KlangweltenWelcome Home: My Morning Jackets lang erwartetes Sequel zu „The Waterfall“ ist erschienen

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My Morning Jacket – The Waterfall II
My Morning Jacket – The Waterfall II

Als My Morning Jacket 2015 das späte Karrierehighlight „The Waterfall“ veröffentlichte, gab Frontmann Jim James zu verstehen, dass man aufgrund der ergiebigen Arbeitssessions zum Album Material für mindestens zwei, wenn nicht gar drei Platten hätte. Den Nachfolger hatten sich Fangemeinde und Kritiker eigentlich für das Folgejahr erwartet – dass zwischen Veröffentlichung der beiden Platten des Diptychons dann doch fünf Jahre verstrichen, lag unter anderem daran, dass James sich verstärkt auf seine Solokarriere konzentrieren wollte und mit „Eternally Even“ (2016) und „Uniform Distortion“ (2018) gleich zwei Soloalben veröffentlichte.

„The Waterfall II“ beginnt unspektakulär und überzeugend zugleich: Wer einen Midtempo-Track wie „Spinning My Wheels“ nicht, wie viele Bands es getan hätten, in die Mitte oder ans Ende der Tracklist stellt, sondern seine Platte mit dieser gemächlichen Ballade beginnt, zeigt sich risikobereit und selbstbewusst. Auf dem Opener besingt James fast schon in Henrik-Ibsen-Manier die Bereitschaft des Künstlers, sein Privatleben dem Schaffen zu opfern: „I’ve been wrong for so long/Risking my life for the sake of the song“, während delikat dahingetupfte Fender-Rhodes-Klänge mit wabernden Synthies rivalisieren, auf die sich unaufgeregte Gitarren und schöne Backing Vocals legen. „Still Thinkin‘“ verdeutlicht, was genau es mit dieser Aufopferung auf sich hat: Wie bereits „The Waterfall“ ist auch diese Platte ein Trennungsalbum – im Chorus, der klanglich wie textlich das traurige Pendant zum sexuell aufgeladenen „Make It With Chu“ von den Queens of the Stone Age ist, singt James: „Still thinkin‘/I could make it with you/What a fool I was“. Die Musik dazu kommt glücklicherweise ohne Pathos aus: Die Gitarrenmelodien sind spannend, die Pedal Steel, die dem ganzen Album ein sehr charakteristisches Klangbild aufsetzt, verleiht dem Song eine melancholische Grundnote, die im Kontrast zum treibenden Schlagzeug steht.

Die Musiker von My Morning Jacket waren stets für ihren stilistischen Eklektizismus bekannt – dank Jim James’ markanter Stimme blieb die Band aber trotz aller Experimentierfreudigkeit stets unverkennbar. Ganz so gewagt wie die stilistischen Exkurse, die „Evil Urges“ (2008) ausmachten, zeigt sich die Band hier zwar nicht, dafür gibt es dennoch Ausflüge in klangliches Neuland, die dem Album in den besten Momenten eine spannende Nomadenhaftigkeit verleihen und nur manchmal nach Identitätskrise klingen. Auf „Climbing the Ladder“ kombiniert die Band auf eine erstaunlich gelungene Art Country- und Indie-Rock in einem sehr eingängigen Song, „Magic Bullet“ ist ein tolles psychedelisches Stück über Waffengewalt in Amerika mit tollem Falsett, monotonem Bass, funkigen Gitarren, atmosphärischen Synthies und Blasinstrumenten.

Balladen gibt es haufenweise, was durch das überwiegende Thema – die Trennung, der vermisste Partner, die Erinnerung an schöne Zeiten – legitimiert wird. „Feel You“ wird durch das einfühlsame Falsett von Jim James und das intelligente Zusammenspiel der beiden Gitarristen aufgewertet. Auf „Beautiful Love (Wasn’t Enough)“ steht das Klavierspiel von Bo Koster im Vordergrund, „Welcome Home“, das der My-Morning-Jacket-Fan bereits von einer iTunes-Session kennen dürfte, ist eine stimmige, von Pedal Steel getragene Ballade und Closer „The First Time“ ein würdevoller Abschluss, der sich durch Jim James’ Melodieführung auszeichnet – im amerikanischen Indie-Rock gibt es kaum einen Sänger, der ihm das Wasser reichen kann.

Die oftmals gemächlichen Songs erlauben es sämtlichen Musikern, durch eine präzise, fast schon impressionistische Spielart zu zeigen, wie mühelos sie ihr Instrument beherrschen. Nur auf das ideenarme „Run It“ – solche Songs schreiben My Morning Jacket mittlerweile im Schlaf – hätte man verzichten können, zumal es ein weiterer akustischer Song auf einer Platte ist, die durchaus ein paar mehr treibende Songs hätte vertragen können: Man hätte sich definitiv mehr Tracks wie das progressive, bluesige „Wasted“ gewünscht. So ist das Album „The Waterfall II“ eine ausgezeichnete Ergänzung zu seinem Vorgänger, hätte aber wohl daran gewonnen, wenn die Band die Platte wie angekündigt kurz nach dem ersten Teil veröffentlicht hätte – so hätte sich ein kohäsiveres Gesamtwerk ergeben. Wenn er am Ende der Platte „I wonder where the time went“ singt, klingt James, als würde er die lange Wartezeit lakonisch kommentieren. (Jeff Schinker)

Bewertung: 8/10

Anspieltipps: Still Thinkin‘, Wasted, Spinning My Wheels, Magic Bullet