Wenn Welten kollidieren

Wenn Welten kollidieren
(movieweb)

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In Cannes wurde er bejubelt und ausgebuht, aber der ausschließlich von Frauen getragene Film des französischen Regisseurs Olivier Assayas ist wunderbar durchdacht und vielschichtig.

Maria Enders (Juliette Binoche) soll in einer Neuinterpretation des Stückes mitspielen, das sie 20 Jahre zuvor berühmt gemacht hat. Während sie damals die Rolle der Sigrid interpretierte, eine verführerische junge Frau, die ihre Chefin Helena umgarnt, verführt, manipuliert und letztendlich in den Selbstmord treibt, soll sie nun die Seiten wechseln und selbst die Rolle der alternden Helena übernehmen.

Gefragt wird sie von Klaus Diesterweg (Lars Eidinger), einem jungen deutschen Regisseur. Die Rolle der Sigrid soll Jo-Ann Ellis (Chloë Grace Moretz), ein skandalumwittertes Sternchen aus Hollywood, spielen, die wohl noch nicht einmal die 20 überschritten hat.


Das Altwerden

Natürlich geht es hier ums Altwerden, darum, wie es gerade für eine weibliche Schauspielerin ist, wenn die attraktiven Rollen ausgehen, wenn man plötzlich merkt, dass die Zeit einen eingeholt hat, dass da junge Schauspielerinnen nachkommen, mit ihrer neuen, oft für andere Generationen schwer verständlichen Sicht auf die Welt und mit ihrem neuen Publikum, das man selbst nur noch so schwer zu erreichen vermag.

Maria Enders ringt mit sich, will sich dieser Auseinandersetzung mit dem Alter, ihrer Vergangenheit und vor allem dem Status Quo ihrer eigenen Arbeit nicht so radikal stellen. Doch gemeinsam mit ihrer persönlichen Assistentin Valentine (Kristen Stewart) beschließt sie, den Job doch anzunehmen und sich nach Sils Maria im schweizerischen Engadin zurückzuziehen, um sich auf die Rolle vorzubereiten.

Dort hat der Autor des Stückes und Marias Freund und Entdecker gewohnt, bevor er sich das Leben nahm, dort entfaltet sich nun die eigentliche Geschichte des Films. In der schweizerischen Berglandschaft in einem einsamen Haus leben Maria und Val nun zusammen, machen lange Bergspaziergänge, trinken viel Rotwein und Cognac, üben den Text, interpretieren, deuten, streiten und verletzen sich, um dann bei Bier und Burger gemeinsam in schallendes Gelächter auszubrechen.

Generationenkonflikt

Es ist die Beziehung zwischen Maria und Val, die diesen Film in erster Linie trägt. Jene Kinobesucher, die Kristen Stewart nur aus den Verfilmungen der Twilight-Romane kennen und meinen, sie könne nur diese darin benutzten zwei Gesichtsausdrücke, werden von ihr in „Clouds of Sils Maria“ begeistert sein. Sie spielt in manchen Szenen sogar die große, erfahrene Juliette Binoche an die Wand. Oder ist das Absicht?

Genau darin liegt der Reiz des Films: Die Grenzen verschwimmen, was ist Leben, was ist Inszenierung? Ist das Theater wirklicher als das Leben, wer spiegelt hier wen? Wer steht denn nun in dem Generationenkonflikt auf der Gewinner-, wer auf der Verliererseite? Und vor allem: Wie gehen Menschen mit dem Aufeinandertreffen verschiedener Perspektiven und Standpunkte um?

Olivier Assayas, der ja selbst nicht mehr der Allerjüngste ist (geboren 1955), führt hier mit den Mitteln seiner Regiearbeit ein bemerkenswertes Selbstgespräch. Er setzt sich, ohne dabei den moralischen Alt-Männer-Zeigefinger zu benutzen, mit dem Kollidieren verschiedener Welten auseinander, mit den Regeln des klassischen Theaters und jenen der neuen Medien, mit Internetruhm und Bühnenapplaus, mit Hollywood-Mainstream und Arthouse-Kino. Dass er dabei jeden mit seinen eigenen Waffen schlägt und gleichzeitig ein beeindruckendes großes Ganzes schafft, zeugt nicht nur von Erfahrung, sondern auch von geistiger Flexibilität. Und die hält jung. Der Film ist der Beweis.