Von formal überzeugenden Todesfällen

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Unsere Nachwuchskritiker berichten über das Luxembourg City Film Festival.

Im Laufe des Luxembourg City Film Festival werden junge, ambitionierte und leidenschaftliche „Jeunes Critiques“ von ihren Festivalerfahrungen berichten und Kritiken verfassen. Den Anfang machen Alexandra Kurt und Caroline Rocco. Beide belegen im „Lycée des arts et métiers“ die „BTS Arts appliqués, cinéma et audiovisuel“-Ausbildung.


Kein Mitleid für „Pity“

Ein Indie-Meisterwerk mit Referenzen an Kaurismäki.

Von Alexandra Kurt

Der griechische Arthouse-Film von Babis Makridis erinnert stark an die Werke des finnischen Regisseurs Aki Kaurismäki: minimalistisches Bild, statisches Schauspiel und absurder Humor. Jedoch gelingt es Makridis, ein Indie-Meisterwerk zu schaffen, das mehr als nur eine kreative Anlehnung an Kaurismäki ist.

Wie der Titel es schon andeutet, handelt der Film von Mitleid. Jedoch wird das Sujet anfangs nur oberflächlich behandelt und stellt sich erst im Laufe des Films als Hauptkonflikt heraus.

Der erste Akt zeigt einen Mann, dessen Frau im Koma liegt. Er geht jeden Tag zu ihr, sein Umfeld kümmert sich um ihn und zeigt Mitleid.

Als zu Beginn des zweiten Aktes die Frau aus dem Koma erwacht, ändert sich schlagartig der Alltag des Mannes, der im Film nur „der Anwalt“ genannt wird. Plötzlich bekommt er kein Mitleid mehr; er versucht, andere zu bemitleiden, aber das befriedigt ihn nicht. Er ist verzweifelt und sucht nach Lösungen.

Zum Ende hin wird dem Zuschauer bewusst, dass „der Anwalt“ keine Witzfigur ist; er wird unberechenbar. Das Resultat: Er tötet seine Frau und inszeniert diese Handlung als Teil einer realen Mordserie. So erhofft er sich, bis an sein Lebensende bemitleidet zu werden.

„Ein Mann, der nur glücklich ist, wenn er unglücklich ist.“ Dieser Satz wird stets im Zusammenhang mit dem Film zitiert, da er den Inhalt perfekt zusammenfasst.

Da dies aber am Anfang noch nicht klar ist und sich erst im Laufe des Films herausstellt, wird diese Handlungswendung dem Zuschauer vorweggenommen. Wer sich dazu entscheidet „Pity“ zu sehen, sollte die Synopsis nicht gelesen haben. Denn so wird der Zuschauer auf eine magische Entdeckungsreise gehen, auf der er nach und nach den vielschichtigen Protagonisten kennen und lieben lernt.


Im Kreise tanzend

„Foxtrot“ ist ein formalüberzeugendes Familiendrama.

Von Caroline Rocco

„Foxtrot“, der zweite Film des israelischen Regisseurs Samuel Maoz, ist ein packendes Drama um eine Familie, die mit dem Tod ihres Sohnes konfrontiert wird. Der Film überzeugt vor allem durch seine formalen Kniffe.

Samstagabend, 21.00. In der Cinémathèque am Theaterplatz läuft „Foxtrot“, ein Familiendrama in drei Akten, zum zweiten Mal in dieser Edition des LuxFilmFestivals. Bei „Foxtrot“ handelt es sich um einen Film des israelischen Regisseurs Samuel Maoz.

Der Saal ist gefüllt, das Publikum wirkt zerstreut. Selbst als das Rauschen des
Projektors hinter mir beginnt und der Film abspielt wird, hört man ein Stimmengewirr, das erst langsam nach mehreren Sekunden des Vorspanns und dem Einsetzen einer wohligen Tonfolge verstummt.

Das, was sich danach vor meinen Augen abspielt, fühlt sich an wie eine gut einstudierte Choreografie. Der Film beginnt mit einem Blick von einem Laster auf eine kahle Wüste und folgt anschließend der Konfrontation Michaels und Dafnas mit dem Tod ihres Sohns Jonathan, der Soldat war.

Der Vater schäumt vor Wut, läuft wie blind, hilflos durch sein wunderschönes, graues Appartement und scheint unfähig, diesen Schlag zu verkraften.

Das Gefühl, durch den Film getragen zu werden, baut sich in mir auf, kehrt Ellipse nach Ellipse wieder und wird dank einer durchdachten kinematografischen Stilrichtung verstärkt. Stilistisch hebt sich der Film durch hervorragende, hoverartige Kamerabewegungen und -einstellungen hervor. Mal schwebt die Kamera über den Köpfen, kurz darauf verweilt sie ganz nah am Auge des Protagonisten, um sich dann ungeniert zu einer Einstellung mit Wüstenblick zu erstrecken.

Ton nutzt Maoz wirksam, vom humorvollem Geräusch einer herunter- oder heraufgelassenen Check-Point-Schranke über einen mit festlicher Musik untermalten Foxtrot bis hin zu fast gänzlich stillen, dialoglosen Passagen, in denen beispielsweise das Geräusch des Regens zum wichtigsten Element der Szene werden kann. Maoz reizt in seinem zweiten Film aus, was das moderne Kino hergibt und verblüfft hin und wieder damit.

Doch vor allem fasziniert mich, wie Maoz in dieser eher simplen und traurigen Handlung, den Verlust eines Kindes widerspiegelt. Er verleiht dieser uralten Geschichte, nicht zuletzt durch den vorhin genannten formalen Aspekt, einen ihm eigenen Charakter und macht „Foxtrot“ zu einer abendlichen Tanzeinladung, die man gerne annimmt.