Alain spannt den BogenZwei abendfüllende Zyklen in der Philharmonie: Bachs Goldberg-Variationen und Smetanas Mein Vaterland

Alain spannt den Bogen / Zwei abendfüllende Zyklen in der Philharmonie: Bachs Goldberg-Variationen und Smetanas Mein Vaterland
Der Pianist Lang Lang ist in sein Spiel vertieft Foto: Philharmonie Luxembourg 

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Es ist dem Pianisten Lang Lang hoch anzurechnen, dass er sich nach einem sehr anspruchsvollen Programm mit der „Arabeske“ von Robert Schumann und seiner immerhin 90 Minuten dauernden Interpretation der „Goldberg-Variationen“ von Johann Sebastian Bach noch die Zeit nahm, zwei Zugaben zu geben. Nämlich die „Valse brillante“ aus dem Ballett „Les Sylphides“ von Frédéric Chopin und ein chinesisches Traditional.

Und das besonders, weil sich das an diesem Abend eingefundene Publikum als ziemlich unwissend und unkultiviert zeigte. Zweimal unterbrach es die „Goldberg-Variationen“ nach virtuosen Passagen mit Gejubel und Gejohle und machte auch noch durch andere Geräusche wie Kratzen, Bonbongeraschel, Schmuckgeklimper, Handygeläute u.a. unangenehm auf sich aufmerksam. Verdient hatte dieses Publikum die Zugaben nicht. Überflüssig dann auch das Gelächter bei der zweiten Zugabe, einem traditionellen chinesischen Stück. Hoffen wir, dass dieses unkultivierte Benehmen keine Schule macht, wie das leider momentan auch in der Elbphilharmonie der Fall zu sein scheint.

Ich bin bekannterweise kein Freund von Lang Lang, aber seine beiden rezenten CD-Aufnahmen der „Goldberg-Variationen“ haben mir sehr gefallen. Ich halte sie darüber hinaus für das Beste, was Lang Lang bisher aufgenommen hat. Die wohl als Aufwärmer gedachte „Arabeske“ von Schumann gelang dem Pianisten recht gut, wenngleich mir hier Griff und Konturen fehlten. Großartig dann (mein, ich werde für diese positive Rezension nicht bezahlt oder dazu gezwungen!) die Interpretation der „Goldberg-Variationen“, die Lang Lang mit allen Wiederholungen spielte und so manche Variation bis in die Extreme brachte.

Lang Lang und das unmögliche Publikum

Dank seiner spieltechnischen Kunst brachte er die Musik manchmal quasi bis zur Auflösung (hier begann dann das Bonbongeraschel) oder spielte sie mit einer solch ungeheuren Virtuosität und Fingerfertigkeit, dass man nur staunen konnte (hier brach dann zweimal das Gejubel los). An keiner Stelle ließ sich Lang Lang aus der Ruhe bringen und spielte die Variationen bis zur atemberaubenden Aria da Capo et Finale mit einer Stringenz, Ernsthaftigkeit und einem Atem, die das Werk einerseits als riesiges Ganzes, andererseits als Zusammenstellung viele Miniaturen von größter Bach’scher Kunstfertigkeit erschienen ließen.

Lang Langs Spiel blieb dezent, feingliedrig und hochintensiv und kam diesmal ohne das übliche Showgehabe und die damit verbundenen choreografierten Bewegungen aus. Diese sparte er sich dann für die „Grande Valse brillante“ von Chopin auf, aber auch hier wirkte seine Interpretation nie plakativ, sondern sehr geschlossen und virtuos. Bach scheint den Pianisten demütig gemacht zu haben. Hätte es das nur auch mit dem Publikum getan.

Ein Werk, das keiner so recht mag

Bedrich Smetanas „Mein Vaterland“ ist ein tschechisches Musikepos, das sich narrativ mit verschiedenen Epochen und Beschreibung Tschechiens in Form einer sechsteiligen Tondichtung beschäftigt. Natürlich gibt es da volkstümliche und patriotische Elemente, aber das Werk ist mehr als nur ein Gut, das ein Nationalgefühl heraufbeschwören soll. Thomas Guggeis, der für den erkrankten Daniel Barenboim eingesprungen ist und die ganze Tournee des West Eastern Divan Orchestra leitet, distanziert sich dann auch von zu viel tschechischem Patriotismus und legt das Werk eher im Sinne absoluter Musik an, wobei das Programm dann auch eine untergeordnete Rolle spielt und die Musik an erster Stelle steht. Guggeis ist Operndirigent und hat auf dem Konzertpodium nur relativ wenig Erfahrung.

Es ist ihm demnach hoch anzurechnen, dass er sich intensiv mit diesem gewaltigen, aber irgendwie unbeliebten und selten gespielten Zyklus auseinandergesetzt hat. Vor allem in seiner Behandlung des Orchesterapparates kann der junge Dirigent punkten. Alle Stimmen sin wunderbar herausgearbeitet, die gefährliche Architektur bleibt immer unter Kontrolle und die frische, analytische Wiedergabe hat durchaus sehr reizvolle Momente. Was dem Ganzen aber fehlt, ist das Salz in der Suppe. Alles wirkt ziemlich akademisch und die Phrasen aneinandergereiht; das Werk ist sehr gut einstudiert worden und wird vom WEDO spieltechnisch hervorragend, musikalisch aber streckenweise recht langweilig wiedergeben. Wie gesagt, mir fehlt der Atem, die Emotion, die Innenspannung.

Hier ist man auch vom Orchester enttäuscht, das weder farblich noch interpretatorisch eine lebendige Beziehung zu der Musik herstellen kann. Tschechische Atmosphäre und Smetanas wunderbare Farben in „Vysherad“ und in „Aus Böhmen Hain und Flur“ sucht man vergebens. Die Dramatik in „Sárka“, „Tábor“ und „Blanik“ will nicht so recht packen und von der Wildheit und Schönheit der Moldau ist keine Spur. Thomas Guggeis, und das ist in diesem Sinne verständlich, will keine Risiken eingehen und das Stück möglich geschlossen über die Bühne bringen. Das gelingt ihm dann auch überzeugend. Vor allem aber wächst hier ein junger Dirigent heran, der das Zeug dazu hat, ein wirklich großer zu werden.