Beben

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Die internationale Hilfsbereitschaft ist überwältigend, genauso das Ausmaß der Katastrophe. Nein, die Reihenfolge ist schon richtig gewählt. Bereits vor fünf Jahren, als ein Tsunami ganze Landstriche in Südostasien überflutete und Hunderttausende Menschenleben dahinraffte, setzte eine internationale Welle der Solidarität ein. Das Szenario wiederholte sich vergangene Woche.

Weltweit agierende Hilfsorganisationen mobilisierten gleich nach Bekanntwerden der Naturkatastrophe ihre Kräfte. Ein gut geölter Mechanismus setzte sich in Bewegung. In Luxemburg brach gleich am Abend eine 17-köpfige Rettungsmannschaft auf. Ihre Mission: Zusammen mit anderen Rettungshelfern nach etwaigen Überlebenden suchen.
In der Zwischenzeit erklangen die ersten Spendenaufrufe. Die Medien veröffentlichten drei, fünf, sieben und mehr IBAN-Nummern. Wobei man sich die naive Frage stellen musste, warum nicht eine einheitliche Sammelstelle für Geldspenden geschaffen wurde. Warum keine Koordination?
Doch dieser Mangel an Koordination schmerzt wohl weniger als jener vor Ort. Tatsächlich stockte die internationale Hilfsmaschinerie in den ersten Tagen wegen der chaotischen Verhältnisse in Port-au-Prince.
Nur zwei Bagger stünden zur Verfügung, beklagte sich der Bürgermeistersekretär des zerstörten Städtchens Léogâne am Sonntagabend vor einem deutschen Fernsehteam. Bagger, die Betonteile mit menschlichen Überresten aus den Trümmern fischen. Journalisten drangen schneller in die Stadt vor als die Hilfskonvois.
Fast jedes große Medienhaus delegierte seine Teams nach Haiti. Um von dort dieselben Schreckensbilder zu senden wie die Kollegen von der Konkurrenz: Bilder der aus den Trümmern geborgenen Überlebenden; Bilder verzweifelter, durch die Straßen irrender Überlebender oder, wie am Sonntagabend gesehen, Bilder von einer angeblichen, zaghaften Rückkehr zur Normalität, bloß weil in einzelnen Straßen einige Verkaufsstände aufgerichtet worden waren. Wer sich die teure Reise ins Katastrophengebiet nicht leisten konnte, schickte sein Team auf das Flugfeld, wo die Rettungsmannschaften aus Haiti zurückkehrten.
Die Mediatisierung des fremden Unglücks nahm auch dieses Mal fast perverse Züge an. Da zeigt sich ein bekanntes Schauspielerpaar vor Ort, spendet eine Million Dollar für die gute Sache. Die Bilder der Schönen kamen ins TV, in die Zeitung, ins Internet. Die Reichen mit dem großen Herzen. Oder steckte nicht doch mehr dahinter? Eine weltweite Werbekampagne hätte das Vielfache gekostet. Brutal und zynisch mag das klingen.

Das 30-Fache der Haiti-Hilfe

Na und? Luxemburgs Regierung selbst lieferte vergangene Woche ein Beispiel knallharter Realpolitik. Da beschließt sie innerhalb weniger Stunden eine 700.000 Euro schwere Soforthilfe für Haiti und einen 20 bis 30 Millionen Euro hohen Zusatzkredit für den Kauf eines Militärflugzeugs – das 30-Fache des Haiti-Subsids.
Man kennt die Erklärung: Das Flugzeug werde in Zukunft auch für humanitäre Einsätze benötigt. Was wohl zutreffen mag. Aber die zusätzlichen Millionen werden auch dazu dienen, Europas Flugindustrie weiter Auftrieb zu geben. Würden Luxemburg und die anderen Kunden des A400M die Übernahme der Zusatzkosten verweigern, der Traum vom modernen europäischen Transporter wäre ausgeträumt.
An diesem Auftrag werden die Staatsbudgets der betroffenen Staaten länger zu tragen haben als an der Hilfe für Haiti. Die massive Solidaritätswelle, finanziell wie auch medial, wird genauso schnell abebben, wie sie sich in den ersten Stunden nach dem Erdbeben aufgebaut hat. Beschämend.

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Lucien Montebrusco
lmontebrusco@tageblatt.lu