Mönch lebt auf 40 Meter hoher Felsensäule

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Ein georgischer Mönch lebt allein auf einer 40 Meter hohen Felssäule. Besuch erhält der fromme Mann nur von Mönchen oder ratsuchenden Männern. Für Frauen ist der Felsen tabu.

Der Drang nach Höherem wurde Maxim Qavtaradze in die Wiege gelegt. Schon bevor der Ruf Gottes ihn 1993 erreichte und er Mönch wurde, hatte der Georgier als Kranführer gearbeitet. Und auch nachdem er sein Gelübde abgelegt hatte, kannte der heute 59-jährige orthodoxe Mönch nur eine Richtung: nach oben.

Seit dem Frühjahr 2012 lebt Qavtaradze auf seiner Felssäule. Wasser und Lebensmittel schicken ihm Gläubige mit einem handbetriebenen Seilzug auf die Felsspitze. Ein- bis zweimal pro Woche steigt er die rund 40 Meter hohe Eisenleiter herunter, die auf den Felsen führt; er benötigt etwa 20 Minuten für diese nicht ungefährliche Klettertour. Unten betet er in einem kleinen Kloster am Fuss des Felsens in der Gemeinschaft mit den Mönchen. Und er hört sich die Sorgen von ratsuchenden jungen Männern an, die eigens dafür zum Felsen gepilgert sind. In seinem früheren Leben war er selber einer von ihnen – er trank, handelte mit Drogen und sass im Gefängnis.

Ein Skelett auf der Felsspitze

Qavtaradze ist nicht der erste Einsiedler, der auf der Spitze des Kalkstein-Monolithen in der Nähe der georgischen Minenstadt Tschiatura lebt. Sein letzter Vorgänger bewohnte den sogenannten Katskhi-Felsen allerdings vor sehr langer Zeit: Als die Felssäule 1944 erstmals seit Jahrhunderten wieder erklettert wurde, fanden die Bergsteiger oben die Ruinen einer Kirche und die jahrhundertealten Gebeine des letzten Einsiedlers.

Mit der osmanischen Eroberung zu Beginn des 16. Jahrhunderts war hier eine christliche Tradition erloschen, die bis ins frühe 5. Jahrhundert n. Chr. zurückreichte. Damals begründete der Syrer Symeon Stylites der Ältere in Aleppo eine besonders strenge Form christlicher Askese: Der erste Säulenheilige der Kirchengeschichte soll ab 423 n. Chr. 30 Jahre lang auf dem Kapitell einer Säule ausgeharrt haben. Seinem Vorbild folgend entflohen die sogenannten Styliten („Stylit“ von griechisch stylos für „Säule“) den Verführungen der Welt, indem sie sich – idealerweise für den Rest ihres Lebens – auf eine Säule zurückzogen. Styliten gab es nur in der Ostkirche; im katholischen Westen konnte die Tradition nie Fuss fassen.

Vom Phallussymbol zum Kreuz Christi

Auch der Katskhi-Felsen wurde ab dem 9. oder spätestens 10. Jahrhundert von Säulenheiligen bewohnt, die auf der Spitze ein Gotteshaus und Mönchszellen bauten. Die lokale Bevölkerung verehrte den Monolithen als Säule des Lebens, die das Kreuz Christi symbolisierte. Vermutlich diente der imposante Felsen aber schon in vorchristlicher Zeit als phallisches Wahrzeichen eines lokalen Fruchtbarkeitsgottes.

Maxim Qavtaradze hat die Tradition der Styliten wiederbelebt und von 2005 bis 2009 mit Hilfe der „National Agency for Cultural Heritage, Preservation of Georgia“ die kleine Kirche auf dem Katskhi-Felsen neu aufgebaut. Das Gotteshaus, das dem griechischen Mönch und Theologen Maximus Confessor geweiht ist, ist nur 3,5 mal 4,5 Meter gross – was allerdings schon beachtlich ist, misst die unebene Oberfläche des Felsens doch nur gerade 10 mal 15 Meter.

Gottes Nähe

„Es ist hier oben in der Stille, dass man Gottes Nähe spüren kann“, sagt der moderne Säulenheilige. Gut möglich allerdings, dass es in letzter Zeit oben auf dem Felsen nicht mehr so ruhig war: Seit der neuseeländische Fotograf Amos Chapple für CNN eine Fotoreihe über den Eremiten und dessen spektakulär gelegene Klause geknipst hat, sind weltweit nicht wenige Medienberichte über Qavtaradze erschienen, unter anderem in der „Daily Mail“ und dem „Telegraph“.

Für Touristen dürfte es gleichwohl nicht ganz einfach sein, auf den Felsen zu gelangen. Fotograf Chapple zumindest musste zuerst vier Tage im Gebet am Fuss des Monolithen ausharren, bevor er von Qavtaradze die Erlaubnis zum Aufstieg bekam. Und für Frauen ist der Katskhi-Felsen ohnehin tabu: Orthodoxe Mönche fürchten, dass der Anblick weiblicher Reize ihre spirituelle Erleuchtung gefährden könnte.

Dokumentation: „The Stylite“

Das Projekt „The Stylite – a Matter of Faith“ von Stephen Riehl ist eine „experimentelle Dokumentation“, in deren Mittelpunkt Maxim Qavtaradze steht: