/ Von Frankenstein-Designs und menschlichem Schach

Unser Redakteur Jeff Schinker hat das Luxemburger Grafikstudio Polenta besucht. Lesen Sie hier den ersten Teil seiner Reportage.
Erster Stopp: Ich treffe mich mit Annick, Rick und Gabriel Boisante im „Paname“. Studio Polenta hat hier die Menükarten designt und das Logo, das einem von der „Place de Paris“ aus inmitten der zahlreichen anderen Restaurants und Bars schön ins Auge sticht, entwickelt.
„Ein Logo ist eine Investition. Das kostet schon etwas. Für viele Besitzer ist das nebensächlich, ihnen reicht ein Aushängeschild, auf dem der Name der Brauerei draufsteht, oder eine mit WordArt erstellte Menükarte. Für mich gilt genau das Gegenteil. Eine Bar, ein Restaurant braucht ein Aushängeschild, eine visuelle Identität.“
Der „Paname“-Besitzer Gabriel Boisante arbeitet regelmäßig mit Studio Polenta zusammen – weil er dessen Arbeit schätzt, ihm eine gewisse Kontinuität in den Designs der verschiedenen Restaurants und Bars, die ihm gehören, wichtig ist und er weiß, dass Annick und Rick seine Ideen effizient umsetzen können.
Wie beschreibt man eine grafische Idee mit Worten?
„Wir Kunden können da manchmal ganz schön nervig sein. Wir wissen genau, was wir möchten, können es aber sprachlich nicht ausdrücken“, erklärt Gabriel Boisante. Klar ist es schwierig, ein Konzept, eine grafische Idee mit Wörtern auszudrücken. Der Grafiker muss sich oft darauf einstellen, dass der Kunde einerseits genau weiß, was er möchte, dies aber andererseits weder visuell vorzeichnen noch in Worten präzise beschreiben kann. Ein fast chirurgischer Einblick in den Kopf des Auftraggebers ist notwendig. „Gabriel kommt oft mit eigenen Ideen. Weil er halt auch Erfahrung im Bereich des Grafikdesigns hat. Das erleichtert uns die Sache schon um einiges“, erklärt Rick.
Ich blicke kurz auf die Menükarte, zögere, Gabriel Boisante empfiehlt mir den „Parmentier de canard“: „Der fliegt morgen von der Karte. Auch das zum Beispiel war mir wichtig. Die Menükarte wird jede Woche umgestaltet. Da benötigst du jemanden, der eine grafische Gestaltung hinbekommt, die Flexibilität erlaubt.“
Fürs „Paname“ wusste Boisante, dass er ein modernes, minimalistisches Design wollte, das Ähnlichkeiten zum Art déco aufzeigen würde. Boisante stellte den beiden Designern die Idee vor, man merkt, dass die drei das Fachjargon beherrschen, was die Verständigung maßgeblich erleichtert.
Menükarten fürs Mamacita
Boisante und die beiden Köpfe von Studio Polenta bereden noch kurz eine Bestellung von Menükarten fürs „Mamacita“, bevor sich der bärtige Hipster (deren es am Tisch vielleicht drei gibt) verabschiedet, um ebendieses Lokal aufzusuchen.
Unser Gespräch arbeitet sich schön abschweifend an verschiedenen Thematiken ab, irgendwann sind wir beim neuen Design der Polizei angekommen, worüber sich der luxemburgische Wutbürger am virtuellen Facebook-Tresen (Vorteil: Der Tresen ist nun überall, er liegt frei abrufbar in der Hosentasche und hat keine maximale Aufnahmekapazität an unangebrachten Meinungsäußerungen) mächtig aufgeregt hat. „Man weiß ja nicht, wie viel Freiheit dem Grafikstudio gelassen wurde, wie viel den Leuten da dreingeredet wurde. Über andere Kunstformen wird weniger hergezogen. Ein avantgardistisches Kunstwerk ruft viel weniger pauschalisierte, unprofessionelle Meinungen hervor wie das Metier des Grafikdesigners“, erklären die beiden.
Vielleicht liegt es daran, dass es sich hierbei noch um ein junges Kunsthandwerk handelt, vielleicht aber auch daran, dass die grafische Gestaltung im Alltag offen sichtbar ist, was die Leute viel eher zu amateurhaften Kommentaren verleitet als jetzt ein Kunstwerk, das man bloß im Rahmen einer Ausstellung in einem Museum oder einer Galerie sieht. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Grafikdesign an der Schnittstelle zwischen kreativem Schaffen und Kommerz steht.
Mit Rock zum Jiu-Jitsu
An diesem Wochenende habe ich (neben den Alltagspflichten meines Berufes) zwei Termine: Ich begleite Rick Tonizzo zu seinem Jiu-Jitsu-Training und Annick Kieffer zur Luxembourg Art Week, auf der sie sich mit der Nomadengalerie „Artscape“ trifft.
Das Konzept von „Artscape“ ist es, keinen festen Sitz zu haben, was es der Galerie erlaubt, die Diversität der Ausstellungsorte mit ins Konzept der jeweiligen Ausstellung einfließen zu lassen.
„Für eine Nomadengalerie ist die visuelle Kommunikation umso wichtiger. Man kann unsere Identität nicht mit einem Ort in Verbindung bringen, wir müssen also auf eine andere Art und Weise einen Wiedererkennungswert erlangen. Und da liegt es auf der Hand, ein kontinuierlich erkennbares, leicht wechselndes Design zu bieten“, erklärt Galeristin Stéphanie Zutter.
Auch hierfür entwickelt Studio Polenta das Layout der Flyer und Poster. Die Nomadengalerie war dieses Jahr in der Victor-Hugo-Halle im Rahmen der „Take Off“-Ausstellung vor Ort, am Vorjahr war man noch draußen im Zelt, das dieses Jahr abgeschafft wurde.
Am Vortag hat mich Rick Tonizzo davon überzeugen können, auf ein Jiu-Jitsu-Training im Garer Viertel mitzukommen – für ihn ist diese brasilianische Variante der japanischen Kampfsportart, die ein wenig an Judo erinnert, eine Art „Schach mit Menschen“.
Grafikdesign für den Kampfclub
Für seinen Jiu-Jitsu-Club DELTA hat er das Design selbst übernommen – man sieht, dass die Faszination für Grafikdesign mit in die Freizeit überfließt. Ich werde zu einer Übung eingeladen, behalte mein Handy im Blick, da unsere Fotografin Isabella Finzi jeden Moment auftauchen soll. Sie textet mir: „Wo bist du?“, worauf ich nur kurz „Ich liege unter schwitzenden Männern“ antworte, ehe man mir den nächsten Griff zeigt.
Einen fast verrenkten Rücken später stehe ich wieder neben einem erfreuten Rick, der mir erklärt, dass die Sportart ihm einen Ausgleich zur Büroarbeit bietet. „Es ist eine effiziente Sportart, bei der es keinerlei Aggressivität gibt. Man muss unter Druck auf kreative Art und Weise Probleme lösen – fast wie Schach halt.“ Genau wie im Design gibt es hier Regeln, Kreativität, vielleicht ist man sogar gestalterisch freier, weil man keine Auftraggeber hat.
Am Mittwoch danach treffen wir uns auf ein Bilanzgespräch mit den Organisatoren der „Nuit des musées“ im Cercle Cité. Auf dem Hinweg besprechen wir das rezente Projekt, das Studio Polenta für Adidas entwickelt hat. „2015 haben wir angefangen, mit Adidas zusammenzuarbeiten. Den Kontakt hierzu hat die Brand-Agentur Ludwig hergestellt. Es handelt sich dabei um eine Agentur, die ein ganzes Netz an outgesourcten Mitarbeitern hat, auf die sie zurückgreifen kann, wenn ein Projektangebot eintrifft. Wir sind eine der Agenturen, die Ludwig auf dem Radar hat. Als das Adidas-Angebot kam, wurden wir kontaktiert – und so kamen wir dazu, die Key Visuals für die Outdoor-Marke Terrex zu schaffen“, erzählt Annick Kieffer.
Bürokratie und Kunst
Wir durchschreiten ein hell aufleuchtendes Bürokomplex – hier läuft die Welt der Bürokratie mit der Kunstwelt paradoxerweise zusammen, unsere Schritte werden gedämpft, der verspielte Tonizzo wirkt ernsthafter, ein kurzes Augenzwinkern hebt diese Ernsthaftigkeit aber wieder auf. Die beiden Designer werden respektvoll behandelt – die Osmose zwischen Business und Kunst verläuft hier einigermaßen reibungslos.
Während des Gespräches, das von Carole Bettendroffer, der Koordinatorin der „Stater Muséeën“, geleitet wird, zeigen sich die Organisatoren erst mal überaus zufrieden. Es war das erste Mal, dass die „Nuit des musées“ auf das Studio Polenta zurückgriff. Ziel war, das Design ein bisschen zu modernisieren. Anfänglich stieß das lang gezogene „U“ in der Mitte des Posters bei einem der Museumsdirektoren auf Skepsis, Annick Kieffer und Rick Tonizzo verteidigten ihren Entwurf aber mit Erfolg. „Oft bieten wir dem Kunden einfach nur eine erste Idee. Das ist dann die Idee, die uns am besten gefallen hat. Legt man dem Kunden eine ganze Reihe von Designs vor, neigt er dazu, aus den verschiedenen Vorschlägen Elemente zu wählen und will die dann zusammenstellen. Ihm gefällt dann die grafische Form des ersten Designs, die blaue Farbe vom zweiten Vorschlag, der Schriftzug einer dritten Grafik. Ich nenne dies ein Frankenstein-Design – und habe auch keine Schwierigkeit, dem Auftraggeber dies mitzuteilen.“ Grafikdesign ist halt nur zur einen Hälfte künstlerisches Schaffen, die kreative Freiheit wird hier in die Tücken des Geschäftslebens eingebettet.
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