Das Corona-Tagebuch (14)Montag, 30. März: 50 Shades of „Henkersmahlzeit“

Das Corona-Tagebuch (14) / Montag, 30. März: 50 Shades of „Henkersmahlzeit“
Aufregendes Leben im Home-Office: „Alles wird gut.“ Aber wann?  Foto: Marco Goetz

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Das Coronavirus beherrscht weiter das Leben in Luxemburg. Die Lage ist ernst, jedoch nicht hoffnungslos. Eigentlich genau der richtige Zeitpunkt, seine Gedanken mal wieder in einem Tagebuch niederzuschreiben. Was fällt uns auf, was empfinden wir und was erwarten wir? Das Corona-Tagebuch im Tageblatt gibt Einblick in diese Gedankenwelt.

Liebes Tagebuch, ich komme mir vor wie Raumschiff Enterprise. Oder Star Trek, wie meine Töchter sagen würden. Irgendwo in diesem Science-Fiction-Film fällt der Satz, dass die Enterprise in unbekannte Welten vorstößt. Dorthin, wo nie zuvor ein Mensch gewesen sei. Mir geht es dieser Tage auch so.

Nun wohne ich, wie du weißt, seit fast 25 Jahren in meinem schönen, ruhigen Viertel in Esch und doch entdecke ich nun Ecken und Wege, die ich, ich schwöre, noch niiiiiie zu Gesicht bekommen habe. Kürzlich bin ich beim Spaziergang sogar auf Spuren von Zivilisation gestoßen. Ich habe eine mir bis dato unbekannte Spezies getroffen: meine Nachbarn! Und sie sprachen meine Sprache!

Schade, dass der diesjährige ING Marathon abgesagt wurde. Ich hatte mich vorbereitet, wie noch nie,  auf meine sehr aktive Rolle – als Zuschauer. Ja, du hast recht, Tagebuch. Ich höre deine Stimme in meinem Kopf. Etwas mehr Bewegung würde meinem Bauch sicher guttun. Ja, ich habe meine ernährungstechnische Disziplin über den Haufen geworfen. Ich spiele Sternerestaurant und bereite mir jeden Abend ein sukkulentes Essen zu. „50 Shades of Henkersmahlzeit“. Man gönnt sich ja sonst nichts. 

Langeweile kommt definitiv keine auf. Ganz spannend sind die Besorgungen für meine Mutter. Die Menschen denken, ich sei auf einem Gesundheitstrip, weil ich Wasser, Schwarzbrot und größere Mengen Kefir sowie Joghurt in den Einkaufswagen packe. Zur Tarnung habe ich beim letzten Mal einfach eine Flasche Single Malt hinzugelegt. Den habe ich der Mama geschenkt, denn, liebes Tagebuch, auch sie kann diesen Ausnahmezustand nüchtern kaum mehr ertragen.

Sie nimmt die Empfehlungen des Gesundheitsministeriums übrigens sehr ernst und bleibt in ihrem Appartement im fünften Stock hocken. Der Weg zum Briefkasten wird zum Ausflug. Aber sie nimmt’s gelassen und freut sich, wenn sie nachher wieder in den Aufzug steigt: „Endlich geht’s aufwärts!“, sagt sie dann.

Die Menschen leiden. Ich sage dir, Tagebuch, das ist nicht gut und ich frage mich, ob das gut geht. Wenn die Welt nach der Quarantäne eine Wüste ist, was haben wir dann erreicht? 

Ja, ich weiß, ich sollte – wie so oft in den letzten Tagen – auch noch was über die Kinder schreiben. Meine stets sehr anwesenden Mitbewohner Giulia und Francesca. Sie vermissen, wie wohl viele ihrer Altersgenossen,  ihre Freunde. Aber sie vermissen auch ihre Schule und die Lehrer. Ich weiß nicht, was Corona in ihrem Kopf auslöst, aber es stimmt mich nachdenklich. Am meisten nervt sie die Ungewissheit, was dieses Schuljahr anbelangt.

Ich weiß nicht, was Bildungsminister Claude Meisch am Freitag ankündigen wird. Aber er soll ein für alle Mal Klartext reden, vor allem was die Abiturklassen anbelangt. Und dann sollte er sich hüten, die Sommerferien allzu sehr zu beschneiden. 

Denn wenn wir etwas brauchen, dann sind es Ferien. Berge, Meer und dolce farniente. All das, was wir jetzt nicht haben, liebes Tagebuch. 

Das Tageblatt-Tagebuch

Das Leben ist wie es ist. Corona hin oder her. Klar, die Situation ist ernst. Aber vielleicht sollte man versuchen, ein wenig Normalität in diesem Ausnahmezustand zu wahren. Deshalb veröffentlicht das Tageblatt seit dem 16. März (s)ein Corona-Tagebuch. Geschildert werden darin persönliche Einschätzungen, Enttäuschungen und Erwartungen verschiedener Journalisten.