Bouger „citoyen“

Bouger „citoyen“

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Das französische Konzept des "Citoyen" geht über das, was man in der deutschen Sprache gemeinhin einfach unter „Bürger“ versteht, deutlich hinaus.

Im Gefolge der Französischen Revolution ist der „Citoyen“ nämlich der mündige Bürger, der von der Vormundschaft durch den Absolutismus befreite und daher – im Rahmen der Gesetze der Republik – über sein eigenes Handeln souveräne und selbstredend auch dafür verantwortliche Bürger.

Francis Wagner fwagner@tageblatt.lu

Der mündige Bürger handelt verantwortungsbewusst: Er richtet sein Handeln entsprechend dem kategorischen Imperativ Kants idealerweise nicht nur am eigenen Vorteil, sondern auch und gerade am Wohl der Allgemeinheit (und damit letztlich wiederum seinem eigenen) aus: Der mündige Bürger handelt verantwortungsbewusst, indem er Rücksicht nimmt. Rücksicht auf die anderen Citoyens und auf die Umwelt, die unsere Lebensgrundlage bildet.

Gerade deswegen hat die Vereinigung der französischen Politiker und Beamten, die für den öffentlichen Transport zuständig sind, der GART ( www.gart.org ), den öffentlichen Transport unter das Motto „bouger ‚citoyen'“ gestellt: Der mündige, verantwortungsbewusste Bürger nimmt Rücksicht auf die Allgemeinheit, indem er möglichst oft Bus, Bahn und Tram benutzt. Eine Entscheidung, die ihm nicht zuletzt deswegen erleichtert wird, weil sie sich summa summarum auch zu seinem eigenen Vorteil auswirkt.

In der Schweiz, einem Land, in dem der Bürgersinn ziemlich stark ausgeprägt ist, ist den Citoyens der Gebrauch des öffentlichen Transportes längst in Fleisch und Blut übergegangen: In der Finanzmetropole Zürich, die Luxemburg in vielem ähnlich ist, benutzen auch Führungskräfte („Cadres“) aus Banken und Verwaltung mit großer Selbstverständlichkeit den öffentlichen Transport.

Zu aller Vorteil

Die hohe Akzeptanz des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) quer durch die Bevölkerungsschichten trägt deutlich zur anerkannt hohen Lebensqualität in den schweizerischen Ballungsräumen – aber auch auf dem „flachen Land“ – bei.

Luxemburg hat auf diesem Gebiet noch mit einem ziemlich tief verwurzelten Mentalitätsproblem zu kämpfen: Bei uns gilt der öffentliche Transport, gerade unter den „Stacklëtzebuergern“, mehrheitlich noch als das notgedrungene Transportmittel der „Vier A“ – „Arme, Ausländer, Auszubildende, Arbeitslose“. Etwas, dessen Gebrauch ein Bürger, der was auf sich hält, aus Prestigegründen und schierer Unkenntnis nach Kräften meidet (selbst auf die Gefahr hin, sich langfristig dabei selbst in den Fuß zu schießen). In großen Teilen des übrigen Europa ist man intellektuell doch schon etwas weiter entwickelt: Der öffentliche Transport gilt dort durchaus auch für gut Verdienende (die liebend gern darauf verzichten, zweimal täglich in der Rushhour wertvolle Zeit in unproduktiven und kräftezehrenden Staus zu vergeuden) als sinnvolle und halt eben auch als sozial verträgliche Alternative zum Individualtransport.

Dem öffentlichen Transport kommt aber auch zunehmend eine soziale Komponente für die traditionelle Mittelschicht zu: Im Laufe der vergangenen zwei Jahre hat sich in der Tat der Rohölpreis vervierfacht.

Es steht zu befürchten, dass selbst im reichen Luxemburg sich immer weniger Leute den uns so lieb gewordenen Individualtransport à gogo so ohne Weiteres werden leisten können (denn das Haus will ja auch abbezahlt werden!).

Nun ja, vielleicht wird es ja morgen schon Elektroautos satt geben. Aber: Auch Strom gibt es nicht für lau. Zudem wird die dafür notwendige Infrastruktur so bald wohl nicht flächendeckend verfügbar sein. Und vor allem: Elektroautos versumpfen letztendlich ebenso kläglich in Staus wie ihre petrolbetriebenen Vorgänger: Die (durchaus vielversprechende) Antriebsart verschafft einem da leider grundsätzlich keinerlei Vorteil!

Auch deshalb ist es für den Wirtschaftsstandort Luxemburg von zentraler Bedeutung, dass wir konsequent einen öffentlichen Transport aufbauen, der einem möglichst großen Anteil der Bevölkerung erlaubt, sich effizient und komfortabel fortzubewegen, ohne dabei die Interessen von Allgemeinheit und Umwelt zu vernachlässigen.