„Und dann merkt man: Da war doch was!“

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Das Bühnenbild entführt in längst vergangene Zeiten: ein paar hölzerne Schultische, ein Stehpult. Es ist eine Hommage an die Stadt und die Einwohner seines Geburtsortes: „Lene Frank“ von Nik Welter wird im Merscher Kulturhaus aufgeführt. Heike Bucher

Fast zwei Jahre ist es jetzt her, dass Karin Kremer, künstlerische Leiterin des Merscher Kulturhauses, ihre Idee der „Lisieres“ vorantrieb. Themengruppen sollten es sein, zu denen unterschiedliche Projekte ausgearbeitet werden, „Bildung und Intelligenz“ heißt eine von ihnen. „Als Karin mich fragte, ob ich da mitmache, habe ich sofort an dieses Stück gedacht. Ich hatte schon länger Interesse daran, es mal zu machen. Und dann noch in Mersch, das passte doch“, sagt Eva Paulin, gelernte Bühnenbildnerin, die seit Jahren auch Stücke inszeniert.

Eine wahre Geschichte

Über 100 Jahre ist es her, dass der gebürtige Merscher Nik Welter die Tragödie um die junge Lene Frank geschrieben hat. Zuerst nannte er es ein „Lehrerinnendrama“, später ein „Dorfstück in drei Akten“. Es beruht auf einer wahren Geschichte und erzählt die Erlebnisse einer jungen Lehrerin, die ein damals obligatorisches Moralitätszeugnis fälscht.
Sexuell von ihrem Vermieter belästigt, kündigt sie ihre Stelle und bekommt vom zuständigen Pfarrer völlig zu Unrecht einen vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Um eine andere Stelle zu bekommen, fälscht sie das Zeugnis.
„Das hat Nik Welter 1906 geschrieben“, sagt Eva Paulin. „Er war eine außergewöhnliche Persönlichkeit und hat versucht, human-liberale Vorstellungen zu beschreiben mit so zeitlosen Themen wie Zivilcourage, Liebe, Moral, Verhältnis zwischen Kopf und Bauch, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Frau.“ Nik Welter war 35 Jahre alt, als das Stück erschien, ein Gymnasiallehrer und Vater.
Keine junger Spund mehr, der sich in einer Sache verschrieb, sondern einer, der offen war „für neue Ideen und Gedanken“ und der Gefallen fand an der gerade entstehenden bürgerlichen Frauenbewegung, wie Germaine Goetzinger in ihrer kommentierten Neuauflage von „Lene Frank“ von 1990 bemerkt. Das Stück ist für seine damaligen Verhältnisse sehr modern. „Und mutig“, fügt Paulin hinzu. Natürlich fliegt Lenes Schwindel auf und sie muss sich ihrer Schuld stellen, die im Grunde andere zu verantworten hätten.

Literarische Schwächen

Eva Paulin hat das Stück gekürzt oder wie sie es nennt „verschlankt“. Und natürlich einige literarische Schwächen ausgemerzt. „Welter hat versucht, luxemburgische Metaphern auf Deutsch zu benutzen“, meint sie. Solche Übersetzungen funktionieren nicht gut und hören sich zuweilen etwas schwülstig an.
Den Wunsch nach luxemburgischen Theaterstücken, meint Paulin, sei in der Bevölkerung zu spüren. Größere Sprachräume hätten ihr Kontingent an Literatur, aber in Luxemburg wird oft davon ausgegangen, dass es diese Literatur gar nicht gibt. „Hier hat man immer das Gefühl, hier gab es nichts, und dann merkt man: Da war doch was.“ Deshalb müssten diese Stücke unbedingt inszeniert werden.
Lene Frank wird von Nora Koenig gespielt, einer Frau, deren Name gerade in letzter Zeit oft in luxemburgischen Besetzungslisten zu finden ist. Erst im Sommer spielte sie in dem Tanzschauspiel „Mischa – der Fall“ mit, ebenfalls eine Produktion des Merscher Kulturhauses. Auch in diesem Stück spielte sie das Opfer und tat dies so eindrucksvoll, dass es haften blieb.
„Nora hat eine besondere Ausstrahlung“, findet Eva Paulin, „sie hat so etwas Mutiges und ich finde, Lene Frank ist eine sehr mutige Frau.“ Gerade in Extremsituationen zeige sich nämlich, ob jemand weiter stark bleibt oder doch seine Ansichten fallen lässt. Nora Koenig könne das vermitteln.

Simultane Übersetzung

Doch auch mit den weiteren Rollenbesetzungen zeigt sich Paulin zufrieden. Neben ihrem Mann Jean-Paul Maes spielen Neven Nöthig, Sascha Migge, Mady Durrer, Pierre Bodry und Claude Fritz mit. Und in einer kleinen Rolle die 13-jährige Claire Ahlborn. Das Bühnenbild hat Anouk Schiltz entworfen.
Alle Aufführungen werden simultan in Gehörlosensprache übersetzt, der Übersetzer läuft auf der Bühne hin und her, was sicherlich zuerst ungewöhnlich sein wird. Eva Paulin meint aber, dass man sich schnell an ihn gewöhne. Das Besondere an dem Stück ist für sie der Blick auf die Geschichte: „Es ist wie ein Fenster, durch das man schaut, und wie die Miniatur einer anderen Zeit.“

Premiere am Mittwoch, den 1. Oktober um 20 Uhr.
Weitere Vorstellungen am 2., 3., 4., 7. und 8. Oktober, jeweils um 20 Uhr,
www.kulturhaus.lu

Nik Welter: „Lene Frank“, Centre d’études littéraires 1990, eingeleitet und kommentiert von G. Goetzinger