nämlich die absolute Mehrheit für die CSV. Es fehlen im dazu, nach dem schon geglückten Downsizing der LSAP, nur 5 Sitze.