Neue CD von Sabine WeyerWerke von Nikolai Mjaskowski und Nicolas Bacri

Neue CD von Sabine Weyer / Werke von Nikolai Mjaskowski und Nicolas Bacri
Sabine Weyer bei den Aufnahmen Foto: privat

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In Kürze erscheint die neue CD der luxemburgischen Pianistin Sabine Weyer, die sich durch ihre Konzerte und Einspielungen von Werken von Bach, Debussy und Schostakowitsch auch international einen hervorragenden Namen gemacht hat. Wir haben uns mit der Künstlerin unterhalten. 

Tageblatt: Für Ihre rezente CD „Mysteries“, die am 8. Januar 2021 offiziell erscheinen wird, haben Sie Werke von Nikolai Mjaskowski und Nicolas Bacri gegenübergestellt. Wie ist es zu diesem Programm gekommen?

Sabine Weyer: Als ich vor etwa zwei Jahren die Musik von Bacri entdeckte, war ich sofort begeistert von deren hochemotionalen Lyrik. Ich suchte also nach Klavierwerken und stieß rasch auf die 2. Klaviersonate, die mir gerade durch ihren Facettenreichtum sehr gut gefiel. Ich studierte die Sonate also ein und fuhr nach Brüssel, um sie dem Komponisten vorzuspielen. Nach einem langen und intensiven Austausch rund um seine Musik hat er mir von einem russischen Komponisten erzählt, dessen Musik ihn sehr begeistert: Nikolai Mjaskowski. Der Name war mir nicht unbekannt, aber ich muss zugeben, dass ich seine Klaviersonaten noch nicht kannte, sondern nur einige seiner 27 Symphonien. Bacri berichtete, dass er seine eigene dritte Klaviersonate dem Angedenken des russischen Meisters gewidmet hat, da es zwischen beiden Sonaten strukturelle und stimmliche Ähnlichkeiten gibt. Ich wurde hellhörig und begann die Klaviersonaten von Mjaskowski zu hören, dann zu spielen, zu lieben und sie schließlich auf CD einzuspielen.

Mjaskowski ist, obwohl er hierzulande nur wenig gespielt wird, eine wichtige Figur der russischen Musikgeschichte, zumal sein Schaffen verschiedene Perioden umfasst. 

Ein zu Unrecht vergessenes oder fast vergessenes Genie! Mjaskowski hat als einziger Komponist in der UdSSR fünf Mal den Stalin-Preis bekommen und war zu seinen Lebzeiten höchst angesehen als Professor für Komposition am Moskauer Konservatorium und auch als Komponist neben seinen Kommilitonen Prokofjew, Glière, Chatschaturjan und natürlich Schostakowitsch. Dass seine Musik in Europa nicht bekannter ist, liegt hauptsächlich daran, dass sie nach dem Tode Mjaskowskis streng hinter dem Eisernen Vorhang blieb. Und auch als der in Paris ansässige französische Verlag „Le Chant du Monde“ der Familie anbot, die Musik endlich in Europa zu veröffentlichen, traf diese Idee zunächst auf heftige Ablehnung, da die Familie der Meinung war, eine Veröffentlichung in einem kapitalistischen Land sei ein Verrat am kommunistischen Russland. Es hat mehrere Jahrzehnte gedauert, bis sich die Musik dann doch ein bisschen in Europa verbreiten und schlussendlich von „Le Chant du Monde“ veröffentlicht werden konnte. Es lohnt sich jedenfalls, diesen Komponisten zu entdecken, denn, wie Sie sagen, umfasst seine Musik mehrere Perioden und demnach mehrere Ausdrucksweisen. Seine ersten Werke, wie beispielsweise seine erste Cellosonate mit Klavier op. 12, sind noch sehr in der romantischen Tradition verwurzelt, und in gewisser Hinsicht auch seine zweite Klaviersonate op. 13, die ich auf meiner CD eingespielt habe. Dann folgt, parallel zu dem politischen Tumult der zwanziger Jahre, eine aufgewühlte, expressionistische, fast atonale Periode, wie es beispielsweise seine dritte Klaviersonate op. 19 sehr gut zeigt. Am Ende seines Lebens und unter dem Druck der repressiven Kulturpolitik von Andrei Schdanow kehrt Mjaskowski dann wieder zu einer tonaleren Sprache zurück.

Was ist jetzt insbesondere zu seinen Klavierwerken zu sagen? 

Die beiden hier eingespielten Sonaten sind in einem einzigen Satz komponiert und beruhen daher auf der von Liszt eingeführten einsätzigen Sonatenform wie beispielsweise der Sonate in h-Moll von 1853. Die zweite Sonate hat auf den ersten Blick eine rhapsodische Struktur, beruht aber dennoch auf zwei Themen, nämlich Durchführung und Coda. Nach dem ersten Drittel des Werkes erscheint das Thema des Dies irae, das Thema der gregorianischen Totenmesse. Eine Fugenskizze, fast atonal und satanisch, führt zu einer verzweifelten Coda, die in Schwärze versinkt. Auch wenn viele Harmonien und Momente eruptiver Leidenschaft immer noch an die romantischen Verführungen Rachmaninows oder des ersten Skrjabin erinnern, die chronologisch nahe beieinander liegen, geht diese Todesverzweiflung und Hoffnungslosigkeit weit über das hinaus, was sie geschrieben haben, und man fragt sich, ob Mjaskowski dort nur die Qualen seiner Seele zum Ausdruck bringt oder bereits eine Vorahnung der Katastrophen hat, die über die Welt hereinbrechen sollten. In der dritten Sonate wird die Tonsprache dann wesentlich rauer, keine romantischen, bezaubernden Harmonien mehr, sondern Verzweiflung pur, Wut, Tumult und schmerzhafte Schwermut. In puncto Struktur ähneln die beiden Sonaten sich sehr, im Klima allerdings sind sie von Grund auf verschieden. 

Ähnlich vielseitig wie Mjaskowski ist auch der 1961 geborene Nicolas Bacri, von dem Sie drei Werke eingespielt haben. Was interessiert Sie persönlich an seiner Musik? 

Bacris Musik ist, im Gegensatz zu der Musik von vielen zeitgenössischen Komponisten, stets lyrisch und expressiv geladen. Auch wenn er in seiner ersten Schaffensperiode, etwa die 20 ersten Werke, bewies, dass er auch atonal schreiben kann, hat er sich ungefähr seit 1990 immer mehr wieder der Tonalität und den klassischen Formen wie der Sonate oder der Symphonie gewidmet. Die drei Klavierwerke, die auf der CD zu hören sind, bilden ein schönes Triptychon und sind den Sonaten von Mjaskowski strukturell sehr nahe. Die dritte Sonate führt außerdem die aufgewühlte Stimmung der Mjaskowski-Sonate in einem bedrückten Klima der Trostlosigkeit weiter. 

Die Aufnahmen zu Ihrer CD fallen in diese unglückliche Corona-Zeit, die ja den kulturellen Sektor besonders schlimm getroffen hat. Was bedeutet das für Sie als Musikerin und wie wirkt es sich auf Ihre Arbeit aus? 

Diese Zeit ist eine große Herausforderung für die ganze Gesellschaft. Natürlich sind Musiker sehr davon betroffen, da alle Konzerte abgesagt wurden. Man arbeitet weiter, aber stets in der Unsicherheit. Das ist nicht einfach. Ich bin nach wie vor aktiv und engagiert, mache Aufnahmen, übe neues Repertoire, höre enorm viel neue Musik, die mir frische Ideen für später gibt, aber immer mit dem unguten Gedanken im Kopf, dass all diese Pläne im letzten Moment vielleicht doch nicht konkret werden können. Man wird sich noch bewusster, welches Glück es doch ist, für ein Publikum live spielen zu können, besonders jetzt, da sich die ganze Kulturwelt notgedrungen digitalisiert. Ich finde, dass die virtuellen Konzerte keine Alternative zu den richtigen Konzertsälen sind und sehne mich sehr zurück zur Bühne.