Auf dem Weg in die Moderne

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(dpa)

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Zugegeben: Regierte noch die CSV (mit diesem oder jenem kleinen Partner), hätte der Erzbischof weniger Sorgen.

Seine Kirchen würden zwar nicht voller, und das Volk auch nicht katholischer, aber die Chancen, unangenehme politische Reformen zu vermeiden, stünden besser.
In einem ganzseitigen Interview, das er Le Quotidien gewährte, erkennt Herr Hollerich im weltlichen Festakt zum Nationalfeiertag einen Paradigmenwechsel: Seit der Burgunderherrschaft gebe es hierzulande das Tedeum, zu dem sich das offizielle Luxemburg am Morgen einfand, aber jetzt befänden wir uns in einer postmodernen Gesellschaft, in welcher die Bekenntnisse generell abnähmen.

asold@tageblatt.lu

Warum sollte die Teilnahme an einer zivilen Feier ein geringeres Bekenntnis zum unabhängigen Luxemburg sein als die Teilnahme am Gottesdienst des römisch-katholischen Glaubens?
Es gab Zeiten, und die liegen noch weiter zurück als das burgundische Luxemburg (1443-1482), in denen sich der nicht-orthodoxe Teil Europas der römischen Lehre zu beugen hatte. Die Kirche führte, ob nun Kaiser, Könige, Fürsten oder Stadtparlamente regierten. Es galt immer und überall die Doktrin der gar nicht selbstlosen Päpste und ihres hierarchisch streng gegliederten Gefolges. Der Kampf um den mündigen Staat dauerte Jahrhunderte; die Religion hinterließ auf ihren Rückzugsgefechten eine unvorstellbare Blutspur; schließlich entstanden, dank der Aufklärung durch Philosophen und andere Vordenker, politische Systeme, die sich nicht mehr von Priestern gleich welchen Ranges dominieren ließen.

Auf dem Weg in die Moderne hinkte Luxemburg seinen Nachbarn hinterher, obwohl die liberale Bourgeoisie nach 1839 herzhaft um das Primat des nunmehr unabhängigen Staates kämpfte. Ein von Rom entsandter Vikar, der streitbare Monseigneur Laurent, verstand es, gewann die Landbevölkerung für sich und die Catholica, die dann schrittweise ihr Ziel mit der Schaffung des Bistums (1870, durch Pius IX.) erreichte.
Dieses Bistum verfügte über die bereits 1848 gegründete Kirchenzeitung Luxemburger Wort, die durch ihre Verbreitung den Aufbau der kirchlichen Verbände, der Partei und der Gewerkschaft ungemein förderte.

Man kann es laut sagen: Luxemburg war von 1870 bis 1974 fest in katholischer Hand. Bistum, Regierung und Zeitung kontrollierten zusammen alles Wesentliche, darunter, an vorderster Stellung, das Schulwesen, das die Kinder in das kirchliche System einzugliedern hatte. Wer nicht am Religionsunterricht teilnahm, war verpönt, wie die wenigen protestantischen und jüdischen Kinder.

Erst heute werden die tiefen Risse an den Grundfesten der katholischen Macht sichtbar. Die Gesellschaft hat sich in Europa so weit von den christlichen Werten entfernt wie die christlichen Fürsten selbst. Die unzähligen Skandale, in die Geistliche aller Ränge weltweit und auch in Luxemburg verwickelt waren und sind, haben das Wort der Kirche diskreditiert.
Ein Vorbild ist sie nicht, und kann deshalb nicht den Anspruch auf Rechte erheben, wenn der Staat sich die Frage nach der besten Vermittlung von ethischen und moralischen Werten stellt.
Die öffentliche Schule hat in einem pluralistischen Staat nur einen Auftrag: so weit wie möglich abgesichertes Wissen zu vermitteln, darunter auch solches, das über die Religionen und die jeweiligen philosophischen Richtungen besteht.

Was täte Franziskus?

Religionen, als Glaube, sind dem öffentlichen Lehrauftrag wesensfremd. Sie gehören in den Kreis der Familie und/oder der Kirchen, als etwas Privates, dem der Andersdenkende gewiss Respekt schuldet.
Was soll, angesichts der Gegebenheiten, die unsachliche Reaktion des Erzbischofs auf die von der politischen Mehrheit getragene Entscheidung, die Glaubenslehre aus der öffentlichen Schule an die staatlich reich subventionierten Kirchen zu übertragen?
Herr Hollerich kann den Zwist zuspitzen oder entschärfen. Was täte Franziskus an seiner Stelle?

(Alvin Sold)