Wie alt war eigentlich Romeo? Bildung in den USA

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Halbzeit ist angesagt bei Dan Kolbers Highschool-Jahr in Blackfoot im US-amerikanischen Bundesstaat Idaho. Alle zwei Wochen schreibt der 18-jährige Luxemburger über seine Eindrücke und Erlebnisse im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Über Fastfood, Wrestling, männliche Cheerleader und weihnachtliche Spendenrituale hat er schon erzählt. Heute geht’s um Bildung und was eine Highschool so alles anrichtet. Den zweiten Teil gibt es in zwei Wochen.

Ich habe das Thema bisher vermieden. Unbewusst bin ich ihm aus dem Weg gegangen. Ich bin in meinen Texten durch die Themenlandschaft Amerikas gewandert und dabei um den zentralen Knotenpunkt meines Austauschjahres umherspaziert, als gelte es, ihm keine besondere Beachtung zu schenken, als würde er nicht seinen grauen Schatten über die sonst sonnengetränkten Wälder und Hügel meines Amerika-Aufenthaltes legen.

Ja, es ist Tag für Tag ein anstrengender Prozess aktiver Tagträumerei: Befinde ich mich gefangen im grauen Reich, erträume ich mir Sonnenlicht und das Blau des Himmels? Und an den Wochenenden, wenn man mir die Ketten ablegt, flüchte ich rasch in den Glanz der da draußen für mich scheinenden Sonne, welcher lockend den Schatten umrandete, und vergesse alles Dunkel. Da ist Licht irgendwo, denke ich sehnsüchtig jeden Tag, da ist Erleuchtendes, Helles da ist … das Leben außerhalb der Highschool. Diese berühmte, sagenumwobene amerikanische Highschool …

Erinnere ich mich an die Zeit kurz vor meinem Abflug in die USA, kommen mir einige gut gemeinte Ratschläge, aber auch einige mit gesenktem Blick vergebene Beileidsbekundigungen in den Sinn. Die Ratschläge legten mir meist nahe, nicht zu negativ über die USA zu reden, wenn ich mich unter den Amerikanern befinden würde, sie seien äußerst stolze Menschen. Die Beileidsbekundigungen kreisten jedoch meist um dieses eine ominöse Thema: das amerikanische Schulsystem.

Rohstoffarm, staubig und wüstenähnlich

Und ja, es tut mir zwar weh im Herzen, wenn ich Vorurteile mit einem leichten Nicken bestätigen muss, aber die Highschool, die zwischen Fastfood-Restaurants und Autoverkaufshäusern treibende Insel des Wissens, ist rohstoffarm, wüstenähnlich, staubig.

Jetzt mag man mir vorwerfen, ich sei ein allzu strenger Richter und voller europäischer Eitelkeit, aber darauf kann ich mit einem simplen Beispiel antworten: Ich bin nicht allein. Zu meinen guten Freunden zählt auch ein junger Brasilianer, den es, wie mich, für ein Jahr nach Blackfoot verschlagen hat. Er sprach fast kein Englisch, bevor er nach Amerika kam, fürchtete, dass die Schule ihm so manche Probleme bereiten würde.

Aber, kein Grund zur Sorge! Die Offenheit des amerikanischen Schulsystems für Austauschschüler drückt sich wohl in ihrer Anspruchslosigkeit aus. Dabei ist es nicht mal so, dass Austauschschüler besonders zuvorkommend benotet werden, das kann man bei Multiple-Choice-Tests nur schwierig und dafür gibt es auch ganz einfach keinen Grund, denn mein Freund bekommt ohne große Anstrengungen bessere Noten als der Klassendurchschnitt.

Aber um das Ausmaß des ganzen noch mal klarzustellen: Mein Freund, der aus São Paulo kommt, ist keineswegs sehr reich, noch besucht er in Brasilien eine Elite-Schule; man könnte ihn als normalen brasilianischen Studenten beschreiben, der glücklicherweise eine Ausbildung genießen kann. Er, aus Brasilien kommend, ein Land, das, besonders aus der Perspektive der Amerikaner, nicht gerade weit entwickelt ist, kommt in die USA, das großartige Amerika, welches sich selbst als am weitesten entwickelte Nation ansieht, und kann nicht fassen, wie leicht und anspruchslos die Schule hier ist! Amerika, was ist hier los?

Ich besuche eine „Honors American Literature“-Klasse. Das „Honors“ bedeutet, dass die Klasse etwas anspruchsvoller sein soll. In dieser Klasse werden natürlich Bücher gelesen, sie soll den Schülern ja die Literatur nahe bringen.

Wir bekommen also zum Beispiel ein Buch, wie das äußerst interessante und konfliktreiche Buch „The Jungle“ von Upton Sinclair zur Lektüre. Wir müssen es zu Hause lesen, aber reden dabei in der Klasse nicht eine Minute über das Buch, die sozialen Konflikte, die es auslöste, das Problem Kapitalismus-Sozialismus, um welches sich das ganze Buch dreht! Und dann irgendwann haben wir einen MultipleChoice-Test über dieses Buch, in dem wir gefragt werden, wie alt die jeweiligen Romanfiguren sind … Et voila, das war Upton Sinclair!

Nächster Halt: Shakespeare!
Hmmm, wie alt war eigentlich Romeo?
Dan Kolber