Tierarzt René Fuchs: „Die Spreu vom Weizen trennen“

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Tageblatt: Wie hoch ist der Anteil von Listenhunden in den Kursen, die der sogenannte „Hundeführerschein“ umfasst?

Zur Person

Dr. René Fuchs ist verantwortlich für die Einschreibungen für den Hundeführerschein bei der LAK, der „Lëtzebuerger Associatioun vun de Klengdéierepraktiker“.

Dr. René Fuchs: Sie sind in der Mehrzahl. Das liegt in der Natur der Sache. Die Besitzer müssen den Kurs besucht und bestanden haben, um die ministerielle Erlaubnis für die Haltung eines Listenhundes zu bekommen. Inzwischen hat sich aber auch herumgesprochen, dass der Kurs für jedermann zugänglich ist, sodass sich auch Menschen, die keinen eigenen Hund haben, aber ab und zu mit einem Gassi gehen, einschreiben. Das dort vermittelte Wissen gibt ihnen ein sicheres Gefühl, richtig zu reagieren, um Probleme zu vermeiden.

Probleme lassen sich aber nicht immer vermeiden – trotz Hintergrundwissen.

Selbstverständlich. Aber man lernt teilweise, wie man richtig reagieren muss, damit eine Situation nicht eskaliert. Ein Beispiel: Ein Hund beißt einen anderen. Wie sollte sich der Mensch dabei verhalten? Die meisten Halter gehen dazwischen. Das ist aber falsch. Man sollte sich entfernen und den Hunden die Auflösung der Situation überlassen. Dann entscheiden die Tiere selbst, wie sie das Problem lösen, und die Folgen sind weniger schlimm, als wenn der Besitzer eingegriffen hätte. Solange der Hund sein Herrchen oder Frauchen am anderen Ende der Leine spürt, hat er eine direkte Verbindung zu ihm und fühlt sich stark. In solchen Momenten ist das Aggressionslevel noch höher, da der Hund glaubt, seinen Besitzer schützen zu müssen.

Sie sind von Beruf Tierarzt. Hatten Sie in Ihrer Praxis Listenhunde, die so aggressiv waren, dass sie eingeschläfert werden mussten?

Nein, noch keinen. Ich betreue viele solcher Hunde als Patienten, sie sind alle lieb. Es hängt sehr davon ab, in welche Hände der Hund gerät. Bei den Listenhunden handelt es sich um Rassen, für die sich viele Jugendliche interessieren. Die Hunde sind eine Erscheinung. Viele legen sich einen Listenhund zu, um einem gewissen „Image“ gerecht zu werden, haben aber möglicherweise das Gefühl, nicht genug über das Tier zu wissen. Ich hoffe sehr, dass sich Halter keinen solchen Hund zulegen, nur um ihn „scharf“ zu machen. Denn der Beiname „Kampfhund“, den ich absolut nicht nachvollziehen kann, suggeriert, dass diese Rassen für Aggression und für „Kampf“ stehen – ein Grund, weshalb sich verschiedene Besitzer für einen solchen Hund entscheiden.

Aus reiner Tierliebe könnte man auch einen Hund einer anderen Rasse halten, oder?

Nicht unbedingt. Wenn Sie Listenhunde kennenlernen, die richtig erzogen sind, dann werden Sie feststellen, dass das sehr liebe Wesen sein können. Manche meiner Patienten kann man mit einem „Schoßhündchen“ vergleichen. Es hängt aber vorwiegend auch davon ab, aus welcher Zucht das Tier stammt. Man muss bedenken, dass diese Hunde bei einer Streiterei sehr aggressiv werden, sich „verbeißen“ und nicht mehr loslassen können. Das ist eine Folge der Zucht. Kommen die Hunde aber sofort in die richtigen Hände und erfahren dort die richtige Erziehung, dann sind sie absolut unproblematisch.

Das heißt, Listenhunde können auch Familienhunde sein?

Es gibt viele Rassen, die als Familienhunde gehandelt werden. Es gibt aber viele Beispiele darunter, die einen schwierigen Charakter haben und auf „Masse“ gezüchtet werden. Dabei wird weniger auf den Charakter der Eltern geachtet. Dadurch haben manche vermeintliche Familienhunde ein höheres Aggressionspotenzial und neigen dementsprechend dazu, schnell zuzubeißen. Das wird aber nicht in der Öffentlichkeit thematisiert, weil es sich um einen eigentlich lieben Familienhund handelt. Beißt ein „Kampfhund“ zu, wird sofort eine große Story daraus gemacht. Das ergibt eine bessere Schlagzeile. Da muss man immer abwägen und nicht sofort verurteilen.

Sie sehen Besitzer und Züchter in der Pflicht?

Das Problem kann auf beiden Seiten bestehen. Daher muss man genau darauf achten, wo man seinen Hund kauft. Das ist ein Punkt, der auch beim „Hundeführerschein“ behandelt wird. Zwei Faktoren sind für die Wesensentwicklung eines Tieres entscheidend: Genetik und Erziehung. Die Genetik lässt sich nicht verändern, sie wird bei der Züchtung angelegt. Der Züchter trägt hier die Verantwortung – er entscheidet, welche Hunde er miteinander kreuzt und ob ihre Charaktere zusammenpassen. Und anschließend ist der Besitzer gefragt: Durch die richtige Erziehung muss er den Hund in die richtige Bahn lenken.

Im Tierasyl werden die Interessenten für Listenhunde und vor allem ihre Papiere genauestens kontrolliert. Wäre es nicht eine Möglichkeit, auch die Züchter gesetzlich dazu zu verpflichten, die Dokumente und die Eignung des künftigen Besitzers eingehend zu prüfen, um so etwaige Probleme zu vermeiden?

Bei vielen seriösen Züchtern ist das die Praxis. Ich kenne viele, die in diesem Zusammenhang sehr selektiv arbeiten: Sie nehmen sich Zeit, um den künftigen Besitzer näher kennenzulernen, beobachten, wie sich Mensch und Hund bei einem Spaziergang miteinander verhalten, und achten auf die Chemie zwischen den beiden. Natürlich müsste jeder Züchter so vorgehen. Aber auch hier trennt sich die Spreu vom Weizen, sodass es auch solche gibt, die sich eher für einen schnellen Verkauf des Hundes interessieren. Eine gesetzliche Verpflichtung des Züchters ist meiner Meinung nach schwierig umzusetzen – so müsste beispielsweise definiert werden, was er überprüfen (Papiere, Angewöhnung usw.) und wie er das genau umsetzen müsste. Man kann nicht in den Charakter der Menschen, die einen Hund kaufen, „hineinschauen“.

Jeder Halter von einem Listenhund ist dazu verpflichtet, einen Hundeführerschein zu absolvieren. Was lernen die Teilnehmer dort?

Das ist ein theoretischer Kurs, dessen Konzept wir aus Deutschland übernommen haben. Es geht dabei nicht nur um Listenhunde, sondern um Hunde, vorwiegend auch kleine, im Allgemeinen. Der Kurs ist für Besitzer von Listenhunden obligatorisch, aber er richtet sich auch an Menschen, die einen Hund haben und mehr darüber lernen wollen. Gleichzeitig sind auch künftige Hundehalter, die sich vorab informieren wollen, willkommen. Hier erfährt man beispielsweise, worauf man achten muss, wenn man einen kleinen Hund bekommt, wie sich das Tier in der Familie und in der Öffentlichkeit integriert usw. Darüber hinaus wird Wissen über die Körpersprache der Tiere und darüber, wie man Konfliktsituationen vermeidet und gegebenenfalls entschärft, vermittelt. Die Lerninhalte werden interaktiv erarbeitet: Es werden Filme gezeigt, praktische Situationen nachgestellt und das richtige Verhalten wird dabei geübt.

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