Der Machtfaktor

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Als vor 54 Jahren die beste Vereinsmannschaft im europäischen Fußball in Luxemburg gastierte, war sich wohl kaum einer der rund 19.000 Zuschauer im Stadion an der Arloner Straße der Tragweite dieser Partie bewusst.

Sportlich hatte Jeunesse Esch dem großen Real Madrid um Alfredo di Stefano und Ferenc Puskas beim 2:5 im Zweitrunden-Rückspiel des Europapokals der Landesmeister die Stirn geboten. Wichtiger als die gute Vorstellung mit zweimaliger Führung war für die Escher neben dem internationalen Renommee der Nettogewinn von 620.000 Franken aus der Organisation dieses Spiels. Eine für die damalige Zeit exorbitante Summe, mit der man in den folgenden Jahren den Grundstein für die sportliche Dominanz im Luxemburger Fußball legte.
Was früher der Europapokal der Landesmeister war, heißt heute Champions League und hat mit seinem Vorgängerwettbewerb nur noch recht wenig gemeinsam. Denn vor 20 Jahren wurde mit dem neuen Europapokalformat der moderne Fußball geboren, wobei modern mit kommerziell gleichgesetzt werden kann.
Heute dürfen bis zu vier Mannschaften aus einem Land teilnehmen, so dass seit der Einführung der Champions League bereits acht Mannschaften den Wettbewerb gewonnen haben, die in der Vorsaison in ihrem eigenen Land den Meistertitel nicht erringen konnten. Das gilt auch für die beiden letzten Sieger, wobei der aktuelle Titelträger Bayern München dank der Champions League in dieser Saison um 70 Millionen Euro reicher wurde.

Philip Michel pmichel@tageblatt.lu

Reich und Arm

In Anbetracht derartiger Unsummen ist ersichtlich, dass die Champions League zum beherrschenden Machtfaktor im europäischen Fußball geworden ist. Wer regelmäßig an ihr teilnimmt, der hat auch gute Chancen, die nationale Meisterschaft zu dominieren. Die Kluft zwischen Reich und Arm wird immer größer, es entsteht eine Zweiklassengesellschaft. Eine traurige Parallele zur realen Welt, die im Falle des Sports zu einem ungleichen Wettbewerb führt.
Geld schießt Tore, und die Champions League ist der sicherste Weg, an Geld zu kommen. Der europäische Fußballverband UEFA setzte in dieser Saison allein mit diesem Wettbewerb 1,3 Milliarden Euro um.
Davon profitieren auch die Luxemburger Vereine. Die „crème de la crème“ des europäischen Vereinsfußballs wird in den nächsten Wochen in Luxemburg ihre fußballerische Visitenkarte abgeben: Dinamo Zagreb, Milsami Orhei, KF Laçi und Turku PS heißen die diesjährigen Europapokalgegner. Immerhin sind die Kroaten aus Zagreb durchaus eine internationale Hausnummer, den Rest kennen aber wohl nur die Spezialisten unter den Spezialisten.
Dass Spiele gegen Real Madrid für Vereine aus dem Großherzogtum nicht mehr möglich sind, auch das ist eine direkte Konsequenz der Kommerzialisierung des Fußballs. Die kleinen Nationen bleiben in den ersten Qualifikationsrunden in der Regel unter sich. Entschädigt werden die Klubs dafür mit einem stattlichen Startgeld, womit für die Luxemburger Vereine dasselbe gilt, was auch für Bayern München gilt: Wer national eine wichtige Rolle spielen will und keinen finanzstarken Mäzen im Rücken hat, der muss an die internationalen Fleischtöpfe ran.
Was, siehe Jeunesse – Real Madrid, keine allzu neue Erkenntnis ist. Mit dem Unterschied allerdings, dass es vor 54 Jahren kein Antrittsgeld gab. Und so hätte das große Spiel, das nicht nur die Vereinschronik, sondern den gesamten Luxemburger Fußball prägte, um ein Haar nie stattgefunden. Die Escher hatten aus finanziellen Gründen ernsthaft erwogen, nicht zum Erstrundenduell gegen den polnischen Meister Lodz anzutreten. Sie taten es dann doch und setzten sich (5:0, 1:2) durch. Wie sich die Zeiten doch ändern, und dann auch wiederum nicht.