Auf Konfrontationskurs

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(Tageblatt)

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Der Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei wankt

Die Uneinigkeit der EU-Staaten und ihre Unfähigkeit, die Flüchtlingskrise gemeinsam zu lösen, hat dazu geführt, dass sie sich in die Hände des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan begeben haben. Dieser nutzt diese Gelegenheit jetzt voll aus – nicht nur, um seine Macht im Lande zu konsolidieren und sich selbst als den großen Verteidiger der türkischen Interessen in den Mittelpunkt zu stellen. Nebenbei führt er die Europäer in einer Weise vor, als wären sie ein nicht sehr ernst zu nehmendes Anhängsel des asiatischen Kontinents. Das alles reiht sich willkommenermaßen in Erdogans Streben ein, in der Türkei ein Präsidialsystem zu errichten. Mit eben ihm als starkem Mann am Bosporus.

gkemp@tageblatt.lu

Klarstellung überfällig

Bei dem Konfrontationskurs, den der türkische Präsident gegenüber den Europäern eingeschlagen hat, werden vor allem die Flüchtlinge die Leidtragenden sein. Denn aus dem Umfeld Erdogans wurde bereits angekündigt, die Flüchtlinge wieder loszuschicken, übers Meer, versteht sich, wo sie bewusst der Gefahr ausgesetzt werden, zu ertrinken. Die Schuld dafür wird dann auf die Europäer geschoben, zum einen, da sie nicht rechtzeitig die Menschen in den Schlauchbooten gerettet haben. Zum anderen, weil sie offenbar so stur waren, an ihren Forderungen festzuhalten, die sie den Türken als Gegenleistung für eine Visa-Liberalisierung auferlegt haben.

Den Schwarzen Peter scheint das Europäische Parlament in der Hand zu haben, denn schließlich sind es die EU-Abgeordneten, die sich weigern, das Dossier der Visa-Liberalisierung für türkische Staatsbürger zwecks baldiger Verabschiedung in Angriff zu nehmen. Dabei tun die EP-Abgeordneten nichts anderes als sich an die Abmachung zu halten, die da lautet, dass Ankara alle 72 Kriterien zu erfüllen hat, so wie alle anderen Staaten, denen von der EU eine Visa-Liberalisierung zugestanden wird. Auffallend zurückhaltend verhalten sich der EU-Ratspräsident Donald Tusk und andere sonst gerne tonangebende EU-Staats- und Regierungschef zur Weigerung Erdogans, sich an die Abmachungen zu halten.

Eigentlich ist eine Klarstellung längst überfällig. Doch dann müssten sich die Europäer auch den Konsequenzen stellen und wieder eine eigene Lösung für die Flüchtlingskrise finden. Daran wollen sich allerdings eine Reihe von hauptsächlich osteuropäischen EU-Staaten nicht beteiligen. Insofern dürfte der Umstand, dass der mit der Türkei ausgehandelte Flüchtlingspakt ins Wanken gerät, manche EU-Staaten wieder daran erinnern, dass sie sich ihrer Verantwortung stellen müssen. Möglicherweise lassen sich die katholischen Polen und Ungarn von den Worten des Papstes beeindrucken, der während der Verleihung des Karlspreises vor einer Woche die Europäer dazu aufgefordert hat, wieder mehr Humanität zu zeigen, solidarisch zu sein und großzügig. Die Orbans, Kaczynskis und Szydlos haben nun die Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, wie ernst es ihnen mit der Verteidigung ihrer (Glaubens-)Werte ist.