/ Der Nachweis des Puddings
Das Kernkraftwerk Cattenom, so erzählt man uns, wurde so gebaut, dass es ein Beben verkraften kann, das zweimal so stark ist wie das schlimmste, das jemals in unseren Breiten gemessen worden sein soll. Wunderbar. Aber weiß das nächste Beben eigentlich, dass es sich an diese Obergrenze zu halten hat? Wenn man den Franzosen Glauben schenken darf, kann es hieran natürlich nicht den geringsten Zweifel geben.
Francis Wagner, fwagner@tageblatt.lu
In der Tat: Vor 25 Jahren hatte der französische Staatspräsident – damals ein gewisser Mitterrand, François – den Befehl gegeben, der Tschernobyl-Wolke die Einreise ins Hexagon zu verweigern. Und wie wir alle wissen, blieb sie denn auch schön brav in Schengen, an der Goldenen Bremm, in Kehl und in Basel stehen. Genau so soll es mit dem nächsten „Big One“ an der Mosel sein: Es wird die Konstruktionsnormen Cattenoms nicht überfordern, allein schon deswegen, weil gerade diese Normen dergleichen nicht erlauben. Wie beruhigend! Leider birgt der Verweis auf derlei Vorschriften einen grundsätzlichen Denkfehler.
Das Bestehen einer theoretischen Norm bietet nämlich im praktischen Ernstfall keinerlei Erfolgsgarantie. Mehr als eine Brücke, die für eine Last von beispielsweise 1.000 Tonnen berechnet worden war, ist am Ende unter der Resultierenden der verschiedensten Faktoren bereits unter einer Masse von nur 750 Tonnen zusammengebrochen. Eine andere 1.000-Tonnen-Brücke mag aber über Jahre hinweg 1.750 Tonnen klaglos weggesteckt haben.
Wie sagt der Brite so schön: „The proof of the pudding is in the eating.“ Übersetzt: Ob ein Versprechen wahr ist oder nicht, weiß man leider meist erst im Nachhinein.
Die faule Brücke und der Super-GAU
Und genau hier liegt der grundsätzliche Unterschied in Sachen technisches Risiko zwischen einer, sagen wir mal Zeitungsdruckerei und einem Atomkraftwerk: Wenn in der Druckerei wichtige technische Komponenten den Dienst versagen, erscheint schlimmstenfalls am nächsten Tag keine Zeitung. Die übergroße Mehrheit der Menschheit wird mit einiger Sicherheit diese unfassbare Tragödie überleben, ohne jemals erfahren zu haben, dass sie überhaupt stattgefunden hat.
Wenn aber in einem AKW infolge eines Super-GAU die Schutzhülle in Trümmer sinkt und die Natur im Umkreis von Hunderten Kilometern atomar verseucht wird, dann sind diese kontaminierten Landstriche auf Jahrzehnte, wenn nicht gar auf Jahrhunderte hinaus nicht mehr für die menschliche Besiedlung geeignet. Anders formuliert: Wenn Cattenom einmal in die Luft fliegen sollte – was es laut offizieller Propaganda natürlich niemals tun kann –, dann ist Luxemburg in seiner jetzigen Form „Toast“.
Weil die Risiken der Atomtechnik um etliche Dimensionen größer sind als das, was uns beim Brückenbau oder im Zeitungsdruck so blühen kann, muss bei dieser Technik auch das Vorsichtsprinzip unbedingt mit ungleich größerer Konsequenz angewendet werden.
Die Atomlobby erzählt uns nun, dass die japanischen AKWs durchaus dem Beben standgehalten haben, aber dass es halt der fiese Tsunami war, der die Katastrophe heraufbeschworen hat. Aber genau dies ist ja nun keine Entschuldigung: Wir wissen nun, dass die Tepco-Ingenieure gerade dieses Risiko sträflich vernachlässigt hatten, sie hatten es ganz einfach nicht auf ihrem Radarschirm.
Aber wissen wir hier in Lothringen, im Saarland und in Luxemburg eigentlich, welche Risiken die Leute in Cattenom nicht auf dem Radarschirm haben? Wie sollten wir!
Natürlich: Ein risikofreies Leben ist nicht zu haben. Es ist nicht einmal wünschbar.
Shit happens. That’s for sure.
Aber wenn in einem Kohlekraftwerk der Dampfkessel explodiert, dann ist dastragisch, doch das Leben geht weiter. Nach einem Super-GAU hingegen geht das Leben eben nicht weiter, weil es in weitem Umkreis um den Unfallort schlicht unmöglich wird. Ob uns die Aussicht auf vorgeblich billige Energie dieses Risiko wert sein sollte, müsste in ganz Europa Gegenstand einer ernsthaften Diskussion sein, bei der halt nicht nur die Argumente der Atomindustrie gehört werden sollten.
- CDMH-Affäre: Gemeinderat will Untersuchungs-Ergebnisse abwarten - 23. März 2024.
- Reminder-Brief an Gloden: Gemeinderat fordert erneut Aufklärung über Polizeiabzug - 23. März 2024.
- Abgeordnete beschließen Budget von 362 Millionen Euro für Europaschule in Junglinster und Lyzeum in Bonneweg - 20. März 2024.