Warum Kopfkino schöner ist

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Die Verfilmung von Jo Nesbøs Roman „Schneemann“ enttäuscht

Liebes Hollywood, wir müssen reden: Hast du denn gar nichts aus der Weinstein-Affäre gelernt? Zum Beispiel, die Finger von potenziellen Partnern zu lassen, bei denen es aussichtslos ist? In deren Liga du nicht spielst und deren Bedürfnisse deinen ungleich sind? Halt dich doch bitte zurück, wenn man dir signalisiert, dass deine Pläne zum Scheitern verurteilt sind. Vor allem wenn es um die Verfilmung skandinavischer Literatur geht!

Der Krimi ist das dicke Stiefkind der Literatur. Nicht selten zerreißen sich Verfechter der Hochkultur die Kaviar- oder heutzutage wohl doch eher Chiasamen-verschmierten Mäuler über dieses literarische Genre, als habe sich seit einer verkorksten und verkappten Agatha Christie nichts getan. Fast möchte man meinen, der Referenzrahmen dieser Pöbler reiche nicht über Intelligenz-allergische „Tatort“Foto: Univer-Drehbücher hinaus.

Und dabei würde doch schon ab und an ein Blick über die Seitenränder nationaler Bücher genügen, um etwas nicht unbedingt Neues, aber dafür erfrischend anders Umgesetztes kennenzulernen. Dies gilt beispielsweise für skandinavische kriminalistische Romane, denen sicherlich nicht immer, aber oft eine ganz eigene Härte innewohnt und die eine raffinierte, die Gesellschaft betreffende Analysefähigkeit aufweisen. Es braucht nicht unbedingt das angeblich unglaublich authentische, allemal aber streckenweise einschläfernde autobiografische Geplänkel eines gehypten norwegischen Autors wie Karl Ove Knausgård, um den Literaturbetrieb der nordischen Länder schätzen zu lernen.

Diese Überzeugungskraft hat nämlich beispielsweise bereits der leider verstorbene schwedische Journalist und Schriftsteller Stieg Larsson mit seinem gesellschaftskritischen Meisterwerk, der Millennium-Trilogie, geleistet. In eine ähnliche schreiberische Kerbe haut der Norweger Jo Nesbø, der kürzlich mit „Tørst“ (deutsch: Durst) den elften Band seiner bekannten Reihe um den nicht gerade lebensbejahenden, aber kämpferischen Osloer Kriminalkommissar Hary Hole herausgebracht hat. Beide Autoren zeichnen, jeder auf seine Art, düstere Porträts ihrer jeweiligen Gesellschaft und dürfen als wahre Meister der Grautöne gelten. Ihre Charaktere sind nie nur „gut“ oder „böse“, sondern es wird eine große Varianz jener Seelen gezeigt, die in einer Brust weilen können.

Es entsteht eine menschliche Mehrdeutigkeit, die anderen Kriminalromanen oft fehlt. Durch gekonnte Beschreibungstechniken wird hier ungehobelten Protagonisten ein Feinschliff verpasst, der sie nicht weicher, aber dafür realistischer erscheinen lässt. Dies macht sie auch so beängstigend, denn dem Leser gelingt es nicht, sich von ihnen als reiner Fiktion zu distanzieren, da sie zu menschlich rüberkommen. Eine wahre Detail-Fundgrube für Regisseure, in die nun offenbar ein Filmemacher hineingestürzt ist und den Weg nicht mehr hinausfand.

Denn jetzt hat Nesbø mit dem Reihentitel „Snømannen“ das gleiche Schicksal ereilt wie Larsson vor einigen Jahren. Hollywood hat sich an seinem Werk vergriffen und es ganz schön verhunzt. Während Larsson noch posthum das Glück hatte, dass mit Daniel Alfredson ein schwedischer Regisseur (samt schwedischer Schauspieltruppe) Hand an sein Werk legte, bevor Fincher es sich unter den Nagel riss, war es bei Nesbø anders. Tomas Alfredson stammt zwar auch aus Skandinavien, ließ die Geschichte jedoch nach allen Regeln der Hollywood-typischen Unkunst untergehen.

Zu laut rieselt der Schnee

Und dabei hätte es wirklich gut werden können. Denn allein schon die Kühle und das Distanzierte in Nesbøs Romanen schaffen eine bedrohliche Atmosphäre. In der Romanvorlage gibt es eine kurze Sequenz am Anfang, in der ein kleiner Junge im Auto warten muss, während seine Mutter Sex mit einem Mann hat. Später sehen die beiden Erwachsenen einen Schneemann vor ihrem Fenster. Kurz danach stirbt die Frau. Das eigentliche Geschehen und die in der Folge zu klärenden Morde beginnen viele Jahre später mit dem Wintereinbruch und dem ersten Schnee. Frauen, besser gesagt Mütter verschwinden. Das Einzige, was an den Tatorten aufzufinden ist, ist ein Mann aus Schnee.

Der gerade mal wieder halbtrockene Kommissar Hary Hole soll herausfinden, was den Serienmörder antreibt und wie man ihn fassen kann. Unterstützt wird er von seiner neuen Kollegin Katrine Bratt, die hochmotiviert, aber ebenso eigenwillig wie er selbst regelmäßig Spuren nachgeht, ohne jedoch andere darüber in Kenntnis zu setzen. Das Privatleben der Einzelnen ist durchweg gestört, erlangt jedoch in seiner Beschreibung seine eigene traurige Poesie. Hary begegnet immer wieder seiner Ex-Freundin, der alleinerziehenden Rakel, und ihrem Sohn Oleg. Getrennt hatte sich das Paar wegen Harys Süchten, dem Alkohol und der Arbeit. Hary kann nie gleichzeitig von beidem weg, so bleibt die Familie auf der Strecke.

Nesbøs Romane leben von ihrer versierten menschlichen Irreführung. Immer dann, wenn man denkt, man habe ansatzweise verstanden, wer der Mörder sein könnte, belehrt er einen eines Besseren und es kommen 200 weitere Seiten. All diese Umwege fehlen im Film „The Snowman“. Obwohl man Kürzungen bei Romanverfilmungen ab und an nachvollziehen kann, kommt es hier jedoch zu starken Eingriffen in die ursprüngliche Story, die das Verständnis erschweren oder gar unmöglich machen. Diese Änderungen sind unpassend und unlogisch und lassen die scharfsinnig konzipierte Geschichte wie einen schnöden, unglaublich vorhersehbaren Fernsehfilm-Krimi wirken.

Selbst Menschen, die das Buch nicht gelesen haben, wissen spätestens nach der ersten halben Stunde, wer die Frauen auf dem Gewissen hat, weil mit einer Armee von Zaunpfählen gewunken wird. Zudem werden außergewöhnlich pathetische Sequenzen hinzugefügt, für die sich, zumindest in Europa, sogar die eigene Oma schämen würde.

Die Starbesetzung hatte zuvor viele Hoffnungen geweckt, aber eben jene Schattierungen der einzelnen Charaktere, die die Protagonisten erst interessant machen, wirken in diesem Film wie wegradiert. In Ermanglung von Charakterzügen sieht man dementsprechend hauptsächlich einen melancholisch dreinblickenden, dauerrauchenden Michael Fassbender als Hary Hole, der, damit wenigstens etwas passiert, angeschossen wird.

Ebenso kommen Val Kilmer, J.K Simmons und David Dencik nicht wirklich auf ihre Kosten und bleiben unabgerundet im Raum stehen. Obwohl Frauen in Nesbøs Romanen eine wichtige Rolle spielen, sind ihre Figuren fast unisono schlecht besetzt in diesem Film, wobei Charlotte Gainsbourg als schlechtestes Cast-Mitglied von allen gelten kann. Jene Rakel im Buch ist eine gestandene Juristin, eine classy Frau, die kaputte Polizisten mag und zu stützen weiß. Gainsbourg läuft in ihrer Rolle jedoch zu 95% der Zeit bei Minusgraden mit einem sehr kurzen Lederrock herum, gibt sich unselbstständig und will zwischen einigem Gejammer auf einmal Sex. Nicht dass man das von der Schauspielerin nicht kennen würde, aber das passt hier einfach nicht rein.

Das Buch kostet ungefähr so viel wie ein Kino-Ticket. Ich rate daher definitiv zu einer Investition in Ersteres.