Wirbelsturm in der Schneekugel

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Es scheint so einfach: Ein schönes Frauengesicht mit bekanntem Namen auf dem Plakat und das Theater platzt aus allen Nähten. Doch dass der Abend „Winter. Ein Roadmovie“ ein Erfolg wurde, lag auch am Mut für das Konzept.

Manchen Melomanen wird sicher angst und bange, wenn man ihnen Schuberts Winterreise in E-Gitarre-Tönen andrehen möchte. Vor allem, wenn man noch hinzufügt, dass die auf Wilhelm Müllers Lyrik basierenden Lieder so gut wie nie in ihrer Vollständigkeit gesungen, sondern beschnitten, verändert, modernisiert und ironisiert werden.

Dazu gibt es dann noch „Deutschland, ein Wintermärchen“, eine Diskokugel, die Hip-Hop-Version von „Mas que nada“ der Black Eyed Peas, eine Blockflöte, Europaflaggen, Vogelgezwitscher, Videos und einen Kuss zwischen Sarkozy und Merkel.

Der heilige Heinrich auf dem Sockel

Eine auf den ersten Blick ziemlich skurrile Mischung, die Katja Riemann ihren Zuschauern da anbietet. „Warum das noch keiner gemacht hat“, weiß sie selbst nicht so genau. „Ob man das darf, auch nicht“, schreibt sie in ihrem kleinen Vorwort „Vorweg“, das „to whom it may concern“ vor der Aufführung ausgeteilt wurde.

Man darf, denn die Mischung gelang, da Riemann die Werke Heines und Schuberts mit großem Respekt und spürbarer Zuneigung zu den beiden Meistern interpretierte. Sie hat sicher recht, wenn sie schreibt, dass man „lachen darf, auch wenn Heine doch bereits so heilig auf dem Sockel steht“ und dass das von ihm selbst sicherlich gewünscht wäre.

Gitarrist Arne Jansen

Für ihr „Roadmovie“ dienen Katja Riemann und dem wunderbaren Gitarristen Arne Jansen der Liederzyklus „Winterreise“ von Franz Schubert und Heinrich Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“ als Vorlage, als zugrunde liegende solide Basis.

„Winter. Ein Roadmovie“ ist jedoch ein völlig eigenes Kunstwerk, das Heines Heimkehr aus dem Exil, eine Winterreise von Paris nach Hamburg, nachzeichnet und dabei zeitlose Fragen behandelt und aktuelle Bezüge herstellt: Heimat und Heimatlosigkeit, die Sehnsucht nach dem Vaterland, nach den vertrauten Federbetten und Leberpasteten, gleichzeitig aber auch die Sehnsucht nach einem geeinten Europa mit offenen Grenzen, Solidarität und Austausch.

„Winter. Ein Roadmovie“ ist eine gewagte Mischung aus Klassik und Experimental, aus Gesang, Lesung, Schauspiel und Gitarre, aus Tradition, Moderne und Zukunftsvisionen und damit auch ein wunderbares Konglomerat des aktuellen Zeitgeistes.