GeschichteÜber die Beteiligung von Luxemburgern am Massaker von Józefów

Geschichte / Über die Beteiligung von Luxemburgern am Massaker von Józefów
10 von 14 Luxemburgern, die als aktive Polizisten dem Reserve-Polizeibataillon 101 (RPB 101) angehörten und im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ am Judenmord im besetzten Polen eingesetzt waren. Die Bilder stammen aus den Personalakten der Hamburger Polizei. Drei Akten fehlen, in einer Akte ist kein Bild. Foto: Staatsarchiv Hamburg (StAHH): 331-8_792-802; Collage: Fabi Schmit

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Am 13. Juli 1942 ermordete das Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 in der polnischen Kleinstadt Józefów Biłgorajski (nachf. Józefów) 1.500 jüdische Frauen, Kinder, Männer und Greise. 14 Luxemburger1 gehörten zur Gruppe der aktiven Polizisten der 1. Kompanie des Bataillons. Am Tag des Massakers musste die 1. Kompanie die Schießkommandos stellen. Wie sind die Luxemburger nach Józefów gekommen?

Als die Deutschen am 10. Mai 1940 in Luxemburg einmarschierten, besaß das neutrale Land keine reguläre Armee, die es hätte verteidigen können. Die bewaffnete Macht („Force armée“) Luxemburgs bestand seit 1881 aus einer Gendarmerie-Kompanie und einer Freiwilligen-Kompanie (FK)2. Letztere war mit Militärdiensten betraut und in der hauptstädtischen Heilig-Geist-Kaserne stationiert.

Nachdem NS-Deutschland am 1. September 1939 durch den Überfall auf Polen einen neuen Krieg in Europa ausgelöst hatte, ging im Staat Luxemburg die Angst um, im Falle einer Ausweitung des Krieges nach Westen hin, trotz Neutralitätsstatus, erneut von Deutschland besetzt zu werden. Hitler hatte der Luxemburger Staatschefin, Großherzogin Charlotte, zwar noch zur Jahrhundertfeier der Unabhängigkeit Luxemburgs am 19. April 1939 „seine aufrichtigen Glückwünsche“ übermittelt und der deutsche Botschafter in Luxemburg soll zwei Tage vor dem Poleneinmarsch, am 28. August 1939, aus Berlin die Zusicherung erhalten haben, Luxemburgs territoriale Integrität würde respektiert werden, wenn das Land neutral bliebe.3

Die Luxemburger Soldaten der Freiwilligen-Kompanie werden in Weimar am 14.12.1940 in die deutsche Polizei aufgenommen. Der Artikel erschien in der Nr. 1/1941 der Zeitschrift „Die deutsche Polizei“. Der Autor benutzt den Begriff „Freiwillige“ bewusst falsch, um den Eindruck zu erwecken, die Luxemburger seien der deutschen Polizei freiwillig beigetreten.
Die Luxemburger Soldaten der Freiwilligen-Kompanie werden in Weimar am 14.12.1940 in die deutsche Polizei aufgenommen. Der Artikel erschien in der Nr. 1/1941 der Zeitschrift „Die deutsche Polizei“. Der Autor benutzt den Begriff „Freiwillige“ bewusst falsch, um den Eindruck zu erwecken, die Luxemburger seien der deutschen Polizei freiwillig beigetreten. Foto: „Die deutsche Polizei“

Trotz dieser positiven Zeichen aus Berlin, wurden in Luxemburg bereits vor dem Überfall auf Polen Vorkehrungen getroffen, um die Außengrenzen zu Deutschland und Frankreich hin durch Barrikaden und Straßenhindernisse zu sichern. Den Luxemburger Grenzposten wurde befohlen, jedem ausländischen Uniformierten, der Luxemburger Territorium betreten würde, klar zu machen, dass er sich auf „luxemburgisch neutralem Boden“ befinde und ihn aufzufordern, diesen wieder zu verlassen.4

In den Jahren 1938 und 1939 waren die zwei Kompanien der „Force armée“ auf jeweils 300 Mann aufgestockt worden. Zusätzlich dazu wurde per großherzoglichem Beschluss vom 15. September 1939 entschieden, der FK noch ein zeitweiliges Freiwilligenkorps von 125 Mann beizuordnen. Die Begründung dafür waren wohl vorhersehbare kriegerische Auseinandersetzungen im Raum Luxemburg, denn dieses Korps sollte „sechs Monate nach der definitiven Einstellung der Feindseligkeiten zwischen den kriegsführenden Nachbarländern des Großherzogtums“ wieder aufgelöst werden.5

Auf dem Papier bestand also die „Force armée“ Luxemburgs am Tag des deutschen Einmarschs aus 725 Mann, mit Einschluss der Unteroffiziere. In Wirklichkeit lag die Gesamtstärke der Streitkraft allerdings nur bei 670 Mann, die Offiziere der beiden Kompanien und der Chef der „Force armée“, Major-Kommandant Emile Speller sowie die „Aide-de-camp“ der Großherzogin und des Erbgroßherzogs inbegriffen.6

Mitte Mai 1942 legten 59 Luxemburger in Innsbruck und 68 in Salzburg den Eid auf Hitler ab und engagierten sich damit endgültig in der deutschen Polizei. Hier die Niederschrift über die Vereidigung von JH.
Mitte Mai 1942 legten 59 Luxemburger in Innsbruck und 68 in Salzburg den Eid auf Hitler ab und engagierten sich damit endgültig in der deutschen Polizei. Hier die Niederschrift über die Vereidigung von JH. Foto: StAHH: 331-8_795

Am Tag des Einmarschs verließen Großherzogin Charlotte und ihre Regierung – außer dem Handels- und Industrieminister Nicolas Margue, dessen Flucht aus Gründen, die hier nicht erläutert werden können, nicht gelang – das Land zunächst in Richtung Paris. Nach dem Waffenstillstand von Compiègne, durch den am 22. Juni 1940 der Westfeldzug zwar beendet wurde, aber mehr als die Hälfte Frankreichs unter deutsche Militärbesatzung geriet, ging die Flucht der Luxemburger Staatsverantwortlichen weiter nach Portugal und Übersee. Die Minister Pierre Dupong, Joseph Bech, Victor Bodson und Pierre Krier bildeten während des Zweiten Weltkriegs die Exilregierung, die teilweise in Montréal und in London angesiedelt war.

Als nach der anfänglichen deutschen Militärverwaltung das besetzte Land Ende Juli 1940 eine Zivilverwaltung, mit an der Spitze Gauleiter Gustav Simon, erhielt, wurde die FK unter großem Widerstand ihrer Offiziere in die deutsche Schutzpolizei, die Teil der Ordnungspolizei war, integriert. Nachdem noch Anfang November 1940 51 neue Rekruten eingestellt worden waren, wurde die Kompanie am 4. Dezember 1940 unter der provisorischen Führung von Oberleutnant Brasseur7 geschlossen per Bahn nach Weimar zu einer fünfmonatigen Ausbildung transportiert, insgesamt 459 Mann. Aus der kleinen Luxemburger „Freiwilligenarmee“, FK, wurde nun das „Polizei-Ausbildungsbataillon (L)“, zu dem in Weimar noch zwei Offiziersanwärter stießen, die bereits in Berlin in Ausbildung waren.

Widerstand in deutscher Uniform

Nach der Grundausbildung zum deutschen Polizisten in Weimar, wurden die Luxemburger in drei Hundertschaften aufgeteilt und an andere Standorte in Deutschland zwecks weiterer Ausbildung verlegt. Eine Hundertschaft kam nach Köln-Riehl, eine zweite nach Bottrop-Recklinghausen und eine dritte wurde für die motorisierte Gendarmerie ausgebildet.8 Die Übrigen wurden nach Luxemburg für den polizeilichen Revierdienst in Marsch gesetzt. 27 waren bereits im März 1941 zur Waffen-SS abkommandiert worden.9 Die Militärmusik kam ebenfalls zurück nach Luxemburg. Die Luxemburger Offiziere wurden entlassen.10

Hamburger Polizeikaserne Bundesstraße am 21.6.1942. Das RPB 101 rückt für einen Sondereinsatz ins besetzte Polen aus. Im Vordergrund Bataillons-Kommandeur Trapp (1) und Bataillons-Adjutant Haalck (2).
Hamburger Polizeikaserne Bundesstraße am 21.6.1942. Das RPB 101 rückt für einen Sondereinsatz ins besetzte Polen aus. Im Vordergrund Bataillons-Kommandeur Trapp (1) und Bataillons-Adjutant Haalck (2). Foto: StAHH: 213-12_0021_Band 045, Bild 11.

Wir befassen uns nachfolgend mit den „Kölner“ und „Bottroper“, insgesamt 211 Mann. Diese wurden an ihren neuen Standorten im Geländekampf ausgebildet, zwecks einer späteren Verwendung im so genannten Partisanen- und Bandenkampf.

Nach einigen Desertionen, Meutereien und Entlassungen blieben von den zwei betroffenen Hundertschaften noch 199 Mann übrig, die im Oktober 1941 nach Slowenien in Marsch gesetzt wurden. Sie bildeten dort die 4. und 5. Kompanie des deutsch-österreichischen Reserve-Polizeibataillons 181 (RPB 181), dessen „Bataillonsstandort“ in Slowenien Krainburg in der Oberkrain war. Die 4. Kompanie lag in St. Veit und die 5. in Škofja Loka, auch Bischofslack genannt. Hauptaufgabe des Bataillons war die Bekämpfung der jugoslawischen Partisanen unter Anführung des kroatischen Kommunisten Josip Broz, genannt Tito.11

Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Jugoslawien Anfang April 1941 wurde Slowenien besetzt und zwischen Deutschland, Italien und Ungarn aufgeteilt. Der deutsche Teil, die Oberkrain und die Untersteiermark, wurde als CdZ-Gebiete12 den Gauen Kärnten und Obersteiermark angeschlossen, ähnlich wie das besetzte Luxemburg Teil des Gaus Moselland wurde.

Links: Major Trapp; Rechts: Hauptmann Wohlauf, stellv. Bataillonskommandeur und Chef der 1. Kompanie, der 14 Luxemburger angehörten.
Links: Major Trapp; Rechts: Hauptmann Wohlauf, stellv. Bataillonskommandeur und Chef der 1. Kompanie, der 14 Luxemburger angehörten. Foto: StAHH: 213-12_0021_Band 045

Als die Luxemburger begriffen, dass die so genannten Banden, die sie bekämpfen sollten, in Wirklichkeit Widerstandskämpfer waren, die sich gegen Hitlers pangermanischen Pläne und die Annexion Sloweniens an das Deutsche Reich zur Wehr setzten, lag es auf der Hand, dass sie sich mit diesen Männern solidarisieren würden. Es entwickelte sich eine regelrechte Zusammenarbeit der Luxemburger in deutscher Polizeiuniform mit den slowenischen Feinden des Deutschen Reiches.13

Eid auf Hitler

Befehlsverweigerungen, Führerbeleidigung, erwiesene Zusammenarbeit mit den Partisanen, sowie Weigerungen, die Verpflichtungserklärung zu unterschreiben, führte zu zahlreichen Inhaftierungen und zu einem generellen Misstrauen der Deutschen gegenüber den Luxemburgern. Im März 1942 wurden die zwei Luxemburger Kompanien des RPB 181 aufgelöst und die übriggebliebenen Angehörigen in Salzburg (4. Kompanie) und in Innsbruck (5. Kompanie) zusammengezogen. Zu diesem Zeitpunkt waren von den 199 Luxemburgern noch insgesamt 144 übriggeblieben – 68 kamen nach Salzburg und 76 nach Innsbruck. Von diesen hielten 127 – 68 in Salzburg und 59 in Innsbruck – dem Dauerdruck ihrer deutschen Hierarchie nicht Stand und engagierten sich nun endgültig in der deutschen Polizei. Dies in vielen Fällen mit der Begründung, sie wollten nicht elend in einem KZ enden, oder sie wollten ihre Eltern zuhause vor Repressalien schützen. Sie wurden Mitte Mai 1942 auf Hitler vereidigt.

Lt. Boysen (links) und Lt. Bumann (rechts), Zugführer der 1. Kompanie. Diesen Zügen (Pelotons) gehörten jeweils sieben Luxemburger an.
Lt. Boysen (links) und Lt. Bumann (rechts), Zugführer der 1. Kompanie. Diesen Zügen (Pelotons) gehörten jeweils sieben Luxemburger an. StAHH: 213-12_0021_Band 045

In Salzburg hatte sich vor der Vereidigung zahlenmäßig nichts mehr geändert, da bereits vorher in einem Grazer Gefängnis die Ja-Sager von 18 kategorischen Verweigerern getrennt worden waren. Mit Ausnahme von sechs deutsch-freundlichen Luxemburgern, war nämlich die ganze 4. Kompanie am 28. Januar 1942 verhaftet und ins Polizeigefängnis nach Graz überwiesen worden. Dies, weil ein Teil der Kompanie am 23. Januar den Geburtstag der Großherzogin gefeiert und dabei das Führerbild bespuckt hatte. Erschwerend kam noch hinzu, dass sie sich alle, mit einigen Ausnahmen, geweigert hatten, die Verpflichtungserklärung zu unterschreiben. Am 12. oder 14. März 1942 wurden sie in Graz befragt, ob sie wieder in der Polizei Dienst aufnehmen würden.14 Diesmal blieben nur 18 Männer standhaft bei ihrem ‚Nein‘. Diese wurden anschließend verhaftet und in die Konzentrationslager Sachsenhausen (6), Auschwitz (6) und Neuengamme (6) eingewiesen. Die „Sachsenhausener“ wurden in der Nacht vom 2. Februar 1945, zusammen mit neun anderen ehemaligen Angehörigen der FK sowie zwei ehemaligen Luxemburger Polizisten und zwei Gendarmen, im Rahmen der „Aktion Scharnhorst“ erschossen. Auschwitz überlebten drei von sechs nicht und in Neuengamme starben zwei an Unterernährung.15

Die 68 Übriggebliebenen der 4. Kompanie des RPB 181 wurden nach Salzburg in eine Polizeikaserne verlegt, wo sie sich nun endgültig verpflichteten.

In Innsbruck stand den 76 übriggebliebenen ehemaligen luxemburgischen Angehörigen der 5. Kompanie des RPB 181 die „Trennung der Spreu vom Weizen“ noch bevor. Zu diesem Zweck bekamen sie am 23. März 1942 Besuch vom Höheren SS- und Polizeiführer „Alpenland“, Erwin Rösener. Der Zeitzeuge Fernand Thill gab in einem aufgezeichneten Gespräch mit Alain Arendt im Jahr 1985 Röseners Rede folgendermaßen wieder:

Der Chef der SS und deutschen Polizei, Himmler (rechts), im Gespräch mit dem SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin, Globocnik (links). Globocnik wurde von Himmler mit der Durchführung der „Aktion Reinhardt“ beauftragt, d.h. mit der Vernichtung des Großteils der Juden des „Generalgouvernements“. Hier lebten im Dezember 1941 noch 21/2 Millionen Juden.
Der Chef der SS und deutschen Polizei, Himmler (rechts), im Gespräch mit dem SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin, Globocnik (links). Globocnik wurde von Himmler mit der Durchführung der „Aktion Reinhardt“ beauftragt, d.h. mit der Vernichtung des Großteils der Juden des „Generalgouvernements“. Hier lebten im Dezember 1941 noch 21/2 Millionen Juden. Foto: Narodowe Archiwum Cyfrowe

„Es liegen Fälle von Desertion vor. Ihr habt das Führerbild bespuckt und besudelt. Ihr habt mit den Partisanen paktiert. Ihr habt die Partisanen gewarnt. Jetzt ziehen wir einen Strich unter die ganze Affäre zwecks Vereidigung auf den Führer und späteren Fronteinsatz. Jetzt kommt jeder einzelne rein, und die Antwort lautet kurz und bündig ‚Ja‘ oder ‚Nein‘. Etwas anderes möchte ich nicht hören. Wer nicht mitmacht, kommt hinter Stacheldraht.“16

17 sagten ‚Nein‘, 59 sagten ‚Ja‘. Die Verweigerer – zu ihnen gehörte auch Fernand Thill – wurden am 25. März 1942 ins KZ Dachau eingewiesen und waren dort bis zur Befreiung des Lagers durch Soldaten der 7. US-Armee am 29. April 1945 interniert. 16 überlebten die Hölle von Dachau, einer starb am 29. Juli 1943.

Polizisten, die zu Mördern wurden

Diejenigen, die den Eid auf Hitler abgelegt hatten, wurden zum 1. Juni 1942 als Schutzpolizisten auf verschiedene Polizeistandorte in Deutschland verteilt. Von hier aus kamen viele mindestens zeitweise in den Osteinsatz. Schon allein aufgrund ihres jungen Alters und ihrer ausgezeichneten militärischen Ausbildung, wurde immer wieder Druck auf die Luxemburger ausgeübt, sie sollten sich für den Einsatz in den Frontgebieten melden.17

Die Aufgaben der Ordnungspolizei im Osten beinhalteten, neben normalen polizeilichen Diensten, auch die Bewachung von Konzentrationslagern und Ghettos, Partisanenkampf und diesbezügliche Durchkämmung von Waldgebieten, Objekt- und Ernteschutz und diesbezügliche Streifen. In späteren Kriegsjahren wurden die Polizisten auch direkt an der Front gegen die Rote Armee eingesetzt. Die Ordnungspolizei war aber auch im parallel zum Eroberungskrieg geführten Rassenkrieg eingesetzt. So waren Polizisten an der Auflösung von jüdischen Ghettos und der Deportation der Betroffenen in Vernichtungslager beteiligt und wurden für Massenerschießungen herangezogen. „Während Polizeibataillone im Westen zur Vorbereitung des Holocaust eingesetzt waren und in wenigen Fällen […] einzelne Juden erschossen, führten sie im Osten regelmäßig Massenerschießungen durch“, schreibt der Historiker Klemp.18 Der Polizeiforscher Curilla hat ausgerechnet, dass „die deutsche Ordnungspolizei, die überall auch die Ghettos bewachte, am Tod von ungefähr 3.600.000 der etwa 5.750.000 Holocaust-Opfer mit(wirkte)“.19

Major Trapp erklärt den Bataillonsangehörigen die Aufgabe in Józefów am 13.7.1942. Zweiter im Bild ist Oberlt. Haalck
Major Trapp erklärt den Bataillonsangehörigen die Aufgabe in Józefów am 13.7.1942. Zweiter im Bild ist Oberlt. Haalck StAHH: 213-12_0021_Band 045

In der Folge befassen wir uns nun mit 14 Luxemburgern, die in Innsbruck den Eid abgelegt hatten, am 1. Juni 1942 nach Hamburg zum Reserve-Polizeibataillon 101 (RPB 101) abkommandiert wurden und mit diesem Bataillon am 21. Juni 1942 zu einem Sondereinsatz ins besetzte Polen, Distrikt Lublin, kamen.20 Der Distrikt Lublin lag in dem als „Generalgouvernement“ (GG) bezeichneten Teil des besetzten Polens, mit Hauptstadt Krakau.

Die 14 Luxemburger wurden alle in die 1. Kompanie eingegliedert, die von Hauptmann Julius Wohlauf geführt wurde. Wohlauf war auch stellvertretender Bataillons-Kommandeur. Das Bataillon bestand aus dem Stab und drei Kompanien. Jede Kompanie zählte 150 Mann, von denen die große Mehrzahl ältere Reservisten aus unterschiedlichen Berufssparten, also keine aktiven Polizisten, waren. Bataillons-Kommandeur war Major Wilhelm Trapp. Jede Kompanie wurde in drei Züge unterteilt.

Die Luxemburger wurden auf die Züge 1 und 2 aufgeteilt, sieben kamen zum Zugführer Heinz Bumann, Reserveleutnant, und sieben zum Zugführer Paul Boysen, ebenfalls Reserveleutnant. Die Züge wurden wiederum in Gruppen aufgeteilt. In Polen wurde das Bataillon Teil 3 des Polizeiregiments Lublin (Pol.Regt.25), dessen Stab unter der gleichen Adresse angesiedelt war, wie der SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin.21 Das RBP 101 erhielt nun die neue Bezeichnung III./Pol.Regt.25 und die 1. Kompanie die Bezeichnung 9./Pol.Regt.25.

Mit 28 Berufspolizisten zählte die 1. Kompanie die höchste Zahl an Aktiven. Von den 28 war die Hälfte Luxemburger. Wir befassen uns nun mit dem ersten geschlossenen Bataillonseinsatz des RPB 101 gegen Juden, dem Massaker von Józefów am 13. Juli 1942.

Historischer Kontext

Bevor wir mit den Einzelheiten dieser „Judenaktion“ beginnen, muss der Sondereinsatz des RPB 101 insgesamt in seinen historischen Kontext gestellt werden. Vor dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941, wurden Einsatzgruppen gebildet, mit dem Auftrag, u.a. den so genannten Kommissar-Befehl vom 6. Juni 1941 auszuführen.22 Dieser Befehl galt den politischen Kommissaren der Roten Armee. Von Anbeginn des deutschen Feldzugs gegen die UdSSR sollten diese, wenn sie in deutsche Gefangenschaft gerieten, in der Regel an Ort und Stelle erschossen werden. NS-Deutschland setzte damit das internationale Kriegsrecht außer Kraft , das es verbietet, Kriegsgefangene zu ermorden.

Da im antisemitischen Weltverschwörungsmythos der Nationalsozialisten eine Einheit zwischen Juden und Bolschewisten (sowjetische Kommunisten) hergestellt wurde, implizierte der Kommissar-Befehl ebenfalls die Ermordung der Juden. Und so wurde auch sofort nach dem Einmarsch in die UdSSR hinter der Front verfahren: Die Einsatzgruppen, zu denen auch Polizisten gehörten, fuhren von Ort zu Ort und erschossen Juden, zunächst nur Männer im wehrfähigen Alter, aber bereits ab August 1941 alle jüdischen Menschen, unabhängig von Alter oder Geschlecht.23 Die Einsatzgruppen erschossen zwischen 1,5 und 2 Millionen unbewaffnete jüdische Zivilisten in den eroberten sowjetischen Gebieten.

Als nun anlässlich der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 formal beschlossen wurde, ALLE Juden im deutschen Einflussgebiet in Europa aus rassischen Gründen zu ermorden und dort der Vertreter des GG darum gebeten hatte, mit der „Endlösung dieser Frage“ im GG beginnen zu dürfen – insbesondere weil dort 21/2 Millionen Juden in Frage kämen24 – , wurden unter der Bezeichnung „Aktion Reinhardt“ bereits seit Oktober 1941 bestehende Pläne25, die im GG und im Bezirk Białystok wohnenden oder dorthin deportierten Juden zu vernichten, verwirklicht. Ein Teil von ihnen wurde erschossen, die Mehrzahl aber in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor, Treblinka und Majdanek, die alle auf dem Gebiet des GG lagen, durch Gas getötet. Die Aktion lief von März 1942 bis November 1943. Himmler hatte seinen österreichischen Freund Odilo Globocnik, den SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin, mit der Durchführung der Aktion beauftragt.

Der Sondereinsatz des RPB 101 situierte sich im Rahmen der Aktion Reinhardt. Das Bataillon wurde zu einem Instrument des deutschen Rassenkriegs im Osten und war zusammen mit vielen anderen Polizeibataillonen direkt am Holocaust beteiligt. Die Angehörigen des RPB 101 wurden zu Ausführenden eines Völkermordes.

„Der schrecklichste Tag meines Lebens“

Ahnungslos wurden die Männer des RPB 101 in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 1942 aus ihren Kasernen und Unterkünften geholt und von unterschiedlichen Standorten, die meisten vom Bataillonsstandort Biłgoraj nach Józefów gefahren. Nur die Offiziere des Bataillons waren am Vortag in die Aufgabe eingewiesen worden. Hauptmann Wohlauf hatte kurz vor der Abfahrt Männern vom Zug Boysen, die in Frampol in einer Schule untergebracht waren und den Befehl erhielten, sofort nach Biłgoraj zu fahren, gesagt, sie hätten heute Nacht „eine hochinteressante Aufgabe“. Dies gab Friedrich Burmeister – der in der 1. Kompanie zum Zug Boysen gehörte und innerhalb dieses Zuges zur gleichen Gruppe wie sieben Luxemburger – im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen Angehörige des RPB 101 wegen Beihilfe zum Mord in Hamburg am 12. Mai 1964 zu Protokoll.26

Burmeister, der im Laufe seiner Vernehmung zugab, zu den Erschießungskommandos gehört zu haben und der im Urteil des erwähnten Verfahrens als „außerordentlich zuverlässiger Zeuge“ mit einer „sicheren Gedächtnisstütze“ gewürdigt wurde27, antwortete auf die Frage, an welche Judeneinsätze er sich erinnere, er würde sich „besonders“ an einen Einsatz in Józefów erinnern. „Da dort schreckliche Dinge passiert sind, weiß ich heute noch das genaue Datum. Es war Montag, der 13. Juli 1942“, gab Burmeister zu Protokoll.28

Auch ein anderer Angehöriger der 1. Kompanie und Kamerad der Luxemburger, Heinrich Bols, erinnerte sich sehr gut an den 13. Juli 1942. Er gab am 10. Dezember 1962 in Hamburg zu Protokoll: „Das Datum dieses Tages erinnere ich deshalb so genau, weil es der schrecklichste Tag meines Lebens werden sollte.“29

Die Bataillonseinheiten trafen bei Anbruch des Tages in Józefów ein. Kommandeur Trapp ordnete einen Bataillons-Appell an und hielt eine Ansprache, an die sich mehrere Zeugen erinnern konnten. Wir zitieren nachfolgend aus dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8. April 1968:

Die Luxemburger wurden zwei Mal von ihrer Hierarchie beurteilt. Hier die 1. Beurteilung von JW vom 10.9.1942. Zu diesem Zeitpunkt hatte das RPB 101 bereits mehrere „Judenaktionen“ durchgeführt, denen 19.160 unschuldige Menschen zum Opfer fielen (Zahlen Browning).
Die Luxemburger wurden zwei Mal von ihrer Hierarchie beurteilt. Hier die 1. Beurteilung von JW vom 10.9.1942. Zu diesem Zeitpunkt hatte das RPB 101 bereits mehrere „Judenaktionen“ durchgeführt, denen 19.160 unschuldige Menschen zum Opfer fielen (Zahlen Browning). Foto: StAHH: 331-8_799.

„Er (Trapp) erläuterte seinen Männern die Einsatzaufgabe. Dabei ließ er keinen Zweifel daran, dass alle Juden des Ortes zu erschießen seien. Er versuchte, der Truppe den Einsatz durch den Hinweis auf die alliierten Bombenangriffe auf deutsche Städte verständlich zu machen. Trapp erschien seinen Leuten innerlich aufgewühlt. Seine Stimme schwankte und war tränenerstickt. Seine Einstellung zu Einsätzen dieser Art ergibt sich aus seiner Bemerkung, die er später gegenüber einem Angehörigen des Bataillons, namens Rieken, machte: ‚Solche Aktionen liegen mir nicht, aber Befehl ist Befehl.‘ Am Ende seiner Ansprache erklärte Trapp, dass diejenigen älteren Bataillonsangehörige, die sich der bevorstehenden Aufgabe nicht gewachsen fühlten, vortreten sollten. Darauf trat nach einiger Zeit des Wartens der Zeuge Schendel allein vor. Ihm schlossen sich nach und nach 10 weitere Kameraden an. […] Die Männer, die vorgetreten waren, wurden nicht zu den Exekutionen eingeteilt. Sie wurden aber zu sonstigen Aufgaben, insbesondere zur Absperrung, eingesetzt.“30

1. Kompanie mit Exekution beauftragt

Gemäß dem Urteilsspruch, fand „nach dem Appell eine Einsatzbesprechung der Kompanieführer statt, bei der die Einsatzaufgaben verteilt wurden.“31 Es wurde entschieden, die Juden aus ihren Wohnungen zu holen, sie auf dem Marktplatz zu sammeln, dann die arbeitsfähigen Männer auszusondern und die Frauen, Kinder und Älteren mit Lkws in einen nahegelegenen Wald zu fahren und sie dort zu erschießen. „Die 1. Kompanie unter Führung des Angeklagten Wohlauf sollte sich kurzfristig an der Räumung beteiligen und dann die Exekution der zusammengetriebenen Juden in einem Waldstück unweit des Ortes übernehmen. Die 2. Kompanie sollte die Räumung und die 3. die Absperrung des Ortes übernehmen“.32

An die Räumtrupps erging der Befehl, alle nicht-gehfähigen Personen, auch Kleinstkinder, an Ort und Stelle zu erschießen. Und so wurde auch verfahren.33

An die Absperrtrupps erging der Befehl, „auf jeden Fluchtverdächtigen sofort zu schießen“. 34

„Von Kolbenstößen und Zurufen angetrieben, kamen die Juden nach und nach auf dem Marktplatz zusammen, wo sie von der Schutzpolizei bewacht wurden. Dort begann nun die Selektion arbeitsfähiger junger Männer […]. Die Ausgesuchten, mindestens 100 Arbeitskräfte, wurden von einem Zug der 1. Kompanie unter Führung des Zeugen und damaligen Zugführers Bumann abgesondert bewacht und schließlich nach Beendigung der Räumung im Laufe des Vormittags nach Lublin abtransportiert“, kann man im Urteil lesen.35

Bumann, zu dessen Zug auch sieben Luxemburger gehörten, war angeblich gegen Judenaktionen eingestellt und hatte am Vorabend Major Trapp um eine andere Verwendung gebeten. Er wurde nun beauftragt, mit einem Begleitkommando die auszuwählenden „Arbeitsjuden“ nach Lublin zu bringen. In seiner Vernehmung am 30. Januar 1963 betonte er: „Mein ganzer Zug fuhr in einem Personenwagen als Begleitkommando mit.“36 Dazu sei bemerkt, dass diese Aussage nicht glaubwürdig ist. Wenn ab Oktober 1941 Deportationszüge à 1.000 Juden in der Regel von Begleitkommandos in Stärke 1/12 (ein Offizier in Begleitung von 12 Polizisten) durchgeführt wurden37, dann ist es fragwürdig, ob ein ganzer Zug von ca. 40 Mann nötig war, um 100 (Urteil) oder 200-400 (Bumann) Zwangsarbeiter zu begleiten. Des Weiteren gab Bumann in seiner Vernehmung zu Protokoll, er sei mit seinen Leuten noch am Abend zurück in die Kaserne nach Biłgoraj gefahren. Daraus entstand nun der falsche Eindruck, der gesamte Zug Bumann habe mit dem Massaker in Józefów nichts zu tun gehabt. Der Historiker Browning hat bemerkt, dass keiner der 210 in Hamburg vernommenen Polizisten zu diesem Begleitkommando gehörte und dass deshalb „Bumanns Darstellung die einzige Version vom Schicksal der ‚Arbeitsjuden‘“ sei.38 Der Zeuge Ehlers von der 1. Kompanie ist auch der einzige, der in diesem Zusammenhang die Luxemburger erwähnte.39 Es ist davon auszugehen, dass Bumann im Hamburger Verfahren sich und seine ihm zum Zeitpunkt der Taten untergebenen Männer vor Bestrafung schützen wollte.40

Nachdem die Außenpostenkette aufgelöst worden war und die gehfähigen Juden und Jüdinnen alle auf dem Marktplatz zusammengezogen waren, mussten die Männer der 3. Kompanie den Marktplatz absperren. Der Zeuge Waloch erinnerte sich in diesem Zusammenhang daran, dass seine Gruppe, kurz vor Beendigung des Abtransportes der Juden in den Wald, „den Befehl erhielt, noch einmal durch die Häuser zu gehen, um nach zurückgebliebenen Juden zu suchen“. Bei dieser Gelegenheit habe er „gesehen, dass in den Häusern erschossene Juden lagen. Es handelte sich in der Hauptsache um ältere Frauen und Männer sowie um Kinder.“41

Im Wald liefen die Erschießungen unter der Oberleitung von Wohlauf. „Mit zwei Zügen seiner Kompanie führte er bis in die Nachmittagsstunden die Erschießungen durch“.42 Noch bevor die Räumung des Judenviertels beendet war, waren bereits die Salven der Erschießungskommandos im Ort deutlich zu hören. Und so ging das bis zum frühen Abend.

Leichen liegen gelassen

Aus der Anklageschrift der Hamburger Staatsanwaltschaft geht hervor, dass die Massenerschießungen „mit unvorstellbarer Grausamkeit durchgeführt“ wurden. „Durch die Gewalt der aus unmittelbarer Nähe mit Karabinern abgegebenen Genickschüsse wurden die Schädel der Opfer vielfach völlig zertrümmert oder die hinteren Schädeldecken abgerissen, so dass Blut, Knochensplitter und Gehirnteile umherspritzten und die Schützen beschmutzten.“43 Durch ungenaues Schießen waren nicht alle Opfer sofort tot, so dass nach Abschluss der Erschießungen Wohlauf „seinen Unterführern den Befehl [erteilte], Gnadenschüsse abzugeben, wo dies nötig sein sollte. Entsprechend wurde verfahren.“44

Da die Erschießungen nicht schnell genug vonstattengingen und man befürchtete, den Einsatz nicht vor Einbruch der Dunkelheit bewältigen zu können, wurde auch die 2. Kompanie zu den Exekutionsstätten in den Wald beordert. Dazu der Angeklagte Gathmann:

„Der Zugführer Starke fuhr mit uns etwa 2 bis 3 km außerhalb des Ortes in ein Waldstück. Hier teilte er uns zu Erschießungskommandos von jeweils 5-6 Mann ein. Die einzelnen Erschießungskommandos nahmen Aufstellung am Waldweg und waren schätzungsweise 10-15 m auseinandergezogen. Kurz nach dieser Einteilung und Aufstellung kamen dann die Judentransporte auf unseren Lastwagen im Walde an. Ein kleines Kommando unseres Zuges führte dann zu jedem Erschießungstrupp 5-6 Juden heran. Diese Menschen erhielten die Anweisung, sich vor uns niederzulegen, und zwar mit dem Gesicht zur Erde. Unser Zugführer hatte uns vorher genau gesagt, wo wir die Laufmündung des Karabiners bei den Opfern ansetzen müssten, nämlich hinten am Nackenwirbel. […] Erwähnen möchte ich noch, dass vor dem Beginn der Erschießungen der Hauptwachtmeister Starke vor den Angehörigen des Zuges sagte, dass diejenigen, die sich der bevorstehenden Tätigkeit nicht gewachsen fühlten, melden könnten. Es hat sich allerdings niemand gemeldet.“45

Auf die Frage des Ermittlers, warum er sich selbst nicht habe freistellen lassen, antwortete Gathmann: „Ich war der Meinung, dass ich die Angelegenheit überwinden könnte, und die Juden auch ohne mich ihrem Schicksal nicht hätten entgehen können.“ Gathmann gab noch zu Protokoll, dass mit Beginn der Dunkelheit „die Angelegenheit“ erledigt war. „Unter Zurücklassung der Leichen rückten wir dann wieder zum Marktplatz auf unsere Fahrzeuge.“46

Am Ende der Aktion erteilte Bataillonsadjutant Haalck dem Bürgermeister von Józefów den Auftrag, die Leichen im Walde bestatten zu lassen.47

Der ehemalige Polizeipräsident von Hamburg, Wolfgang Kopitzsch, hat darauf hingewiesen, dass das besondere an der Tat die „individuelle Mordaktion“ war, „weil sich die Beamten ihre Mordopfer ‚aussuchten‘ und mit ihnen in den Wald gingen“. Und weiter: „Erschießungskommandos meint eben nicht Massenerschießungen.“ Deshalb hätte das Verbrechen von Józefów strafrechtlich als Mord und nicht lediglich als Beihilfe zum Mord gewertet werden müssen.48

Und wo waren die Luxemburger?

Es ist nicht möglich, in diesem Beitrag auf alle Einzelheiten des Massakers von Józefów einzugehen, deshalb wenden wir uns abschließend den Luxemburger Beteiligten zu.

Da sie im Hauptverfahren in Hamburg kaum Erwähnung fanden, und schon gar keine namentliche, gehörten die 9 von den 14 Luxemburgern, die den Krieg überlebten, nicht zu den ehemaligen Angehörigen des RPB 101, die im Laufe der Ermittlungen vernommen wurden.

Im Hauptverfahren waren in Hamburg 14 Personen angeklagt, die auch Gegenstand des oben erwähnten Urteils waren. Als es der ermittelnden Staatsanwaltschaft bewusst wurde, dass alle Angehörigen des Bataillons am Judenmord beteiligt waren, da der Sondereinsatz des RPB 101 im Rahmen der Aktion Reinhardt ablief, wurde ein Parallelverfahren eröffnet, in dem auch Luxemburger angeklagt wurden. Die Ermittler befassten sich allerdings erst mit den Luxemburgern, als drei von ihnen von ihrem früheren Gruppenführer Krause als Zeugen genannt wurden.49 Diese drei wurden im Dezember 1973 vernommen. Was sagten sie zu Józefów?

Am 12. Dezember 1973 wurden JW, Kommissar der Luxemburger Kriminalpolizei („Sûreté publique“) und EK, Adjutant der Luxemburger Gendarmerie, und am 13. Dezember 1973 MS, Wachtmeister der Luxemburger Gendarmerie, in Nennig vom Hamburger Staatsanwalt Fehse und dem Kriminalhauptmeister Benthin zu ihrem Poleneinsatz vernommen. Alle drei hatten dem Zug Boysen der 1. Kompanie angehört.

JW behauptete, den Ortsnamen Józefów aus einem Gespräch mit seinem Gruppenführer Krause erfahren zu haben. Dort sei eine „Aktion“ durchgeführt worden. Er habe dann später von Kameraden erfahren, in Józefów habe eine „Erschießung“ stattgefunden. Er glaubte sich erinnern zu können, die Aktion sei als „Sühnemaßnahme“ bezeichnet worden. Was deutsche Kameraden anbelangt, erinnerte er sich u.a. an die Namen Burmeister und Bols. Auf die Frage, ob ihm bekannt sei, dass das Bataillon oder die 1. Kompanie noch weitere größere Erschießungen durchführen musste, antwortete er: „Mir ist darüber nichts bekannt. Ich habe auch damals nichts derartiges gehört.“50

EK gibt zwar genau wie Burmeister an, der Zug Boysen sei anfänglich in Frampol in einer Schule untergebracht gewesen und habe eines Tages den Befehl erhalten, nach Biłgoraj zu fahren. Er erinnert sich auch noch, dass auf dem Kasernenhof sehr viele Polizeikraftfahrzeuge standen, gibt aber dann diesbezüglich völlig andere und unglaubwürdige Gründe an. Er erwähnt mit keinem Wort die nächtliche Fahrt nach Józefów und behauptet sogar von Exekutionen in Józefów, Serokomla und Talcyn/Kock „überhaupt nichts“ gewusst zu haben. „Ich kann mich auch nicht erinnern, nachträglich von derartigen Erschießungen gehört zu haben“, gab er zu Protokoll.51

MS gab folgende, völlig unglaubwürdige Geschichte zu Protokoll: „Wir haben nie mit Juden zu tun gehabt. Wir haben auch nie Juden zusammentreiben oder von einem Ort zu einem anderen Ort bringen müssen. Wir sind nur mit unseren Fahrrädern immer in der Feldmark und in den Wäldern unterwegs gewesen, um nach Partisanen zu suchen. Allerdings haben wir niemals welche erwischt.“ Auf nochmaliges Befragen, behauptete er: „Ich habe nie an Massenerschießungen teilnehmen müssen, auch nicht als Absperrposten.“ Den Namen Józefów erwähnte er nicht.

Diesem gleichen Mann wurde im Rahmen der Epurationsprozedur52 von zahlreichen Zeugen vorgehalten, bei Heimaturlaub unter Alkoholeinfluss erzählt zu haben, seine „Hauptbeschäftigung“ in Polen bestehe darin, Juden zu erschießen. Dies würde ihm auch gar nichts mehr ausmachen.53

Bei der Darstellung der Luxemburger scheint es sich um eine abgestimmte Sache zu handeln. Sie wollten unbedingt nicht in Józefów gewesen sein. Über das warum können nur Vermutungen angestellt werden. Vergessen konnten sie den Ort sicher nicht, da sich dieses erste Massaker des RPB 101 sehr tief in das Gedächtnis der Beteiligten eingrub. Das haben zahlreiche Hamburger Vernehmungen gezeigt, auch von Männern, die nachweislich mit den Luxemburgern eng bekannt waren.

Befragt, was er von den Aussagen der Luxemburger zur Aktion in Józefów halte, gab Burmeister am 7. Februar 1974 zu Protokoll: „Ich bin mir sicher, dass die Luxemburger diesen Einsatz mitgemacht haben. Es ist aber möglich, dass sie nicht mit zum Exekutionskommando eingeteilt worden sind. Ich erinnere mich nämlich, dass ich zahlreiche Luxemburger als Wachposten am Waldrand und am Abladeplatz der Juden gesehen habe.“54 Aber auch das wurde vom Hamburger Gericht als Beihilfe zum Mord gewertet.

Die Luxemburger stellten ihren Sondereinsatz im Distrikt Lublin als einen ganz normalen Kriegseinsatz dar und vermieden, soweit es ging, das Wort „Juden“. Dass es bei dem Sondereinsatz des RPB 101 in erster Linie um die Vernichtung der Juden ging, haben sie verschwiegen und versuchten sogar, die erfahrenen Hamburger Ermittler zu täuschen.

Józefów war erst der Anfang einer langen Serie von Verbrechen des RPB 101 an Juden.


Für Korrekturvorschläge bedankt sich der Verfasser insbesondere bei Paul Dostert, der mit seinem Aufsatz „Die Luxemburger im Reserve-Polizei-Bataillon 101 und der Judenmord in Polen“, in: Hémecht, 52 (2000) eine erste fundierte Studie in Luxemburg zu diesem Thema veröffentlichte. Ausgangspunkt für alle Publikationen über das RPB 101 ist Christopher Brownings Monografie, die in den USA im Jahre 1992 erschien (s. Anm. 38). Der Verfasser dieses Beitrags bekam im Januar 2020 Zugang zu den erwähnten Prozessakten im Staatsarchiv Hamburg.

Obwohl die Namen der betroffenen Luxemburger bereits in mehreren Publikationen veröffentlicht wurden, werden in diesem Text lediglich die Anfangsbuchstaben der Vor- und Nachnamen verwendet.

Gek. Link: https://bit.ly/3lTIWMm (aufgerufen am 30.5.2022).

3  Arendt, Alain: La Compagnie des Volontaires du Grand-Duché de Luxembourg pendant la Deuxième Guerre mondiale, Diplomarbeit, École royale militaire, Brüssel 1985, S. 21.

Arendt, S. 26.

5  https://legilux.public.lu/eli/etat/leg/agd/1939/09/15/n1/jo (zuletzt aufgerufen am 30.5.2022).

6  Arendt, S. 34-38.

7  Chef der FK war am 10.5.1940 Hauptmann Jacoby, der sofort mit der Organisation der Evakuierung der Luxemburger aus dem Kriegsgebiet betraut wurde. Daraufhin wurde Oberl. Brasseur „bis auf weiteres“ mit der Führung der FK betraut. Arendt, S. 163.

Die für die Gendarmerie bestimmten Luxemburger wurden am 23.8.1941 wegen Dienstverweigerung fristlos entlassen. Jacoby, L., Trauffler, R.: Freiwëllegekompanie 1940-1945, Band II, Luxembourg 1986, S. 15.

9  Brasseur gab im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens am 9.7.1954 zu Protokoll, dass unter den für die SS bestimmten Luxemburgern sich höchstens fünf befanden, die sich freiwillig gemeldet hatten. ANLux CT-02-01-00337.

10 Gesamtbilanz des Leidenswegs der FK: 77 Tote, davon wurden 22 erschossen, 233 wurden in Gefängnissen und KZs inhaftiert (Zahlen Arendt, S. 360-361).

11 Arendt, S. 258-305. Bemerkung: In diesem Kampf verloren die Luxemburger der 5. Kp. bereits am 31.10.1941 vier Kameraden in St. Oswald. Daraufhin wollten sie kollektiv zurücktreten, was allerdings von der Hierarchie pauschal abgelehnt wurde.

12  Nach der Besetzung durch die Wehrmacht, wurden diese Gebiete einer zivilen deutschen Besatzungsverwaltung unterstellt.

13  Diese Zusammenarbeit ist durch einen Brief von Bozidar Gorjan vom Verband der slowenischen Freiheitskämpfer ZZB NOB Slovenije belegt. In: Jacoby/Trauffler (s. Anm. 8), S. 17-21.

14  ANLux CT-02-01-00337. Aus Vernehmungen, die im Jahre 1954 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens durchgeführt wurden, ergeben sich leicht abweichende Angaben.

15 Arendt, S. 300-301.

16  Arendt, 284-287.

17 Der Verfasser hat 106 Epurationsakten (ANLux EPU) ehemaliger FK-Angehörigen und die Akten von 5 Ermittlungsverfahren (ANLux CT) durchgesehen. Daraus ist ersichtlich, dass die Luxemburger an vielen Orten außerhalb Deutschlands in unterschiedlichen Polizeieinheiten eingesetzt waren.

18 Klemp, Stefan: Nicht ermittelt. Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz. Ein Handbuch, 3. Aufl., Berlin 2022, S. 560.

19  Curilla, Wolfgang: Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei 1939-1945, Paderborn 2011, S. 851.

20 15 Luxemburger kamen zum RPB 101, aber nur 14 rückten nach Polen aus; einer blieb krankheitshalber in Hamburg zurück.

21 Amtliches Fernsprechbuch für den Distrikt Lublin, S. 18. Gek. Link: https://bit.ly/3xYKyKG (aufgerufen am 28.6.2022). Hinweis Jakub Chmielewski.

22  Gek. Link: https://bit.ly/3xdE626 (aufgerufen am 4.6.2022)

23 Gek. Link: https://bit.ly/3NkPGPG (aufgerufen am 4.6.2022); SS-Brigadeführer Ohlendorf sagte am 3.1.1946 vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg aus, dass es die Aufgabe der Einsatzgruppen war, im russischen Territorium die kommunistischen Kommissare und die Juden zu töten. Staatsarchiv Hamburg (StAHH), Anklageschrift_213-12_0021_Band 013, S. 161-162.

24 Protokoll der Wannseekonferenz, In: Poliakov, Léon/Wulf, Josef, Das Dritte Reich und die Juden, Berlin 1955, S. 126.

25  Am 13.10.1941 traf sich Himmler in Berlin mit Krüger, SS- und Polizeiführer im GG und Globocnik, SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin. Historiker gehen davon aus, dass bei diesem Treffen entschieden wurde, im GG Vernichtungslager zu errichten. (Versch. Quellen).

26  StAHH, 213-12_0021_Band 004, Bl.2091.

27 StAHH, Urteil_213-12_0021_Band 020a, Bl. 2040.

28 StAHH, 213-12_0021_Band 004, Bl.2090-91.

29 StAHH, 213-12_0021_Band 001, Bl. 462.

30 StAHH, Urteil, Bl. 2030.

31 StAHH, Urteil, Bl. 2031.

32 Ebd.

33 Dies wurde von zahlreichen Zeugen im Hamburger Prozess bestätigt.

34 StAHH, 213-12_0021_Band 004, Bl 2040.

35 StAHH, Urteil, Bl. 2033.

36 StAHH, 213-12_0021_Band 002, Bl. 821.

37 Geheimer Schnellbrief des Chefs der Ordnungspolizei Daluege vom 4.10.1941 an die zuständigen Dienststellen (verschied. Quellen).

38 Browning, Christopher : Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, 7. Aufl., Hamburg, April 1996, S. 304.

39 StAHH, 213-12_0021_Band 004, Bl. 2167.

40 Bumann war bereits am 6.7.1948 in Siedlce, Polen, zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt worden, und dies im selben Prozess, in dem Trapp zum Tode durch den Strang verurteilt wurde. StAHH, 213-12_0021_Band 002, Bl. 825.

41 StAHH, 213-12_0021_Band 004, Bl. 2041.

42 StAHH, Urteil, Bl. 2047.

43 StAHH, Anklageschrift S. 230.

44  StAHH, Urteil, Bl. 2048.

45 StAHH, 213-12_0021_Band 003, Bl. 1639-40.

46 Ebd., Bl. 1640.

47 StAHH, Urteil, Bl. 2037.

48 E-Mail-Mitteilung vom 19.6.2022. S. auch StAHH, Anklageschrift, S. 234-235.

49 Lorang, Mil: Beihilfe zum Mord: Luxemburger im Reserve-Polizeibataillon 101, In: Luxemburg und das Dritte Reich, Esch/Alzette 2021, S. 590-617.

50 StAHH, 213-12_0022 _Band 003, Bl. 1951.

51 StAHH, 213-12_0022_Band 003, Bl. 1957-1960.

52 Alle Vorkriegs-Staatsbedienstete wurden durch die Epurationskommission nach dem Krieg auf Kollaboration während des Krieges geprüft. Antipatriotisches Verhalten wurde geahndet, ev. Beteiligung an Verbrechen war kein Thema.

53 ANLux, EPU-01-19095. (1) Mitteilung der Union der Luxemburger Widerstandsbewegungen vom 27.11.1944 an den Staatsanwalt; (2) eidesstattliche Aussage vor der Epurationskommission am 29.10.1945 durch den Zeugen JS.

54  StAHH, 213-12_0022_Band 003, Bl. 2041-42.