Und nun zum Wetter …

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In Luxemburg wird mit Vorliebe über das Wetter gesprochen, wenn man jedwedem gehaltvollen Inhalt, vor allem politischer Natur, ausweichen möchte. In Claire Thills Eigenkreation „Blackout“ wird beides miteinander kombiniert. Einen Ausweg gibt es nicht.

Schon in Voltaires Novelle „Candide“ spielen das Wetter und dessen gefährliche Auswüchse eine wichtige Rolle. In der bekannten Satire findet nämlich unter anderem das Erdbeben von Lissabon aus dem Jahre 1755 Erwähnung und wird in einen größeren Zusammenhang gestellt. Ebenso hatte der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im Jahr 1815 nicht nur weitreichende Folgen für die weltweite Bevölkerung, sondern schlug sich auch in literarischen Erzeugnissen der Folgejahre nieder. Shelleys „Frankenstein“ (1818) ist nur eines von vielen Beispielen hierfür.

Für die luxemburgische Schauspielerin Claire Thill, die für „Blackout“ das Grundkonzept ausarbeitete, den Text verfasste und Regie führt, war es in erster Linie wichtig, ein Stück zu erschaffen, dass sich mit Horror auseinandersetzt. Witterung mit einzubinden, stellte kein primäres Ziel dar. Sie stieß eher zufällig auf den zuvor genannten Vulkanausbruch samt seinen dramatischen Konsequenzen und nahm dies als Ausgangspunkt für weiterführende Recherchen. Laut Thill hängen apokalyptische Horrorvisionen häufig mit verqueren, bedrohlichen Wetterlagen zusammen. Diese könnten wiederum eine starke Auswirkung auf die Gemütslage der Menschen haben. „Jede Zeit hat ihr eigenes Horror-Genre, welches stets die Symptome der Ängste, die es innerhalb der Gesellschaft gibt, widerspiegelt“, so die Regisseurin, die nun mit der Erderwärmung ein ebenso aktuelles wie politisches Thema gewählt hat.

In „Blackout“ kommt es nicht etwa – wie beim Ausbruch des Tambora – zu einem Jahr ohne Sommer, sondern eine Hitzewelle macht den Menschen schwer zu schaffen. Der Fernseh-Meteorologe Bernard Bergdahl, gespielt von Marc Baum, begegnet einer dubiosen weiblichen Gestalt (Larissa Faber), die bei einer obskuren Firma arbeitet, welche sich mit der Herstellung von künstlichen Wolken befasst, die Regen bringen und somit die Temperaturen senken sollen. Die Hauptfigur ist jedoch nicht davon überzeugt, dass dies der richtige Weg zur Bekämpfung des Klimawandels ist. Durch ihr Hinterfragen gerät sie allerdings in eine gefährliche Situation.

Neben der eigentlichen Handlung nehmen Bergdahls stetig zunehmende Albträume viel Raum ein und sein Gespür für die Realität entgleitet ihm zusehends. Er verliert nicht nur die Kontrolle über seinen eigenen Mikrokosmos, sondern auch über sein eigenes Agieren in der Außenwelt. In diesem Falle eben das Ankündigen des Wetters. „Denn seine Berechnungen stimmen irgendwann nicht mehr, weil der natürliche Zyklus unterbrochen ist. Folglich verliert er langsam, aber sicher seine Bezugspunkte und riskiert zugrunde zu gehen“, erläutert Marc Baum seine Rolle.

Turbulenzen

Bei der Phantasmagorie, die hier präsentiert wird, wird bewusst auf klischeehafte Schreckensbilder verzichtet. Stattdessen erzeugt man das Angstpotenzial auf anderen, ganz unterschiedlichen Ebenen. Besonders sticht der Einsatz von Butoh, einer Art japanischem Tanztheater, das nicht ohne Grund mit „Tanz der Finsternis“ übersetzt werden kann, hervor. Hierbei findet in gewisser Weise eine Entfremdung des Körpers statt, Tanzschritte werden ad absurdum geführt und reichen ins Groteske hinein. Um diese Technik ausdrucksstark einsetzen zu können, entschied sich Claire Thill dafür, mit der Choreographin Sayoko Onishi, einer wahren Expertin auf diesem Gebiet, zusammenzuarbeiten.

Damit sich eine gemeinsame körperliche Sprache zwischen Darstellerinnen und Darsteller entwickeln konnte, machten diese gemeinsam Butoh-Übungen, auch wenn nicht alle Mitwirkenden diese im fertigen Stück auf der Bühne ausleben werden. Larissa Faber zufolge half dieser Schritt ungemein: „Die schnellste und organischste Art, eine Verbindung innerhalb eines Darsteller-Teams herzustellen, verläuft über den Körper. Dieser Prozess muss weder intellektualisiert noch ‚zer-sprochen‘ werden. Es funktioniert einfach!“ Faber hatte im vergangenen Jahr gemeinsam mit Onishi und Thill an einer Künstlerresidenz im 3CL teilgenommen, im Rahmen derer eingehend über Körpersprache reflektiert wurde. Es ging also unter anderem um Storytelling via den Körper, eine Vorgehensweise, die man vom sogenannten „Physical Theatre“ kennt.

Emre Sevindik, der für die vielfältig im Stück zur Geltung kommende Musik zuständig ist, sowie der Visual Artist Paul Schumacher erzählen ebenfalls einen Teil dieser düsteren Geschichte mit. Für Letzteren kam es nicht infrage, sich der üblichen Schauderästhetik zu bedienen, vielmehr versucht er zum Beispiel anhand von bestimmten Farben, Kontrasten und Geschwindigkeiten in seinen Video-Projektionen eine bedrohliche Stimmung zu verursachen. Ebenso wie Claire Thill verbrachte auch Schumacher mehrere Wochen damit, zu recherchieren und so einen Fundus zusammenzutragen, aus dem dann in der Folge geschöpft werden konnte.

Diese Produktion des interdisziplinären Theaterkollektivs Little Lies (ILL) ist das Resultat eines spannenden Ideenfindungsprozesses, den Claire Thill nicht alleine vollzog. Und zwar ganz bewusst. Neben der Residenz in Bonneweg nahm sie auch an einer Residenz in Burglinster teil, bei der das Schreiben im Fokus stand. Dort fiel die Entscheidung, ihre Recherche zu vertiefen, bevor sie weiter am Text arbeitete.

„Wenn ich allein schreibe, dann sehe ich ganz genau vor mir, wie es auf der Bühne auszusehen hat, mein Schreiben ist eher ein filmisches. Aber dies kann die praktische Umsetzung der Zeilen erschweren, da man dann riskiert, die Schauspielerinnen und Schauspieler in die eigene Vorstellung hineinzudrängen“, lauten die ehrlichen Worte der jungen Regisseurin. Deswegen entstanden viele grundlegende Passagen des Textes in einer engen Zusammenarbeit mit der Dramaturgin Oliwia Härterlein sowie im Austausch mit den Darstellerinnen und dem Hauptdarsteller. Dies trage nun dazu bei, dass das Stück funktioniere, findet Claire Thill.