Letzte Chance für Pistorius

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Oscar Pistorius hatte panische Angst und schoss in Selbstverteidigung - so lautet die Version seines Verteidigers. Punkt für Punkt versuchte Barry Roux die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zu widerlegen. Aber wird das für einen Freispruch reichen?

Im Mordprozess gegen Oscar Pistorius hat die Verteidigung in ihrem Schlussplädoyer zahlreichen Argumenten der Staatsanwaltschaft widersprochen. Rechtsanwalt Barry Roux wollte das Gericht noch einmal davon überzeugen, dass der südafrikanische Paralympics-Star seine Freundin Reeva Steenkamp in der Nacht zum Valentinstag 2013 irrtümlich getötet hat. Für den einstigen Nationalhelden war der Vortrag von Roux die letzte Chance, um Richterin Thokozile Masipa von seiner Unschuld zu überzeugen.

Weil er im Februar 2013 im Badezimmer einen Einbrecher vermutete, habe Pistorius in Panik durch die Tür geschossen, so die Linie der Verteidigung. Eine Psychiaterin hatte ihm bereits während des Verfahrens eine „intensive Angststörung“ bescheinigt.

Dafür sollen vor allem die hohe Kriminalitätsrate in Südafrika in Verbindung mit der Behinderung des unterschenkelamputierten Angeklagten verantwortlich sein.

„Er kann nicht wegrennen“

„Er wird ständig daran erinnert, dass er keine Beine hat. Er kann nicht wegrennen“, erklärte Roux. „Er hat sich bewaffnet und ist zum Bad gegangen. Er wusste, dass es eventuell nötig werden könnte, zu schießen. Er hatte Angst.“ Bei den Schüssen habe es sich um Selbstverteidigung gehandelt.

Roux räumte ein, dass sein Mandant bereit sei, die Verantwortung für einige der Vorwürfe zu übernehmen. Er gestehe zu, dass Pistorius im ersten Anklagepunkt – dem der Fahrlässigkeit – durchaus schuldig sein könnte. «Aber in diesem Prozess hätte es um Totschlag gehen sollen und nicht um Mord», betonte er.

„Sportler verdrehte die Wahrheit“

Staatsanwalt Gerrie Nel hatte Pistorius am Donnerstag in seiner Schlussrede der Lüge bezichtigt und erklärt, der Sportler habe die Wahrheit bei seinen Aussagen stets zu seinen Gunsten verdreht. Er habe einen vorsätzlichen Mord begangen und müssen in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen werden.

Stimmt Masipa dem zu, drohen Pistorius mindestens 25 Jahre Haft. Aber auch eine Verurteilung wegen Totschlags könnte eine Gefängnisstrafe von 15 Jahren bedeuten.

„Schlampige Arbeit“

Roux kritisierte am Freitag vor allem die „schlampige Arbeit“ der Ermittler, die Beweismaterial verfälscht und manipuliert hätten. Die Polizisten hätten „keinen Respekt für den Tatort gezeigt“.

Auch widersprach er Nels Angaben, nach denen die Beziehung des Paares von Streitigkeiten geprägt gewesen sei. Nel hatte mehrere WhatsApp-Nachrichten vorgelesen, die angeblich belegen sollten, dass Pistorius und Steenkamp Probleme hatten. „Man muss mit diesen WhatsApp-Nachrichten zwischen jungen Leuten vorsichtig sein“, sagte Roux. „Nach dem 7. Februar waren die Nachrichten wieder liebevoll – sie hatten sich schnell wieder vertragen.“

Gespanntes Vater-Sohn-Verhältnis

Im Gerichtssaal waren auch Steenkamps Eltern June und Barry sowie überraschend Pistorius‘ Vater Henke, der dem Verfahren bisher ferngeblieben war. Das Verhältnis zu seinem Sohn gilt als angespannt.

Das Urteil wird nun erst am 11. September fallen. Das sagte die Richterin Thokozile Masipa am Freitag zum Abschluss des Prozesstages. Bislang war von einem Urteil bis Ende August ausgegangen worden.

Masipa muss sich vor allem auf Indizien verlassen: 39 Prozesstage und 36 Zeugenverhöre konnten letztlich nicht klären, was in der Tatnacht in Pistorius‘ Villa in Pretoria wirklich geschah.