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Slut – Talks Of Paradise

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Slut – Talks Of Paradise
Slut – Talks Of Paradise

Knapp acht Jahre nach ihrem letzten Streich, dem kunstvoll-vertrackten „Alienation“, meldet sich die deutsche Band mit dem etwas unglücklich gewählten Namen Slut zurück. Wer die Karriere der Band über die Jahre verfolgt hat, weiß, dass sie sich zwar nicht mit jeder Platte radikal neu erfindet – dafür ist ihr Wiedererkennungswert dann doch zu groß –, sich jedoch keine der acht Studioplatten wirklich ähneln.

Nach dem Debüt „For Exercise And Amusement“ (1996), das noch streckenweise im Indie-Rock mit Hardcore-Elementen verwurzelt war, überraschte die Band mit dem an die Landesgenossen von Notwist erinnernde „Interference“ (1998) und dem elektronisch-progressiven „Lookbook“, dessen facettenreiche Klangfarben und skizzenartige, fragmentierte Struktur auch heute noch zu überzeugen wissen. Auf der Nachfolgeplatte „Nothing Will Go Wrong“ (2002) schlug die Band rockigere Töne an und erinnerte auf Songs wie „Reminder“ an eine weniger schwülstige Variante von Muse, „All We Need Is Silence“ (2004) kondensierte diese Klangfarben in etwas karger instrumentiertem, hochmelodischem Indie-Rock, wo „Still No 1“ (2008) sich mit Erfolg orchestralem Indie-Pop widmete. Zwischendurch näherte sich die Band immer wieder literarischeren Gefilden – so vertonte sie Brechts „Dreigroschenoper“ neu und schrieb zusammen mit Juli Zeh die Schallnovelle „Corpus Delicti“.

Das neue „Talks Of Paradise“ erinnert in seinem elektronischem Klanggewand noch am ehesten an eine zeitgenössischere, kompaktere Version von „Lookbook“: Der Opener „Good For All“ ist lupenreiner, wunderschöner Elektropop, Christian Neuburgers Stimme erinnert in diesem Kontext mehr denn je an Sufjan Stevens. „For The Soul There Is No Hospital“ ist so toll wie sein Titel, tanzbarer waren Slut selten, das Melodiegefühl ist hier wie auf dem Rest der Platte beeindruckend. „Penny Changes Dresses“ ist klassischer Indie-Rock im 80er-Jahre-Synthie-Gewand, „Fala“ beginnt als krautige Elektrojam, bevor der Song Form und Struktur annimmt.

Seit jeher verweben Slut Referenzen an ihre Vorbilder: Das schöne „How Trivial We Are“ ist in seiner Strophe eine melodische Verneigung vor „No Cars Go“ von Arcade Fire und am Ende des unglaublich tollen Album-Highlights „Tell Your Friends“, das als Ballade beginnt und sich zum tanzbaren Elektrosong mausert, glaubt man, einen Melodiebogen aus „Go With The Flow“ der Queens of the Stone Age zu hören. „The Worst Is Yet To Come“ ist treibender Indie-Rock mit nervösen Synthies, „Vandals“ eine (etwas zu unaufgeregte) melancholische Ballade, das instrumentale „Black Sleep“ lässt die Platte mit einem schönen Instrumental ausklingen und erinnert einen daran, wie perfekt die Produktion der Platte ist – hier zischt, knistert und knarzt alles, dass es ein wahrer Genuss ist.

Auch wenn die Platte in ihrer zweiten Hälfte leicht abfällt, da die Songs hier teilweise etwas zu klassisch ausfallen – man kann definitiv all seinen Freunden mitteilen, dass die neue Platte von Slut wieder sehr empfehlenswert ist – und ein tolles, wenn auch nicht ganz so wagemutiges Begleitstück zur neuen Notwist-Platte darstellt. (Jeff Schinker)

Bewertung: 8/10
Anspieltipps: For The Soul There Is No Hospital, Tell Your Friends, Good For All