Das „Opfer“ Berlusconi

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Die Anhänger des verurteilten ehemaligen italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi sowie dieser selbst sind dabei, alle Register zu ziehen, um Druck auf die Regierung und den Staatspräsidenten auszuüben, damit der "Cavaliere" sich seiner Strafe entziehen kann.

Demonstrationen, Rücktrittsdrohungen von Ministern und Kündigung der Koalition – ja sogar die Drohung, Italien riskiere einen Bürgerkrieg, wurde am Sonntag von einem ehemaligen Minister der Berlusconi-Partei Volk der Freiheit (PdL) ausgestoßen. Dabei bekommt auch die Justiz ihr Fett weg, was eigentlich nichts Sonderbares ist. Der nunmehr Verurteilte hat selbst während seiner Regierungszeit immer wieder die italienischen Richter der Parteilichkeit und Inkompetenz bezichtigt. Allerdings nur, wenn wieder eine seiner vielen Affären vor den Gerichten anhängig war. Dann bestand die italienische Justiz insgesamt nur aus „roten Roben“, die nichts anderes im Sinn hätten, als ihn zu verfolgen.

Guy Kemp gkemp@tageblatt.lu

Somit ist die Opferrolle, in der sich der ehemalige Regierungschef nun wähnt, seit langer Zeit vorbereitet worden. Denn Silvio Berlusconi musste damit rechnen, dass er früher oder später einmal verurteilt werden würde, bei der Anzahl an Verfahren, die bisher gegen ihn liefen und weiter laufen. Nur deshalb versuchte er, als Ministerpräsident ein Gesetz durchzubringen, mit dem er für einen solchen Fall straffrei ausgehen würde. Manche behaupten gar, dass das seine größte Motivation gewesen sei, in die Politik zu gehen.

Unterentwickeltes Rechtsbewusstsein

Doch treibt ihn mehr als das. Er will, nachdem er als Unternehmer, mit welchen Methoden auch immer, erfolgreich war, auch als Staatslenker reüssieren. Dass ihm das allerdings wenig gelungen ist, zeigt der Umstand, dass sich Italien derzeit in einer prekären wirtschaftlichen Situation befindet, die auch auf das politische Unvermögen des im November 2011 zurückgetretenen Ministerpräsidenten Berlusconi zurückzuführen ist. Jetzt aber ist Berlusconi erst einmal Opfer und lässt sich auch als solches von seinen Anhängern feiern, wie eben am Sonntag bei einer Demonstration vor seiner Residenz in Rom. Die Hingebung, mit der manche bei der Verteidigung des „Cavaliere“ ans Werk gehen, hat doch eher den Anschein, als würde hier einem orientalischen Despoten gehuldigt. Da interessiert es wenig, weshalb Berlusconi verurteilt wurde, nämlich wegen Steuerbetrug und damit Betrug am eigenen Volk, für das er doch vorgibt, sich hingeben zu wollen. Doch geht es vermutlich manchem der PdL-Politiker, die sich jetzt so stark für ihren Vorsitzenden einsetzen, vielmehr um die eigene Haut. Denn es ist der Chef, der die Stimmen für die Partei rafft, die es einem Großteil der PdL-Abgeordneten erlauben, in Amt und Würden zu sein.

Die Reaktionen auf das Urteil des Kassationsgerichtes vergangene Woche gegen Silvio Berlusconi sind ein Beleg dafür, wie unterentwickelt das Rechts- bzw. Unrechtsbewusstsein in weiten Teilen der politischen Klasse Italiens, aber auch bei den Wählern, ist. Dieses wird von Berlusconi selbst genährt, der sich ungerecht behandelt fühlt, wo er doch als Unternehmer und Politiker so viel für sein Land getan habe. Dass aber das Gesetz dennoch eingehalten werden muss und nicht selektiv angewandt werden kann, diese Einsicht scheint nicht nur dem „Cavaliere“ bislang abzugehen.