/ Zuerst Tokio, dann Steinfort

(Lugdivine Unfer)
Als er noch längeres Haar hatte, ähnelte Schlagzeuger Jeff Herr ein wenig Dave Grohl, seinerseits Sänger der Foo Fighters. Dave Grohl, den man immer wieder den „Mister Nice Guy“ des (nicht mehr so) Alternative Rock nennt. Eine Bezeichnung, die auch, trotz des kürzeren Haarschnitts, auf Jeff Herr zutrifft.
Einen Tag vor dem Auftritt seiner Jeff Herr Corporation mit Gastgitarrist Adam Rogers treffen wir uns in der Philharmonie. Wir trinken Automatenkaffee aus Bechern, um uns herum wächst die Menschenmenge und der Geräuschpegel steigt ständig. Jeff Herr lässt sich davon nicht beirren, redet gelassen und entschlossen. Ich frage klassisch und etwas einfallslos nach dem Schlüsselmoment, diesem Zeitpunkt, zu dem man sich entscheidet, dass eine Kunstform zum (schwierigen) Brotverdienst werden soll.
Schlagzeug und Erziehungswissenschaften
Nachdem Jeff Herr sich für diverse perkussive Instrumente interessiert hat und in Rock-orientierten Kumpelbands erste Erfahrungen sammelte, wurde ihm zuerst klar, dass er sich aufs Schlagzeugspielen konzentrieren würde – „das war weniger Arbeit“, fügt er sowohl scherzend als bescheiden hinzu.
Während seiner Studienzeit in Maastricht hat Jeff Herr eigentlich schon den Schlachtplan für seine zukünftige Karriere ausgeheckt: So belegte er neben den Jazz- und Schlagzeugklassen auch erziehungswissenschaftliche Kurse, wissend, dass ein zweites Standbein im künstlerischen Überlebenskampf durchaus von Nutzen sein würde.
Und tatsächlich pendelt Jeff Herr im Alltag zwischen der augenscheinlich bürgerlicheren Rolle des Musiklehrers und dem in der volkstümlichen Vorstellung wilderen Musikerleben. „Wichtig ist, das Gleichgewicht zu finden. Und ich bin in meiner aktuellen Lebenssituation überaus flexibel. Wenn ich mal auf Tour gehe, lasse ich mich ersetzen oder ich verschiebe meinen Unterrichtsplan.“
Entwurzelung
Auf dem letzten Tourplan der Jeff Herr Corporation fällt einem eine etwas eigenwillige Aufeinanderfolge auf: Auf Tokio folgt Steinfort. Wie fühlt es sich an, nach Tokio wieder in der luxemburgischen Provinz zu spielen?
„Ganz ehrlich? Auf der Bühne macht es nicht den geringsten Unterschied. Natürlich ist es großartig, durch die Straßen einer entfernten Großstadt zu schlendern und abends im Club dann fünf Leute zu haben, die sich um dein Schlagzeug kümmern. Außer atmen und aufs Klo gehen muss man sich da eigentlich um nichts mehr kümmern.“
Und trotzdem zieht es Jeff Herr immer wieder nach Luxemburg. „Klar, ich brauche eigentlich beides. Wenn ich zu lange im Ausland verweile, fühle ich mich … entwurzelt. Als ich die Jeff Herr Corporation damals nach einer Pause wieder ins Leben rief, rief ich nicht meine alten Bandmitglieder aus dem Ausland. Ich suchte Leute hier in der Gegend, weil es für die fürs Proben, Auftreten und die Aufnahmen einfach praktischer war.“
Music:LX
Welche Rolle spielt Music:LX beim Beschaffen der Auslandsauftritte? „Eine beachtliche. Music:LX kümmert sich natürlich nicht darum, deine Karriere für dich zu organisieren. Aber das Exportbüro für luxemburgische Musik bietet dir einfach Möglichkeiten – durch die sozialen Verknüpfungen, die jemand wie Patrice Hourbette über die Jahre erstellt hat – die du von dir aus kaum zur Verfügung hast. Anfänglich funktionierte Music:LX auch sehr demokratisch und bot (fast) jedem dieselben Leistungen an. Mittlerweile gibt’s da aber auch ein Ausschlussverfahren. Schließlich gibt es trotzdem so was wie eine erste und eine dritte Liga im luxemburgischen Musikbetrieb.“
Ein heikles Thema, natürlich. Denn niemand möchte gerne in der dritten Liga landen. Und Michel Welter verdeutlichte ja während der „Assises culturelles“ – mit dem typischen Charme eines neoliberalen Bankers, der sich in der Musikbranche verirrt hat –, dass man aufpassen müsse, sich nicht auf eine „culture d’assistés“ zuzubewegen.
Das Gespräch führt uns bald dazu, die lokale Jazzszene zu erwähnen. In der man schnell oben angekommen ist, aber aufgrund ihrer überschaubaren Größe auch genauso schnell wieder ganz unten landen kann. „Es gibt sicherlich Konkurrenzdenken und Neid. Aber auch eine beeindruckende Solidarität.“
Irgendwann sind wir im Liquid angekommen. Also nur verbal natürlich. „Das Liquid ist überaus wichtig für den Jazz in Luxemburg. Weswegen ich auch einmal im Monat dort mit der Liquid Houseband spiele. Im Liquid wurde eine extrem wichtige Pionierarbeit geleistet. Unzählige Bands und Projekte haben sich da gebildet, Projekte geformt. Das Liquid ist nach wie vor ein gutes Barometer: Es verrät dir, wie es der Jazzszene in Luxemburg so geht. Jeden Dienstag treffen sich dort Musiker als auch Fans, oft Jazzpuristen.“ Zu denen Jeff Herr sich nicht unbedingt zählt: „Ich bin zwar Jazzschlagzeuger, interessiere mich aber für fast alle Stilrichtungen. Inklusive Rock und Electro.“