Wenn die Hülle fällt

Wenn die Hülle fällt

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Wenn man nach diesen intensiven 100 Minuten aus seinem Sessel aufsteht und gen Ausgang treibt, dann hat man nicht unbedingt das Gefühl, einen Kinosaal zu verlassen, sondern eher den Raum eines Museums fürzeitgenössische Kunst.

Denn nicht unbedingt eine Geschichte, sondern die Bilder sind es, die nach dem neuen Film „Under the Skin“ von Jonathan Glazer nachwirken.

Under the Skin
von Jonathan Glazer

• Mehrmals täglich im Utopia

www.utopolis.lu

Und somit ist die Geschichte auch schnell erzählt: Ein Alien kommt auf die Erde, schlüpft in die Haut einer schönen, jungen Frau und fährt mit einem weißen Lieferwagen quer durch Schottland, um einsamen Männern aufzulauern, sie zu verführen und zu töten. Angeblich da Menschenfleisch auf seinem Heimatplaneten als Delikatesse gilt und Nachschub gebraucht wird. Der Grund könnte aber auch ein anderer sein. Er ist nicht wichtig.

Jonathan Glazer, der langjährige und mehrfach preisgekrönte Werbe- und Musikvideo-Regisseur, hat es auf dem Filmfestival in Venedig selbst gesagt. Sein nach „Sexy Beast“ und „Birth“ dritter Kinofilm soll Zeugnis ablegen, über Schönheit, Liebe und Leidenschaft, über Gewalt und Tod, über die bezaubernden Seiten des Menschen, aber auch über seine hässlichsten. Da geht es nicht um narrative Details, sondern darum, abstrakten Begriffen eine bildliche Form zu geben. Kunst zu schaffen, um der Komplexität des Menschen ein wenig näher zu kommen.

Begegnung mit der Seele

Scarlett Johansson verkörpert dieses Kunstwerk quasi alleine. Sie ist die im wahrsten Sinne des Wortes vielschichtige Form für den Inhalt. Zunächst einmal ist sie eine schöne, junge Frau, die die Kunst der Verführung wie keine zweite beherrscht. Sie stürzt ihre männlichen Opfer reihenweise in den Abgrund und lässt sie in tiefem Schwarz ertrinken.

Glazers Regieeinfall, ihre Erscheinung als eine Hülle, als eine leblose, über den Körper des Aliens gestülpte Haut zu verkörpern, ist als Kunstgriff zu deuten, der es ihm ermöglicht, seine Hauptperson emotionslos, quasi maschinenartig agieren zu lassen. Je näher der Film jedoch seinem Ende zugeht, desto stärker scheint Glazer die Hülle mit dem Sein verschmelzen lassen zu wollen. Mit der Sprache der Bilder versucht Glazer somit dem, was man die Seele des Menschen nennt, zu begegnen.

Die Grenzen der Wahrnehmung

Natürlich erreicht man hier zwangsläufig die Grenzen der Wahrnehmung. Kunst ist subjektiv und jeder einzelne Zuschauer wird selbst feststellen müssen, inwieweit es den Bildern Glazers gelingt, das Undarstellbare darzustellen. Der Film ist polarisierend, er wird weiterhin sowohl auf Begeisterung als auch auf Ablehnung stoßen.

Auf jeden Fall jedoch ist der Film ein Film fürs Kino. Oder eben fürs Museum. Auf DVD – sein deutscher Filmverleih hat sich gegen die Ausstrahlung im Kino entschieden – werden die Bilder kaum ihre volle Wirkung entfalten können; teilweise grauenvoll realistische Bilder, teilweise an psychedelische Videoclips erinnernde Aufnahmen. Von der trostlosen Einöde Schottlands, die sich in Schönheit verwandeln kann, von den Zuckungen einer Ameise, von den Regentropfen, deren durchdringende Nässe beinahe spürbar wird, von einem diffusen Waldspaziergang, der aus Täter Opfer werden lässt, von der Transformation und Deformation des menschlichen Körpers oder von der vielen nackten Haut Scarlett Johanssons …

Gründe, sich den Film anzusehen, gibt es sicher viele.