„Wehe dem, der keine Heimat hat“

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Auf Einladung der Akademie der Wissenschaften und der Literatur moderiert Nico Helminger am Donnerstag Abend in Mainz eine Podiumsdiskussion zu „literarischer Heimat“.

Doch was ist damit gemeint? Ein Ort? Die Sprache? Literarische Vorbilder? Erinnerungen und Kindheit? Oder ist Heimat doch nichts weiter als ein unnötiger, überholter Begriff?

Der Begriff der Heimat hat in den letzten Jahren zumindest im deutschen Feuilleton eine Art Rehabilitation erfahren. Man darf wieder „Heimatromane“ schreiben, ohne von Rezensenten gleich des Kitsches oder der Provinzialität beschuldigt zu werden. Es scheint, als sei es der Zeit gelungen, das Genre der Heimatliteratur von der nationalsozialistischen Blut- und Bodenliteratur zu lösen und ihr so ihre zumindest rein negativ konnotierte Bedeutung zu nehmen.

Eine „ziemlich deutsche Angelegenheit“

Dennoch bleibt es kompliziert. Heimat, was soll das sein? Ein Ort? Oder doch eher ein Gefühl? Auf jeden Fall ist Heimat eine „ziemlich deutsche Angelegenheit“, wie Nico Helminger meint. Schließlich könne man das Wort kaum in andere Sprachen übersetzen. Die „patrie“ im Französischen sei viel eindeutiger, klarer, bedeute aber etwas anderes, ebenso wie „pays d’origine“. Und selbst im Luxemburgischen werde das Wort „Heemecht“ – außer in der Nationalhymne – kaum mehr verwendet. „Ich brauche den Begriff auch nicht“, meint Nico Helminger. Er sei einerseits einengend, andererseits vage, einerseits belastet, andererseits beliebig. Deshalb hält er sich lieber an den Foucault’schen Begriff des Dispositiv, einer Anordnung von Träumen, Erinnerungen oder Wünschen, um Ausgangspunkte für das literarische Schreiben zu fassen zu bekommen. Schreiben habe für ihn immer etwas mit Bewegung zu tun, mit einem Weg, den es zu gehen gilt. Da passe der Begriff der Heimat nicht.

Perspektivenwechsel aus dem Exil

Doch sofort zitiert Nico Helminger Jean Améry, der in seinem Buch „Wieviel Heimat braucht der Mensch?“ Nietzsches bekannte Gedichtzeile „Wehe dem, der keine Heimat hat“ paraphrasiert; der Emigrant Améry meint: „Man muss Heimat haben, um sie nicht nötig zu haben.“

Damit ist gesagt, dass es wohl immer auf die Position des Schriftstellers ankommt, wie man mit dem Begriff der „literarischen Heimat“ umgeht. Dass er nicht einseitig zu definieren ist, ist mittlerweile klar. Umso spannender kündigt sich die Podiumsdiskussion an, die vier, mit Nico Helminger fünf, Schriftsteller mit unterschiedlichem Hintergrund am einen Tisch bringt: Fabienne Jacob, die in Paris lebt und schreibt, allerdings in einem kleinen Dorf in der Lorraine geboren wurde und auch dort weiterhin ihr wirkliches Ich verortet, Tanja Dückers, die trotz vieler Reisen immer ihren festen Wohnsitz in ihrer „Heimatstadt Berlin“ behalten hat, Ralph Schock, der einen eher wissenschaftlichen Ansatz verfolgt, um sich dem Begriff der „literarischen Heimat“ zu nähern und Georges Hausemer (siehe blauer Kasten), der von sich selbst sagt, eigentlich beschreibe er die Heimat anderer.

Heimat – ein Mythos? Eine Zumutung? Eine Utopie? Geistiger Nährboden? Projektionsfläche? Wohl etwas von allem …