/ Von dreibeinigen Hockern und linken Händen
So spielt es an und für sich keine große Rolle, dass beide Länder zur 55. Venedig-Biennale ihre Pavillons einfach mal so getauscht haben.
In Spiegelschrift kann man links neben dem Eingang „Deutscher Pavillon“ lesen. Eigentlich ist es ja der französische, doch die beiden Länder haben ihre jeweiligen Ausstellungslokale zur diesjährigen Biennale ausgewechselt. Im (eigentlich) deutschen war 2011 noch die posthume Schau von Schlingensief zu sehen, die prompt mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Damals konnte man vorne, durch den Haupteingang, rein. Heute muss man den Pavillon von hinten betreten.
„Ravel Ravel Unravel“
Das hat seinen Grund: Für das Projekt „Ravel Ravel Unravel“ („unravel“ heißt im englischen „entwirren“) des Albaners Anri Sala mussten im Bauwerk neue Mauern aufgezogen und diese, zusammen mit den bestehenden, mit fast einem Meter dicken Schaumstoff abgedichtet werden. Dieser besteht aus spitzwinkligen Elementen und lässt das Innere des Pavillons in einer ganz speziellen, an die Metropolis-Filme von Fritz Lang erinnernden architektonischen Atmosphäre erscheinen.
Die Arbeit Salas besteht aus drei verschiedenen Video-Installationen, bei denen es laut hergeht. Und damit man von dem, was in dem einen Raum ertönt in den jeweils anderen nichts mitkriegt, war dies absolut notwendig. Der Künstler hat sich mit dem „Klavierkonzert in D-Dur für die linke Hand“ des Bolero-Komponisten auseinandergesetzt und dieses wird im Hauptraum eindrucksvoll in Szene gesetzt. Auf zwei übereinander angebrachten Leinwänden werden die Hände von zwei Pianisten im Großformat gezeigt, von denen jeder die Partitur Ravels auf seine eigene Art und Weise interpretiert. Dissonanzen sind die Folge, Tempi-Verschiebungen und Klangüberlagerungen.
In einem anderen Raum sieht man ein Frauengesicht. Die Frau zerlegt Ravels Stück in einzelne Tonfolgen. Am Klavier? Im Raum nebenan die Auflösung: Die Frau ist ein DJ und mixt am Plattenteller einen Soundtrack der besonderen Art zusammen. Spannend, das Ganze! Und es kommt gut beim Publikum an. Lange Schlangen und Wartezeiten von bis zu einer Stunde unterstreichen dies.
Nicht minder viel Geduld muss aufbringen, wer den französischen Pavillon besuchen will, der ja in diesem Jahr fest in deutscher Hand ist. Auwei, pardon, hauptsächlich in chinesischer. Ausstellungsmacherin Suanne Gaensheimer, die 2011 mit Schlingensief erfolgreich war, hat neben Ai Weiwei noch drei weitere Künstler nach Venedig geholt: Dayanita Singh, Romuald Karmakar und Santu Mofokeng. Kennen Sie die? Genau, das ist das Problem. Der Chinese, dessen Name 2011 auf tausenden Jutetüten mit der Aufschrift „Free Ai Weiwei“ durch Giardini und Arsenale getragen wurde, stiehlt den anderen drei mit seiner eigenwilligen Installation aus 866 antiken dreibeinigen Hockern die Schau. Manche machen Gaensheimer nun den Vorwurf, sie habe den inzwischen allgegenwärtigen Weiwei – der übrigens auch in einer Kirche in Venedig mit einem anderen Werk, das von den Kritikern als das bessere bewertet wird, zu sehen ist – als Lokomotive nach Venedig geholt. Wahrscheinlich nicht zu Unrecht! Die Bilder des südafrikanischen Fotojournalisten Mofokeng, die Videos des Dokumentarfilmers Karmakar und Singhs Filme, die von den Gegensätzen zwischen dem traditionellen und dem modernen Indien leben, geraten allzu leicht in den Hintergrund.
Ach ja, der Elysée-Vertrag
Ach ja, weshalb eigentlich der Pavillontausch? Offiziell heißt es: Als Zeichen der bilateralen Freundschaft im 50. Jahr des Elysée-Vertrages. Böse Zungen munkeln aber, dass es Gaensheimer vor allem darum gegangen sei, einen anderen Austragungsort für ihre Schau zu bekommen. Denn für Gruppenausstellungen soll sich der deutsche Pavillon nur bedingt eignen. In der Vergangenheit hat es immer wieder Probleme damit gegeben. Ob das im französischen wohl anders ist?
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