Vergiss mein nicht

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Mit der Zeit ist es so eine Sache. Manchmal vergehen ganze Wochen wie im Flug, andere Stunden scheinen ewig.

Und wenn man sich an vergangene Zeiten erinnert, dann wird es noch komplizierter. Die Bilder in unseren Köpfen, sind sie real oder konstruiert? Oder eine Mischung aus beidem?

Der deutsche Schriftsteller W.G. Sebald hat sich in seinem Werk mit eben diesen Fragen auseinandergesetzt, besonders seine Erzählungen kreisen immer wieder neu um die Frage nach Bedeutung und Funktion von Erinnerung und Gedächtnis. Seine Überlegungen machen ihn zu einem der meistdiskutierten Schriftsteller Deutschlands. Kürzlich ist ein Buch über Sebald von Muriel Pic erschienen, es trägt den Namen „L’image Papillon“, den Kurator Christophe Gallois nun für die Sammelausstellung im Mudam entlehnt.

Schmetterling: Starre oder Bewegung?

Der Schmetterling, der in Sebalds Werk häufig vorkommt, ist als allegorisches Bild für unser dialektisches Verhältnis zum Gedächtnis zu verstehen. „Einerseits die wissenschaftliche Geste des Sammelns, der Archivierung, durch die die Vergangenheit in eine Starre versetzt wird, andererseits ein Bezug zur Vergangenheit, der einfühlsamer ist und im Gedächtnis den Ort einer Erfahrung sieht, einer Beobachtung der Vergangenheit als Bewegung“, heißt es im Pressedossier.

So weit die Theorie. Geht man nun durch die Ausstellung, so kann man sich in fünfzehn monografischen Präsentationen diesem Thema künstlerisch annähern. Eine der bewegendsten Arbeiten ist sicherlich jene von Zoe Leonard, die in ihren Bildern ihr Interesse für verlorene, vernachlässigte oder im Verschwinden begriffene Objekte und Orte bekundet.

Anatomische Wachsmodelle

Die Dame aus Wachs (oberes Bild) sah sie zunächst in einem Stadtführer von Wien. Sie habe verstanden, wie es sich anfühlen müsse, ausgestellt, entleert zu sein, so die Künstlerin. Mit ihrem analogen Fotoapparat machte sie sich also tief bewegt auf den Weg ins Museum für Medizingeschichte, um dort anatomische Wachsmodelle mit ihrem subjektiven Blick einzufangen. Herausgekommen sind Abbildungen von Objekten, die eine Seele tragen. Eine völlig andere Auseinandersetzung mit dem Bild der Vergangenheit führt John Stezaker, den das gefundene Bild fasziniert (Foto unten). Seine Beziehung zum Bild erinnert durchaus an die von Sebald, der meinte, dass die von ihm gesammelten Fotografien ihn riefen und ihn darum baten, gerettet zu werden. Auch Stezaker deklariert: „Es sind eher die Bilder, die mich finden, als umgekehrt.“ Sie können auf den ersten Blick vielleicht etwas banal wirken, wie zwei aufeinandergeklebte Fotos vom Flohmarkt etwa. Doch lässt man sich auf sie ein, dann wird man in das Sich-Überkreuzen der Zeitlichkeiten hineingezogen, merkt, dass persönliches und kollektives Gedächtnis immer irgendwie ineinandergreifen.

Insgesamt bietet die Ausstellung so viele unterschiedliche Auseinandersetzungen mit unserem Gedächtnis, dass sicherlich jeder vor dem einen oder anderen Werk etwas länger verweilt als vor einem anderen. Denn für Kunst braucht man Zeit. Nicht vergessen.