Alain spannt den Boden„Wenn Künstler geblendet sind, dann sind sie gut ausgeleuchtet“

Alain spannt den Boden / „Wenn Künstler geblendet sind, dann sind sie gut ausgeleuchtet“
Frank Reinard Foto: Eric Engel

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Für das zweite unserer Backstage-Interviews in der Philharmonie hat sich das Tageblatt mit dem Beleuchter Frank Reinard unterhalten.

Tageblatt: Herr Reinard, wie wird man Beleuchter in der Philharmonie?

Frank Reinard: Erst mal muss man Beleuchtungsmeister werden. Und dann hat es sich einfach so ergeben. Ich bin jetzt schon zehn Jahre hier, vorher war ich Freelance, hatte eine eigene Firma und habe viele Projekte in der Philharmonie gemacht. Dann kamen aber immer mehr Anfragen hier aus dem Haus und ich habe dann beschlossen, einfach ganz hier zu arbeiten. Ich wurde damals eingestellt, um die bühnentechnische Abteilung zu koordinieren, aber Beleuchtung war schon immer mein Steckenpferd. Um die Beleuchtung kümmere ich mich am liebsten. Beleuchtung, Video, Ton, mein Team und ich machen eigentlich alles, nur die Konzerte des Orchestre Philharmonique du Luxembourg werden nicht von uns abgedeckt. Außer, wenn das Orchester mit einem Künstler wie beispielsweise Gregory Porter oder einer Jazz-Sängerin auftritt, wo noch Sonorisation, Effektlicht oder eine spezifische technische Komponente hinzukommen. Das machen wir dann. Ebenso wie Kinderproduktionen, Galas und besondere Events.

Was ist denn für Sie das Faszinierende an der Beleuchtung?

Mit Licht können Sie unheimlich viele Emotionen hervorrufen und Stimmungen schaffen. In klassischen Konzerten ergänzt das Licht sozusagen den Klang, unmerklich, trotzdem wird es von jedem wahrgenommen. Eine falsche Note hören sie kaum, aber wenn die Lichtfarbe nicht stimmt, zu hell oder zu dunkel ausgeleuchtet wird, das merken die Leute schon. Allerdings ist ein klassisches Orchester relativ einfach auszuleuchten und trotzdem: Das Licht muss so eingestellt sein, dass die Musiker ihre Noten lesen können, das Gesicht des Solisten und des Dirigenten zu erkennen ist und es keine störenden Schatten gibt. Wirklich interessant für uns wird es, wenn Gäste wie Gregory Porter kommen oder Gast Waltzing mit einer Jazz-Sängerin auftritt. Dann wird es einfach poppiger und wir dürfen dann auch mehr mit dem Licht spielen. Natürlich haben die Künstler auch ihre eigenen Wünsche, die wir dann berücksichtigen.

Spielt die Musik selbst eine Rolle für Sie?

Natürlich, ich höre mir vorher gerne die Stücke an und erstelle beim Abhören dann einen Lichtplan und versuche, ein ideales Ambiente zu kreieren. Wie jetzt vor kurzem bei dem Konzert mit der Sopranistin Patricia Petibon, wo sie szenisch vor dem Orchester agierte. Die Stimmung sollte mit Licht kreiert werden. Sie sitzt ja in einem Wohnzimmer auf der Couch oder geht umher und spricht eigentlich in ein Telefon. Und dann haben wir auf der Bühne der Philharmonie und vor dem Orchester einen Raum aus Licht kreiert. Es gab aber schon einen Lichtdesigner, der für diese Produktion, die auch in Paris aufgeführt werden sollte, verantwortlich war und seine festen und ausgearbeiteten Ideen hatte. Und an uns war es dann, dieses Lichtkonzept praktisch umzusetzen. Ich muss wissen, was die Lampe kann, was ich mit der Lampe erzeugen will und an welcher Position sie hängt. Ich setze mich dann hin und zeichne einen Beleuchtungsplan auf, der unseren Gegebenheiten im Saal, der Szenerie und den Bewegungsabläufen entspricht. Das alles wird ja in relativ kurzer Probenarbeit erstellt und da muss man schon viel Erfahrung mitbringen. Das wissen Profis auch.

Was versteht man unter „gutem Licht“?

Das hängt immer vom Event ab. Wenn wir im Foyer der Philharmonie ein Bankett haben, dann verändern wir ja die ganze Atmosphäre. Gutes Licht ist, wenn die Leute hereinkommen und sagen: „Ouii, was ist das denn?“ Die wissen ja nicht, dass es das Licht ist, aber sie spüren die Atmosphäre. Und wenn die Leute sich bei einem Jazz-Konzert einfach nur wohlfühlen, dann wissen Sie, dass sie mit dem Licht alles richtig gemacht haben. Bei Jazz-Konzerten leuchten wir oft in blau oder pink aus, das sind einfach typische Jazz-Farben. Nur wenn wir Jazz at Lincoln Center zu Gast haben, dann machen wir etwas anderes. Sie haben auf der ganzen Welt immer die gleichen Farben und freuen sich, wenn man, wie hier, auch einmal etwas anderes ausprobieren kann. Und wenn diese Künstler dann regelmäßig bei uns auftreten, dann weiß man das und sie sind immer sehr dankbar für dieses Extra, sag ich mal. Gutes Licht ist, wenn kein Gast sich bedrängt fühlt. Wenn Licht blendet oder Gäste sich bei einem Empfang nicht ordentlich unterhalten können, weil das Licht zu hell ist, dann haben Sie etwas falsch gemacht.

Wie groß ist denn Ihr Team?

Wir machen ja quasi alles von Bühnentechnik bis Beleuchtung. Das ist anders als im Theater. Unser Direktor lässt uns ja auch sehr viel Kreativität, sodass wir uns alle selber mit Ideen einbringen können. Er gibt zwar die Richtung an, lässt uns aber dann freie Hand. Sowieso, ohne Leidenschaft geht es nicht. Die braucht man für diesen Job. Wir sind zu vier Beleuchtern, können aber genauso gut ein Soundsystem anschließen. Einen Soundmix können wir aber nicht machen.

Die Philharmonie hat ja einen eher dunklen Konzertsaal. Ist es schwieriger, einen dunklen Saal als einen hellen optimal auszuleuchten?

Um einen dunklen Saal auszuleuchten, brauchen Sie sehr viel Energie und Fingerspitzengefühl. Wenn Sie hier beispielsweise einen Pianisten vorne optimal ausleuchten, sehen Sie die Orgel quasi nicht mehr, weil es dann dunkel ist. Dann müssen sie das quasi unmerklich korrigieren, sodass die gesamte Spielfläche ausgeleuchtet ist und trotzdem ein Fokus auf dem Solisten liegt. Auch unser dunkelroter Fußboden reflektiert überhaupt nicht, der schluckt jeden Lichtstrahl. Was sicherlich nicht optimal ist. In einem hellen Saal können Sie viel besser und mit viel weniger Equipment arbeiten. Natürlich spielt die Farbe des Saals auch eine wichtige Rolle bei der Schaffung einer Atmosphäre und das muss man natürlich miteinbeziehen. Das soeben erwähnte Konzert mit Patricia Petibon hätten wir in einem hellen Saal komplett anders ausleuchten müssen.

Aber ich gehe davon aus, dass nicht jedes Konzert manuell ausgeleuchtet wird.

Nein, das stimmt. Die Beleuchtung für ein Symphonieorchester ist z.B. fix im Dach eingebaut. Ein Konzert mit dem OPL können wir jederzeit auf Knopfdruck machen. Der Stagemanager vom Orchester drückt eine Taste und schon ist die Beleuchtung da. Unser Team tritt dann in Erscheinung, wenn individuelle Beleuchtungen gefragt sind, wie eben bei den Jazz-Konzerten, verschiedenen Konzertreihen oder bei Konferenzen. Wenn jetzt die großen internationalen Orchester kommen, da wird dann die gleiche Beleuchtung genommen wie beim OPL.

Klassische Symphoniekonzerte sind klassische Symphoniekonzerte, da machen wir keinen Unterschied. Das ist eigentlich auf der ganzen Welt gleich. So viel Licht kommt von oben, so viel von der Seite, so viel bekommt der Dirigent, das ist alles festgelegt. In einem Spielbetrieb wie der Philharmonie ist die Taktung so schnell, da muss man oft mit Standardeinstellungen arbeiten, ansonsten wäre das gar nicht zu bewältigen. Auch werden alle Lampen von einem Pult aus gesteuert. Da fährt heute niemand mehr mit einem Lift hoch und stellt die Position eines Scheinwerfers per Hand ein. Und was auch sehr wichtig ist, wir haben qualitativ hochwertige Leuchten, die komplett geräuschlos funktionieren und deren Belüftung man gar nicht hört.

Aber es gibt ja sicherlich auch Ausnahmen. Ich erinnere mich da an eine Johannes-Passion mit dem London Symphony Orchestra und Sir Simon Rattle in einer halb szenischen Inszenierung von Sir Peter Sellars.

Das war eine ganz, ganz besondere Herausforderung und eine tolle Erfahrung, die ich nicht missen will. Ich war am Vortag des Konzerts noch in Urlaub, als mich der Lichtdesigner der Produktion anrief und mir sagte, was er wollte. Weil es ja eine halb szenische Aufführung war, musste alles neu ausgearbeitet werden. Ich arbeitete die ganze Nacht an dem Beleuchtungsplan. Ich weiß nicht, wie viel Einstellungen ich damals neu programmiert habe. Rattle ist ja nicht auf seinem Podium stehengeblieben, er ist während der Aufführung permanent zu den verschiedenen Instrumentengruppen hingegangen und hat die Musiker von verschiedenen Positionen aus dirigiert. Aber es war toll, mit Peter Sellars zu arbeiten, der Mann ist genial und weiß genau, was er möchte. Und auch Simon Rattle. Er war sehr offen und zugänglich, ist mit Schokolade gekommen, die er als Nervennahrung an uns verteilt hat. Diese Johannes-Passion war ein wirkliches Schlüsselerlebnis und hat auch ungemein viel Spaß gemacht. Und ich habe wahnsinnig viel dabei gelernt. Nach der Aufführung bin ich dann ins Bett gefallen, da ging nichts mehr.

Sie haben schon mehrmals den Lichtdesigner erwähnt.

Ja, der Lichtdesigner legt die gesamte Beleuchtung für eine Produktion in Zusammenarbeit mit dem Regisseur oder den Künstlern fest, eben weil die Aufführungen, die ja meistens im Rahmen einer Tournee stattfinden, an verschiedenen Häusern gespielt werden. Unser Team hat dann die Aufgabe, diese Vorgaben so präzise wie möglich und innerhalb kurzer Zeit umzusetzen. Da kommt es dann auch nur sehr selten zu wirklichen Pannen und wenn ja, dann liegt es meistens daran, dass ein Missverständnis zwischen Lichtdesigner und Lichttechniker vorliegt. Wir sind ja auch technisch mega aufgestellt, sodass die Künstler in unserer Philharmonie immer besonders glücklich sind und auch immer wieder gerne herkommen. Vielleicht auch deswegen, weil hier alles sehr persönlich ist.