Vom Trunkenbold zum Strippenzieher: Die Erfolgsgeschichte von Dick Cheney als Biopic

Vom Trunkenbold zum Strippenzieher: Die Erfolgsgeschichte von Dick Cheney als Biopic

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„Vice“ erzählt die Erfolgsgeschichte von Dick Cheney, erinnert an amerikanische Verfassungslücken, deckt die Involvierung Amerikas in der Entstehungsgeschichte des IS und die suspekten Machenschaften der Republikaner auf. Mit einigen Experimenten versucht man, dieses brave Biopic formal aufzuwerten – das gelingt aber leider nicht wirklich.

Ein Auto schlängelt sich unbeholfen durch die amerikanische Pampa und wird schnell von einem Polizisten angehalten. Der Fahrer, sturzbesoffen, ist Dick Cheney, ein gewalttätiger Hedonist, der gleich zweimal von der Yale-Universität fliegt. Kurz darauf sehen wir, wie derselbe Dick Cheney – ein fast unkenntlicher, fettleibiger Christian Bale mit aufgelaufenem Gesicht – fast 30 Jahre später umgehend nach den 9/11-Attentaten vor die Wahl gestellt wird, alle nicht umgehend landenden Passagierflugzeuge abschießen zu lassen.

Adam McKays Biopic wird im Laufe seiner 130 Minuten versuchen, die Kluft zwischen den zwei Cheneys zu überbrücken und die Entwicklung dieser Figur für den Zuschauer nachvollziehbar zu machen. Wobei das in Kriminalromanen (und aus heutiger Sicht ziemlich misogyne) übliche Motto „Cherchez la femme“ gilt: Es ist eigentlich seine Ehefrau Lynne (Amy Adams), die ihn antreibt – sie selbst weiß, dass sie als Frau in dieser Zeit keine Chance auf eine politische Karriere hat, ermächtigt sich deswegen quasi, indem sie ihren versoffenen Taugenichts eines Partners zur wichtigen Politikfigur macht, ohne wirklich über dieses Schattendasein zu klagen. Mithilfe von Donald Rumsfeld (Steve Carrell) gelingt das auch und wir sehen, wie eine anfangs ziemlich blasse Figur dem wichtigtuerischen Rumsfeld folgt und so die Karriereleiter hinaufklettert, ohne dies wirklich gewollt oder gesteuert zu haben.

„We did our fucking best“

Ein Disclaimer warnt uns: Die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten, die Rekonstruktion war aufgrund von Cheneys Diskretion nicht leicht – „but we did our fucking best“. Der intelligent betitelte „Vice“ – im Titel verstecken sich sowohl die Sünden (Machtgier, Skrupellosigkeit) als auch die Funktion der Hauptfigur Dick Cheney, der Vizepräsident von Bush junior war – zeigt, wie aus einem durchschnittlichen Studenten, der effizienter im Wetttrinken als im Klausurschreiben war, der Strippenzieher wurde, der dem naiven George Bush junior seine Invasionspläne und Kriegsideen ins Ohr flüsterte. In diesem formal unentschlossenen Biopic, das eigentlich eine Variation der altbackenen Tellerwäscher-Millionär-Story ist (bloß wird hier ein erfolgloser Trunkenbold zum respektierten Politiker) und das nur enigmatisch ist, weil man Cheneys Motivationen schwer erkennt, liest sich vor allem die Erschöpfung eines Genres, das sich in den letzten Jahren im Fakten-Fanatismus des zeitgenössischen (Hollywood-) Kinos verzettelt hat.

Wurde in „I, Tonya“ noch durch den Kontrast der Perspektiven die Skepsis gegenüber den gezeigten Bildern und einer zu selbstverständlichen Wirklichkeitsrekonstruktion dargestellt, sind in „Vice“ die formalen Erzähltricks so angestaubt oder unbeholfen eingesetzt, dass man fast denkt, Regisseur Adam McKay habe vor ein paar Jahren den postmodernen Baukasten entdeckt und dessen dekonstruktive Erzählmethoden nun voller Begeisterung in den Film hineingewebt.

Postmoderne Erzählformen

Um zu zeigen, wie Cheneys Karriere fast ein ruhiges, frohes Ende gehabt hätte – dass um ein Haar also der Irak-Konflikt und die Gründung des IS nicht (oder anders) stattgefunden hätten –, scrollen in der Mitte des Films plötzlich die Endcredits den Schirm hinauf, bis ein Szenenwechsel andeutet, dass wir hier das Genre der Uchronie – was wäre, wenn Cheney frühzeitig in den Ruhestand gegangen wäre? – kurz gestreift haben und der Film seinen Erzählstrang wieder aufnimmt, um die verheerende Begegnung mit Bush aufzugreifen. Diese philosophische Erforschung des Zufalls in der Menschheitsgeschichte – es gibt auch eine peinliche Teetassen-Metapher, die nicht so recht funktionieren mag – wirkt bemüht und redundant, zumal die essentialistische Frage nach der eventuellen Notwendigkeit der Geschehnisse nicht aufgegriffen wird.

Die Erzählfigur – im Film wird ein etwas lahmer Twist eingebaut, um das Voice-over zu legitimieren – erklärt irgendwann, man könne eben nicht wissen, was genau das Ehepaar Cheney vor einem bedeutungsschwangeren Tag abends im Ehebett geflüstert habe. Die Wirklichkeit sei eben kein Shakespeare-Stück, im Laufe dessen die Figuren in Monologen ihre Absichten preisgeben. Daraufhin sieht man Dick und Lynne, die im Ehebett Shakespeare zitieren, um die schicksalhaften Entscheidungen des Folgetages zu debattieren. Klar ist diese Erzählform lustig – aber im filmischen Narrativ wirkt sie aufgesetzt, moralisierend und schlicht fehl am Platz.

Der leicht ironische Ton des Films mag ausdrücken, wie lachhaft die politischen Machenschaften und Machtkämpfe eigentlich sind – wenn sie aber so verheerende Konsequenzen wie im Falle von Cheneys Handlungen haben, fragt man sich, ob man sich hier nicht einfach im Ton vergriffen hat.