Absurde Drohungen

Absurde Drohungen
(AP)

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Was tun, wenn man im nuklearen Zeitalter – ja, wir leben immer noch in einem solchen – dem anderen keinen Krieg mehr als Fortsetzung der Diplomatie aufhalsen kann? Ganz einfach, man droht ihm mit einem Wirtschaftskrieg.

Dabei können die obligatorischen Planspiele während dieser Drohphase noch genauer errechnet werden, als dies bei den militärischen Kriegsspielen der Fall ist. Wie Krämerseelen sind nun der Westen und Russland dabei, gerade dies zu tun.
Putins wirtschaftlicher Berater Sergej Glasjew drohte etwa damit, Russland könne den Dollar als Reservewährung aufgeben und jegliche Bezahlungen per Greenback aussetzen und ihn damit zum Absturz bringen. Überhaupt könne man mit den Partnern aus dem Osten und dem Süden ein neues Verrechnungssystem aufstellen. Wenn es sein muss, könnte man ganz einfach alle Dollar-Reserven und die sich in russischer Hand befindenden US-Staatsanleihen auf den Markt werfen.

Sascha Bremer sbremer@tageblatt.lu

Die berüchtigten Wirtschaftsforscher vom Münchner Ifo-Institut hingegen haben schon ausgerechnet, dass „wir“ den Handelskrieg gewinnen werden: Russlands Exporte in die EU machen 15 Prozent des russischen BIPs aus. Europas Exporte in Richtung Moskau hingegen „nur“ ein Prozent seiner Wirtschaftsleistung. Ein totales Handelsembargo würde also den russischen Bären in die Knie zwingen, uns Europäer hingegen nur leicht pieksen.

Die Drohkulisse steht also und ist nicht minder absurd, aber fast genauso gefährlich wie das Pendant auf militärischem Gebiet. Viele dieser „Denkspiele“ – der Leser mag davon absehen, dass das Wort „denken“ in diesen Zusammenhang vergewaltigt wird – lassen bereits vorausahnen, zu welchem Schaden eine tatsächliche Umsetzung führen wird.

Denn ausnahmslos alle Drohgebärden sind doppelschneidig. Ein Handelsembargo würde z.B. nicht nur die überlebenswichtigen russischen Gaslieferungen nach Europa unterbinden, sondern auch die EU-Zahlungen an Russland. Denn beide sind in diesem Sinne abhängig voneinander. Die EU kann insgesamt nicht auf die Lieferungen aus Russland verzichten, die Russen nicht auf das dafür erhaltene Geld. Und das ist dementsprechend auch gut so. Europa macht also beim Säbelrasseln mit, hat aber am Freitag während des EU-Gipfels beschlossen, man werde darüber nachdenken, wie die Abhängigkeit gegenüber Russland in der Energiefrage etwas gelockert werden kann – man weiß, wie lange die EU in solchen Fragen nachdenken kann.

Ein mögliches Geschäft haben indes schon die USA gerochen. Die mittlerweile größten Erdgas-Produzenten der Welt und in vier Jahren voraussichtlich Netto-Energieexporteure wollen die Krise mit Russland nutzen, um den Aufbau der Infrastruktur für den Export von Schiefergas zu forcieren. Als kleinen Nebeneffekt erhoffte sich z.B. die ehemalige US-Außenministerin Condoleezza Rice in einer Kolumne am 7. März in der Washington Post, man könne Russlands Öl- und Gas-Kapazitäten in Zukunft einfach vom Markt schwemmen.

Nur Gewinner, oder?

Der Spitzenkandidat der europäischen Konservativen und Duzfreund des russischen Präsidenten, Jean-Claude Juncker, hatte dieser Tage sogar einen ganz perfiden Vorschlag in puncto Wirtschaftssanktionen auf Lager: Man „muss die russischen Finanzströme in Richtung Europa unterbinden“, hieß es etwa gestern in einem Welt-Interview. Perfide. Warum unterbinden, wo die seit Jahren anhaltende Kapitalflucht aus Russland, der russischen Wirtschaft doch eigentlich schadet? Absurd. Diese Drohung könnte jedoch dazu führen, dass Russlands Reiche in kürzester Zeit noch mehr Geld ins Ausland transferieren (wohin eigentlich?). Ob Putin seinem Duzfreund deshalb für dessen Aussage nachtragend sein wird, kann man kaum voraussehen – zudem ist ja auch Wahlkampf.

Gewinnt man etwas Distanz zu dem allgemeinen Säbelrasseln, fällt auf, dass sich alle bereits als Sieger sehen: Die Russen können neue Handelswege aufmachen, die Amerikaner weitere Petro-Dollars verdienen und die Europäer – naja – ihre Abhängigkeit etwas umverteilen. „Experten“ würden von einer Win-win-“win“-Situation reden.

Nur die Ukrainer wissen bereits jetzt, dass ihre Gasrechnung um 40 Prozent steigen wird. Diese IWF-Forderung zur Gewährung eines Hilfskredits an die Ukraine noch unter Präsident Janukowitsch steht nämlich trotz Maidan, trotz Krim immer noch im Raum. Absurd!