„Wir leben in einem kriminellen Zeitalter“

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Wer den Namen der 70-jährigen US-amerikanischen Erfolgsautorin hört, denkt unweigerlich an Venedig und einen Polizeikommissar namens Brunetti.

In schöner Regelmäßigkeit erscheint Jahr für Jahr ein neuer Krimi mit dem Commissario und der Lagunenstadt in den Hauptrollen. Am Montagabend liest Donna Leon auf Einladung der Librairie Ernster im Utopolis auf Kirchberg aus „Tierische Profite“, dem bislang letzten Band der Reihe. Wir unterhielten uns im Vorfeld mit der Bestellerautorin.

Tageblatt: Sie wohnen seit 1981 in Venedig. Was fasziniert Sie so an dieser Stadt, und können Sie sich vorstellen, nach all diesen Jahren irgendwo anders auf diesem Planeten zu leben?

Donna Leon: „Das Einzigartige an dieser Stadt ist, dass nahezu alles, was man sieht, wunderschön ist. Es gibt nur wenige Städte, von denen man das behaupten kann. Ja, wegen der steigenden Touristenzahlen in den letzten Jahren kann ich mir durchaus vorstellen, mehr Zeit anderswo zu verbringen – ich vermeide die Stadt im Sommer und während des Karnevals.“

„T“: Die Idee zu Ihrem ersten Kriminalroman, in dem Commissario Brunetti auftaucht, soll Ihnen während eines Opernbesuchs gekommen sein. Können Sie uns mehr hierüber erzählen?

D.L.: „Das war bei einer Probe zu ‚La Favorite‘ in der Garderobe des Dirigenten Gabriele Ferro, ein alter Freund. Er, seine Frau und ich sprachen gerade über einen anderen Dirigenten. Irgendwann kamen wir darauf zu sprechen, wie es wäre, wenn er umgebracht und sein toter Körper hier im Opernhaus gefunden würde. Ich dachte mir, das sei doch guter Stoff für einen Roman, obwohl ich bis dahin nie daran gedacht hatte, einen zu schreiben. Und so verbrachte ich schließlich mehrere Monate mit dem Schreiben meines ersten Krimis.“

„T“: Sie sind ja ein großer Opernfan und lieben auch die Musik des Barock, speziell die von Händel. Können Sie uns sagen, was Sie an Händel so fasziniert?

D.L.: „Er ist der Komponist, dessen Musik mich am meisten entzückt. Da ich selbst keine Musikerin bin, kann ich hierzu auch nicht viel mehr sagen. In seiner Musik liegt eine uneingeschränkte Freude. Freunde von mir, die Sänger sind, betonen, dass er die Gesangsstimmen wie kein anderer versteht und immer gut behandelt.“

„T“: Sie spielen also kein Instrument?

D.L.: „Nein, ich selbst bin – abgesehen von meiner Liebe zur Musik – vollkommen unmusikalisch. Mir fehlt ganz einfach das Talent dazu.“

„T“: In Ihrem neuen Roman entführen Sie den Leser in ein Schlachthaus, in dem dunkle Machenschaften stattfinden. Haben Sie sich dabei an den mehr oder weniger rezenten Lebensmittelskandalen inspiriert? Und inwiefern glauben Sie, dass das moderne Konsumverhalten an solchen Skandalen schuld ist?

D.L.: „Seit Jahren, vielleicht schon seit Jahrzehnten, lese ich über Lebensmittelskandale. Als ich noch studierte, habe ich ‚The Jungle‘ von Upton Sinclair gelesen und ich habe den Verdacht, dass sich bis heute wenig geändert hat. Dabei wurde das Buch vor einem Jahrhundert geschrieben. Menschen wollen Fleisch essen, und sie wollen, dass es billig ist. Wenn man nicht mehr als zwei Euro pro Kilo Schweinefleisch oder Geflügel ausgeben will, dann müssen verschiedene wirtschaftliche Regeln in Betracht gezogen werden: Ein solch günstiges Fleisch kann nicht anders als auf industrielle Art und Weise produziert werden. Das bedeutet, dass das Endprodukt ein industrielles Produkt sein muss, das sich in der Qualität deutlich von dem unterscheidet, das man bei einem Landwirt, von einem natürlich aufgewachsenen Tier (was immer das auch heißen mag), das ein gesundes, normales Leben führte, bekommt. Wenn Tiere in engen Käfigen auf kleinstem Raum gehalten werden und ihr Leben lang die Sonne nicht sehen, dann sind sie anfällig für Krankheiten. Und diesen Krankheiten kann man nur mit Medizin und Chemikalien entgegenwirken.

Wir leben in einer Zeit, in der viele Antibiotika nicht mehr wirksam gegenüber den Keimen sind, die sie eigentlich vernichten sollen. Gibt es hier vielleicht eine Verbindung? Die Tiere werden mit solchen Präparaten versorgt, und so gelangen diese schließlich auch in die Körper der Menschen, die das Fleisch essen. Solange die Menschen also billiges Fleisch wollen, wird die Konsequenz Fleisch von schlechter Qualität sein.“

„T“: Seit mehr als zwei Jahrzehnten hat Commissario Brunetti in schöner Regelmäßigkeit Jahr für Jahr Verbrechen aufzuklären. Haben Sie keine Angst, dass Ihnen eines Tages die Fantasie für eine neue Geschichte ausgeht?

D.L.: „Mein Problem ist genau andersrum anzusiedeln: Mir fallen einfach zu viele Dinge ein, über die ich schreiben will. Wir leben in einem kriminellen Zeitalter (obwohl ich den Verdacht habe, dass jedes Zeitalter kriminell war), aber vielleicht ist es so, dass die Leute heutzutage nicht mehr dasselbe Vertrauen in Institutionen wie Kirche, Staat, Polizei und Militär haben. Das ermöglicht es dem Schriftsteller, breitere Aspekte anzugehen und dabei sicher zu sein, beim Leser auf Interesse zu stoßen.“

„T“: Welche Bücher lesen Sie eigentlich selbst? Haben Sie einen Lieblingsautoren?

D.L.: „Ich mag die britische Literatur des 19. Jahrhunderts, griechische und römische Historiker und überhaupt sehr viel Geschichte. Meine Lieblingsautorin ist Jane Austen.“

„T“: Was erwartet die Besucher anlässlich Ihrer Lesung?

D.L.: „Ich kann nur hoffen, dass es unterhaltsam und amüsant werden wird.“

Am Montagabend um 19.30 Uhr liest die Erfolgsautorin Donna Leon im Utopolis aus ihrem neuesten Brunetti-Roman.

Tickets

www.ernster.lu