Kopf des TagesWeder ausgebrannt noch verblasst – Rock-Ikone Neil Young wird 75

Kopf des Tages / Weder ausgebrannt noch verblasst – Rock-Ikone Neil Young wird 75
 Foto: dpa/Robert Michael

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Rock-Ikone Neil Young wird 75

Pflegeleicht war er nie – weder für Freunde und Bandkollegen noch für Plattenfirmen und Fans. Aber vielleicht kann nur ein oft unbequemer Musiker und Mensch wie Neil Young über sechs Dekaden ein so monumentales, einflussreiches Werk abliefern. Jetzt wird der kanadische Singer-Songwriter und Gitarrist, der im Januar eigens zur (letztlich erfolgreichen) Abwahl von Donald Trump auch die US-Staatsbürgerschaft erwarb, 75 Jahre alt.

Der am 12. November 1945 in Toronto als Sohn eines Sportjournalisten geborene Young war nie ein feinsinnig-belesener Folk-Poet wie Bob Dylan oder Leonard Cohen – seine Songverse sind einfach gestrickt, gehen mit Furor, Mitgefühl und Melancholie aber ähnlich tief unter die Haut. Young wurde auch kein Rock-Volkstribun für riesige Stadien wie Bruce Springsteen – und doch kann er in höllisch lauten Konzerten mit eindringlichen Liedern und schier endlosen Gitarrensoli Tausende unter Strom setzen.

Single-Hits hatte dieser mit einer gewöhnungsbedürftig fragilen (manche sagen: fisteligen) Stimme ausgestattete Musiker nur sehr sporadisch. Am nächsten dran an einer weltweiten Charts-Karriere war Young als Mitglied der populären Folkrock-Supergruppe Crosby Stills Nash & Young, mit der er 1969 beim legendären Woodstock-Festival auftrat. Und wenig später mit dem zarten Countrypop-Album „Harvest“ (1972) inklusive der Sehnsuchtsballade „Heart Of Gold“.

Doch anstatt diese Erfolgsfäden weiterzuspinnen, nahm der regelmäßig seine Bandbesetzungen wechselnde Songschreiber schwierige, eher unkommerzielle Platten auf, mit denen er neu gewonnene Verehrer vor den Kopf stieß: „Time Fades Away“, „On The Beach“ und „Tonight’s The Night“ – heute anerkannte Klassiker des Genres. 

Mit Mut zum Risiko schuf der von Kinderlähmung, Epilepsie und anderen Krankheiten heimgesuchte Musiker Referenzplatten zwischen Folk, Rock und Country – gleich sieben rangieren in der „ewigen Bestenliste“ des US-Musikmagazins Rolling Stone. Auch spätere Alben wie „Ragged Glory“ (1990), das schmerzhaft-schöne „Harvest Moon“ (1992), „Mirror Ball“ (1995) oder „Psychedelic Pill“ (2012) sind grandios. Manchmal spielt er mit viel jüngeren Musikern wie Pearl Jam oder Promise Of The Real, die ihn vergöttern – um sich bald wieder mit den raubeinigen Langzeitbegleitern Crazy Horse zu verbünden.

Seit er seine erste wichtige Band Buffalo Springfield verließ, um ab 1968 zumeist als Solokünstler zu arbeiten, sei Young „seiner Muse in unvorhersehbare Richtungen gefolgt“, aber stets ein großer, innovativer Songwriter geblieben, urteilt das Online-Lexikon Allmusic. 

Neil Young selbst beschrieb seinen unbezähmbaren Drang nach vorn mal so: „Eine gute Sache an der Vergangenheit ist doch, dass man sie nicht mehr ändern kann. Also gibt es auch keinen Grund, zurückzugehen (…). Die einzige Sache, die man ändern kann, ist die Gegenwart – und was als Nächstes passiert.“

In diesem Licht ist auch Youngs politisches Engagement zu sehen – für linksliberale (Hippie-)Werte, Umwelt- und Klimaschutz, notleidende Farmer oder Bürgerrechte, etwa von Afroamerikanern und Ureinwohnern in den USA und Kanada. Seine Triumphgefühle über Trumps Abwahl drückte er schon unmittelbar nach der Entscheidung vom 7. November auf seiner Webseite aus – mit einem Strahlemann-Bild des designierten neuen US-Präsidenten Joe Biden und der Überschrift „Biden beats Trump“ aus der New York Times.

Angesichts von so viel Feuer und Rastlosigkeit ist es fast ein Wunder, dass Neil Young einer seiner bekanntesten Songzeilen nicht selbst gefolgt ist: „It’s better to burn out than to fade away“ (Es ist besser, auszubrennen, als zu verblassen). Ein Super-Fan, der depressive Nirvana-Frontmann Kurt Cobain, begründete damit 1994 seinen Suizid – was Young sehr traurig machte.

Der „Godfather of Grunge“ marschierte trotzdem stoisch weiter und ist bis heute weder ausgebrannt noch verblasst. Man muss nur den ewigen, epischen Kampf des hochgewachsenen, verwitterten Mannes mit seiner berühmten Les-Paul-Gitarre „Old Black“ auf einer Konzertbühne beobachten, um diesen Eindruck bestätigt zu finden: Hier will ein phänomenaler Rockmusiker offenkundig „forever Young“ bleiben.