Alte Obstsorten in Luxemburg: Vergessen, aber nicht verschwunden

Alte Obstsorten in Luxemburg: Vergessen, aber nicht verschwunden
Die Kirschen stellen die viert größte Obstbaumgruppe dar.

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Sie tragen klangvolle Namen wie „Renette“ oder „Rambour“, sind äußerst robust und vom Aussterben bedroht. Umweltschützern und engagierten Bürgern ist es zu verdanken, dass traditionelle Obstsorten ein Revival feiern. Mit dem Ökologen Richard Dahlem von „natur&ëmwelt“ begab sich Daisy Schengen auf Entdeckungsreise im „Bongert“.

Von Daisy Schengen

Herr Dahlem, seit einigen Jahren werden vermehrt traditionelle Sorten wieder in den „Bongerten“ (luxemburgisch für Obstbaumgärten) gepflanzt. Warum ist das nötig? Haben wir die alten heimischen Sorten vergessen?

Richard Dahlem: Ein bisschen schon. Die Sorten, die wir heute als „alt“ bezeichnen, waren diejenigen, von denen Landwirte und Verbraucher bis etwa 1960 gelebt haben. Sie haben das Obst für verschiedene Zwecken genutzt – für Viez, zum Essen und für den Haushalt. Seit den 1960er-Jahren haben der Plantagenanbau und die Obstimporte immer mehr an Bedeutung gewonnen. Zunächst kam das Obst aus Südeuropa, aus Ländern wie Spanien und Italien, mittlerweile werden Äpfel aus Südafrika oder Neuseeland importiert. Dadurch haben die Sorten aus den „Bongerten“, ökonomisch gesehen, ausgedient.

Der Plantagenanbau ist wirtschaftlich effizienter, er erlaubt den Einsatz von Maschinen, sodass er heute ausschließlich den Anbau von Tafelobst trägt.

Wie wählen Sie die Sorten aus, die in die neu angelegten „Bongerten“ eingesetzt werden?

Als Naturschützer haben wir erkannt, dass diese hochstämmigen Obstbäume einen hohen Wert für Tiere haben. Vor allem für Vögel, die darin nisten und die Baumhöhlen brauchen, sowie für Insekten, für die die Obstbäume wegen der Blüten und Früchte sehr wertvoll sind. Inzwischen ist der hohe Wert der „Bongerten“ erkannt worden. Wir versuchen sie wieder zu erhalten oder sie neu anzulegen.

Hier sind die alten Sorten gefragt, da sie die „klassischen“ Bäume aufbauen können. Moderne Marktsorten wie „Jonagold“ oder „Cox Orange“ sind meist krankheitsempfindlich. Zudem bilden sie keine schönen Bäume, sodass wir diese Sorten nicht einsetzen können.

Sind die alten Sorten demnach resistenter?

Das Obst, das heute auf den Plantagen wächst, wird rund 20 Mal jährlich gespritzt.
Früher hatten die Menschen keine Möglichkeit, auf Pflanzenschutz zurückzugreifen, daher haben sich nur die Sorten durchgesetzt, die entsprechend robust waren.

Heutzutage wird aber immer mehr an krankheitsresistenten Obstsorten im Labor geforscht. Stellen sie keine Alternative dar?

Mittlerweile gibt es solche speziellen Sorten auch bei den Äpfeln. Allerdings ist bisher noch unklar, ob sie auch als „Landschaftsbaum“ funktionieren. Denn das Züchtungsziel hier lautet: ein krankheitsresistenter Apfel, der sich in der Plantage anbauen lässt. Daher müssen wir testen, ob diese Sorten die Eigenschaften mitbringen, die wir für den Obstbaumgarten voraussetzen.

Mit diesem Hintergrundwissen ausgestattet wenden wir uns den traditionellen Luxemburger Sorten zu. Welche stechen in diesem Zusammenhang hervor?

Zum einen ist das der „Rambour“ oder „Winterrambour“ – wahrscheinlich die häufigste Apfelsorte in Luxemburg. Es handelt sich dabei um einen Allzweck-Apfel, der sich sowohl für die Küche als auch zum Verzehr eignet. Er ist lange haltbar, zeichnet sich durch große, robuste Bäume aus und ist wenig krankheitsanfällig.

Zwei andere weit verbreitete Sorten, die Luxemburg in ihrem Namen tragen, sind der „Triumph aus Luxemburg“ und die „Luxemburger Renette“. Vermutlich stammen beide Sorten aus dem Großherzogtum selbst oder aus der belgischen „Province du Luxembourg“. Beide Apfelsorten ergänzen sich durch ihre Reifezeit – Spätherbst bzw. Winter – und überzeugen mit hervorragendem Geschmack.

Apfel, Birnen, Pflaumen – welches Obst ist im Großherzogtum am weitesten verbreitet?

Eindeutig Äpfel. Ungefähr gleich aufgeteilt sind Birnen und Pflaumenartige (Zwetschen, Mirabellen, Reineclauden und Pflaumen). Kirschen nehmen den vierten Platz in der Verbreitung ein.

Woher wissen Sie und Ihre Kollegen, wie viele Obstsorten es hierzulande gab, wo und wie viele von ihnen verbreitet waren?

Wir haben rund 30 alte Baumschulkataloge ausgewertet. Ältere Dokumente von staatlichen Stellen wie der ASTA, die früher Baumschulverordnungen und Sortenempfehlungen erlassen haben, lieferten uns weitere Hinweise, dazu thematische Veröffentlichungen.

Wie wird ein „Bongert“ bepflanzt?

Unsere Idee ist, möglichst alle für Luxemburg typischen Sorten zu erhalten. Daher versuchen wir, an wenigstens zwei Standorten mindestens zwei Obstbäume zu erhalten – pro Sorte sind das vier Bäume. Unterschiedliche Standorte erlauben es uns, ein zweites „Back-up“ zu haben, von wo aus wir die Sorte wieder vermehren können.

Wir nutzen die Methode der Veredelung mit sogenannten „Edelreisern“. Zwei Baumschulen aus Holsthum und Trier nehmen aus unseren von alten Bäumen gewonnenen, kurzen, schmalen „Edelreisern“ die Veredelung auf jungen Bäumen vor. Diese pflanzen wir später ein.

Wie haben Sie die alten „Bongerten“ in Luxemburg ausfindig gemacht?

Wir arbeiten seit 2003 an dem Projekt. Damals schickten wir einen Fragebogen an alle Naturschutz- und Gartenbauvereine, an alle, die etwas über Obstanbau wissen könnten. Die Informationen, die wir bekamen, werteten wir aus. Außerdem griffen wir auf die Biotop-Kartierung in Luxemburg zurück, wo u.a. auch „Bongerten“ erfasst wurden. Dort gewannen wir einen Überblick darüber, in welchem Garten es besonders viele Pflaumen, Kirschen und Mirabellen gab, und haben sie uns gezielt angeschaut. Darüber hinaus arbeiten wir mit biologischen Stationen zusammen, die ihre „Bongerten“ genauer kennen und Hinweise gaben.

Anhand dieser stetigen Nachforschungen verfügen Sie also jetzt über einen umfangreichen „Bongert“-Wissensschatz?

2012 haben wir eine „Bongert“-Datenbank angelegt, in der wir alle Ergebnisse genau eintragen. Für jeden „Bongert“ gibt es eine detaillierte Karte, auf der jeder Baum nummeriert ist. Klickt man sie an, dann sieht man viele hilfreiche Informationen.

In unserem größten Erhaltungsgarten haben wir rund 60 Kirschsorten. In einem Gartenmarkt lässt sich zwischen fünf bis sechs Sorten wählen. Allein dies führt vor Augen, welchen Stellenwert der „Bongert“ für die heimische Obstsortenvielfalt besitzt.

Sie sprachen von unterschiedlichen Standorten. Wie groß ist der Platzbedarf für das Projekt?

Aus diesem Konzept ergibt sich ein Flächenbedarf von rund 50 Hektar, die wir für Obstgärten mit insgesamt 2.800 Bäumen vorsehen. Bis wir dieses Ziel erreicht haben, wird es noch einige Zeit dauern. Schätzungsweise haben wir derzeit ein Drittel (12 bis 14 Hektar) bereits erreicht. Darüber hinaus sind wir auf mehrere freie Parzellen angewiesen, da wir die Obstbäume nicht an einer Stelle pflanzen können. Einige Beispiele für solch größere Gärten sind das Projekt im „Emeschbaach“ in Wintger mit Pflaumen und Kirschen, der „Bongert“ im Roeserbann bei Peppingen oder der Pflaumensortengarten beim „Ditgesbaach“ nahe Ettelbrück.

Welche Partner stehen an Ihrer Seite?

Zum einen das Umweltministerium, das unsere Sortenarbeit mit Projektmitteln unterstützt. Zum anderen arbeiten wir mit Landwirten zusammen, die „Bongert“-Pflege betreiben.

Außerdem werden wir von Arbeitsloseninitiativen wie dem Forum aus Diekirch und dem CNDS („Comité national de défense sociale“) unterstützt, die im Norden für uns Pflegearbeiten übernehmen. Des Weiteren arbeiten wir mit zwei biologischen Stationen zusammen, mit dem Sivom („Syndicat intercommunal à vocation multiple“) sowie mit dem „Naturpark Mëllerdall“. Und auch der „Naturhaff“, der die beiden Obstgärten in der „Emeschbaach“ bewirtschaftet.

Wir sind dem Erhalternetzwerk Obstsortenvielfalt „Pomologenverein e.V.“ beigetreten, um gerade bei Steinobst von der Kompetenz der Spezialisten profitieren zu können.

Stichwort „Echtsortenüberprüfung“. Was bedeutet sie und wie geht sie vonstatten?

Manchmal gleicht unsere Arbeit der eines Kriminalisten. Bei historischen Sortenbeschreibungen – beispielsweise von 1890 oder noch älter – ist es schwierig, eine hier gefundene Sorte zuzuordnen. Aspekte wie Stein- und Kernmerkmale, die wir heute sehr genau überprüfen, waren früher weniger erforscht. Daher ist es extrem aufwendig, anhand älterer Literatur Sorten zu bestimmen. Man benötigt mehr Informationen wie Stein- und Kernarchive, den Wissensschatz anderer Fachleute, die andere Sorten kennen, die für uns unbekannt sind. Vieles von dem, das wir hier finden, können wir dank ihnen zuordnen.
Manchmal ist diese umfangreiche Nachforschung auch vergeblich. In den letzten 50 Jahren ist viel Wissen verloren gegangen, da sich der Plantagenanbau durchgesetzt hat. Gleichzeitig sind die Menschen, die die alten Obstsorten kannten, nicht mehr da.

Ist das Interesse an Projekten wie Ihres inzwischen gewachsen? Welche Gründe gibt es möglicherweise dafür?

Eines davon ist die „Apfel-Allergie“, da viele Menschen die neuen Sorten nicht vertragen. Sie können Äpfel meistens gekocht oder gebacken verzehren, das Rohobst aus dem Supermarkt vertragen sie hingegen nicht. Viele dieser Apfel-Allergiker haben festgestellt, dass alte Sorten bekömmlicher für sie sind, und greifen auf sie zurück.
Moderne Apfelsorten wie der „Cox Orange“ oder der „Golden Delicious“ sind als hochallergen bekannt. Das Dilemma für die Allergiker besteht darin, dass diese beiden Sorten in den meisten neuen mit eingekreuzt sind und somit möglicherweise auch ihr allergenes Potenzial mitvererben. Die meisten alten Sorten verfügen nicht über diese Genetik.

Stichwort Polyphenole: Das sind gesundheitsfördernde Stoffe wie Radikalfänger, über die besonders die alten Sorten verfügen. Der Stoff sitzt unter der Schale, wehrt Krankheiten ab und ist in sehr robusten Sorten enthalten.

Ist Ihre Arbeit im Zusammenhang mit diesem Projekt irgendwann zu Ende?

Nein, nicht ganz. Bei unseren Begehungen im Gelände stoßen wir immer wieder auf neue Sorten, die wir noch nicht kennen.

Darf man als Wanderer von dem Obst im „Bongert“ naschen? Oder anders gefragt: Wem gehören die süßen Früchte?

Grundsätzlich gilt, dass die „Bongerten“ öffentlich zugänglich sein sollen. Am „Emeschbaach“ führt mit dem „Escapardenne Éislek Trail“ sogar ein Wanderweg vorbei.
Es ist noch zu früh, um sagen zu können, wie es in dem Beispiel „Emeschbaach“ genau vonstatten gehen soll, da die Bäume bisher dort noch keine Früchte tragen. Außerdem bewirtschaftet ein Biolandwirt den „Bongert“.