/ Der böse Hirte
Dass wegen der rezenten Skandalmeldungen über den Kindesmissbrauch durch Kirchenvertreter die Zahl derer, die dem Verein den Rücken kehren wollen, noch erheblich ansteigen könnte, steht außer Frage.
Und so wundert es nicht, dass sich Generalvikar Mathias Schiltz vergangene Woche in Schadensbegrenzung üben wollte. Freiwillig gezwungen sozusagen, preschte die Kirche nach vorn, denn schließlich rückten die vermeldeten Ungeheuerlichkeiten immer näher ans Marienland.
Während in den USA schon seit den 1990er Jahren Zigtausende Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch geistliche Würdenträger bekannt wurden (was wegen der „Du zahlst – Ich schweige“-Kultur der Amis zum Bankrott etlicher Diözesen geführt hat), kannte die Kirche in Europa noch eine Schonfrist.
Doch die ist jetzt um: Das Tabu, das jahrzehntelang dafür sorgte, dass die „bösen Hirten“ im schlimmsten Fall damit rechnen mussten, innerhalb der Kirche versetzt zu werden und (in den allermeisten Fällen) keine strafrechtliche Verfolgung befürchten mussten, ist endlich gebrochen.
Weil immer mehr Missbrauchsfälle aus europäischen Ländern an die Öffentlichkeit – und immer näher an die Grenzen des Großherzogtums – dringen, sah sich das Luxemburger Erzbistum unter Zugzwang gesetzt. Der Stellvertreter des Erzbischofs stellte in der hauseigenen Postille fest, dass „Luxemburg keine Insel“ sei: „In den mehr als 43 Jahren, in denen ich in der Bistumsverwaltung tätig bin, sind mir weniger als zehn Fälle zu Ohren gekommen.“
Gleichzeitig relativierte Schiltz seine Aussage umgehend: „Wenn ich sage Fälle, dann betrifft dies nicht die schwer zu beziffernde Zahl der Opfer, sondern jene der verdächtigten Personen.“ Und er meine nicht, „dass man von einem wirklichen Schneeballeffekt in Luxemburg ausgehen kann, d.h. dass man die von mir erwähnte Zahl von weniger als zehn Verdachtspersonen jetzt mit zehn oder 100 multiplizieren müsste“. Um dann aber doch noch zu betonen: „Natürlich ist man nie vor Überraschungen gefeit.“
Der Generalvikar gibt, so gesehen, in dem Wort-Interview zu, dass er – und damit auch seine diversen Vorgesetzten, Lommel, Hengen und Franck – „in den mehr als 43 Jahren“ geschwiegen hat (die meisten Fälle wurden kirchenintern geregelt, nur in drei kam es zu einem Gerichtsverfahren), was rein rechtlich den Tatbestand der „non-assistance à personne en danger“ erfüllt.
Einmal abgesehen davon, wie man so etwas mit seinem Gewissen, sofern man denn eins hat, vereinbaren kann.
Den Bock zum Gärtner machen
Schiltz kündigte in dem Interview aber auch noch die Schaffung einer Anlaufstelle für Missbrauchsopfer an. Dass dieses Vorhaben außerhalb der Kirche auf wenig Gegenliebe stößt, ist allzu verständlich.
Selbst wenn des Erzbischofs Stellvertreter betont, dass das Gremium nicht nur aus Kirchenleuten, sondern aus „Psychologen, Juristen, Medizinern, Theologen, Kirchenrechtlern usw.“ bestehen soll, bleibt das ungute Gefühl, dass man hier den Bock zum Gärtner machen möchte, um weiterhin die Kontrolle darüber zu behalten, was an die Öffentlichkeit gelangen darf und was nicht.
Denn wieso eigentlich sollte man einer moralischen Instanz Vertrauen schenken, die dieses Vertrauen bisher scham- und gnadenlos ausnutzte?
François Besch
fbesch@tageblatt.lu
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