Der Unterschied

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Sonntag, 11.00 Uhr, in einem Vorort von San Francisco. Zwischen dem altehrwürdigen Candlestick-Park-Stadion und dem Pazifik liegt nur ein riesiger Parkplatz. Um 13.15 Uhr empfangen die San Francisco 49ers am 10. Spieltag der National Football League die Rams aus St. Louis, rund 70.000 Fans sind gekommen. Für Europäer ist nicht nur das Geschehen auf dem...

Philip Michel
pmichel@tageblatt.lu

Auf dem Parkplatz stehen die Pick-ups und Jeeps Seite an Seite. Ihre Besitzer haben davor ihre Party-Zelte aufgebaut. Unter denen stehen gasbetriebene Barbecue-Grills, Flatscreens, Musikboxen und improvisierte Kneipen-Theken. Eine gigantische Party in einem Land, in dem der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit eigentlich verboten ist. Alles im Übrigen nur zum Selbstverzehr. Verkauft wird nichts, höchstens verschenkt.

Für den Verkauf ist im Stadion die „Organisation“ zuständig. So nennen sich ganz unprätentiös die Vereine, die wie Wirtschaftsunternehmen geführt werden und deren Besitzer neben Imagegewinn vor allem Profit im Sinn haben. Die Eintrittspreise sind ebenso horrend wie Getränke- und Essenspreise, die Stadien trotzdem stets ausverkauft. Das Merchandising wird mit einem großen „M“ geschrieben. Es gibt fast alles, alles ist teuer … und ungeheuer begehrt.

Die 49ers gewannen das Spiel in der Verlängerung. Ein Unentschieden gibt es im US-Sport nicht, es muss immer einen Sieger und einen Verlierer geben. Die Verlierer waren im Candlestick Park recht zahlreich erschienen, da die Rams ursprünglich aus Los Angeles stammen und irgendwann von ihren Besitzern ins tausende Kilometer entfernte St. Louis transferiert wurden, weil es dort bessere Verdienstmöglichkeiten in Form eines neuen Stadions gab. Die Rams-Fans verließen enttäuscht, aber friedlich das Stadion. Sie hatten genau wie die Anhänger der Heimmannschaft eine „good time“, also eine „gute Zeit“ beim American Football verbracht.

Europäische Verbissenheit

Dagegen steht der Besuch eines Fußballspiels in Europa im krassen Widerspruch. Hier geht es scheinbar meistens um Leben und Tod. Krawalle und Sitzblockaden sind nach Niederlagen keine Seltenheit, eine aggressive Stimmung im Stadioninneren meist im (gemäßigten) Eintrittspreis inklusive. Verbissenheit ist das Schlagwort. Vor, während und nach dem Spiel.

Dabei geht es im Grunde genommen um das Gleiche wie in San Francisco. Nämlich um Sport, aber v.a. auch um Unterhaltung, und natürlich um viel Geld. Der Unterschied ist der Umgang mit diesem Wissen.

Die Amerikaner haben ein ziemlich unverkrampftes Verhältnis zum Profisport. Er wird konsumiert und mit „salary cap“ (Gehalts-Obergrenzen für ein Team) oder „draft system“ (schwächere Teams dürfen die besseren Nachwuchsspieler verpflichten) im Gleichgewicht gehalten. Der Fan ist demnach Konsument und wird auch so behandelt. Einen Sportanhänger in Europa Konsument zu nennen, würde derweil an Majestätsbeleidigung grenzen.

Die Mentalitätsunterschiede finden sich auch in der Dopingdiskussion wieder. In den USA ist Doping kein wirkliches Thema. Vielmehr wird die unerlaubte Leistungssteigerung stillschweigend als nicht zu vermeidende Nebenwirkung des Profisports angesehen. Wie im Fall der einstmals schnellsten Frau der Welt, Marion Jones, wird ein Meineid wesentlich stärker sanktioniert als Betrug mittels Doping.

Auch bei Lance Armstrong geht es vordergründig nicht um das unlautere Verhalten einer Radsportlegende, sondern vielmehr um die Verstrickung eines Staatsbetriebs in die Machenschaften.

Ob das die richtige Einstellung im Kampf gegen die Auswüchse des Hochleistungssports ist, sei einmal dahingestellt. Verlogen scheint das Denken der Amerikaner in Sachen Sport jedenfalls nicht, eher realistischer – weshalb Doping, Geld und Image vor dem Party-Zelt am Candlestick Park nun wirklich keine Rolle spielen.