Umstrittene GedenkkulturTrotz Verbot können sich im einstigen KZ Mauthausen Extremisten verewigen

Umstrittene Gedenkkultur / Trotz Verbot können sich im einstigen KZ Mauthausen Extremisten verewigen
Extremistische Botschaften an den Wänden des ehemaligen KZ Mauthausen werden mit Glaswänden konserviert anstatt entfernt Foto: Manfred Maurer

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Im ehemaligen KZ Mauthausen sorgen Kritzeleien und Graffiti mit extremistischem Kontext für Irritationen. Der Ruf nach Entfernung wird laut, aber von der Leitung der Gedenkstätte zurückgewiesen.

Auch 76 Jahre danach sorgt die Aura des Grauens für Gefühle, die ausgedrückt werden wollen. „Bei vielen Besuchern merken wir das Bedürfnis, etwas zu hinterlassen“, sagt Gudrun Blohberger, pädagogische Leiterin der KZ-Gedenkstätte im oberösterreichischen Mauthausen. Doch man ist auf der Hut an dem Ort, wo zwischen 1938 und 1945 rund 90.000 Menschen zu Tode geschunden wurden. Wenn die Gedenkstätte nicht wie auch am morgigen Internationalen Holocaust-Gedenktag geschlossen ist, werden die von Besuchern in die aufliegenden Tablets getippten Botschaften auf bedenkliche Inhalte gecheckt, ehe sie auf der Projektionstafel für alle sichtbar aufpoppen.

In den analogen Besucherbüchern finden sich zahlreiche überklebte Seiten, auf die „Heil Hitler“, Hakenkreuze oder sonstiger brauner Hirnmüll gekritzelt wurden. Zehn bis 15 Mal im Jahr werde wegen Verstößen gegen das NS-Verbots- oder Symbolegesetz Anzeige erstattet, betont Blohberger die konsequente Haltung gegenüber Regelverstößen. Und die kann jeder am Eingang nachlesen: „BesucherInnen, die durch Verhalten, Kleidung oder politische Symbole menschenverachtendes oder rassistisches Gedankengut ausdrücken, werden des Ortes verwiesen.“

Anti-israelischer Slogan

Umso verwunderlicher der lockere Umgang mit manchen extremistischen Botschaften. Im einstigen Arrestgebäude und im Duschkeller sind die Wände übersät mit Kritzeleien und Graffiti, deren Anbringen in dem denkmalgeschützen Gebäude grundsätzlich verboten ist. Manche stammen von Angehörigen ehemaliger Häftlinge, die so ihren Besuch dokumentieren wollten. Nicht wenige aber transportieren politische Inhalte, die gerade hier nichts verloren haben sollten. Neben dem serbischen Tschetnikkreuz finden sich der Schriftzug der islamistischen „Milli Görüs“-Bewegung, die „Drei Halbmonde“ der rechtsextremen türkischen MHP-Partei, das in Österreich verbotene Logo der marxistischen Terrororganistion PKK und die den Ruf nach der Auslöschung Israels nur euphemistisch verschleiernde Parole „Free Palestine“.

Die Kommentierung der Graffiti ist zwingend nötig

Guy Dockendorf, Präsident des Internationalen Mauthausen-Komitees

„Milli Görüs“ ist eine Gründung des vor zehn Jahren verstorbenen Islamisten und türkischen Ex-Premiers Necmettin Erbakan, der seine Jünger lehrte, dass „die Juden seit 5.700 Jahren die Welt regieren“. MHP-Gründer Alparslan Türkes drohte den Kurden mit Ausrottung und erfand auch die „Grauen Wölfe“, deren Anhänger hier im KZ nicht nur einmal den verbotenen Wolfsgruß zeigten und stolz auf Facebook posteten. Rechts- und Linksextremisten eint der Antisemitismus: Auch PKK-Führer Abdullah Öcalan irrlichterte oft antisemitisch. Er schreibt sogar die kurdenfeindliche Politik der Türkei jüdischem Einfluss zu.

Konservierter Extremismus

Die auf diese Gruppierungen Bezug nehmenden Graffiti werden nicht nur nicht entfernt, sondern inzwischen sogar mit Glaswänden geschützt und mit kurzen Erklärtexten versehen. „Auf diese Weise sollen BesucherInnen zur kritischen Auseinandersetzung … angeregt werden, anstatt durch Löschung so zu tun, als würde es solche Standpunkte nicht geben“, so die Bundesanstalt Mauthausen Memorial (BAMM) in einer Stellungnahme gegenüber dem Tageblatt. In der Praxis der Gedenkstättenarbeit habe „sich gezeigt, dass solche Graffiti dabei gute Anknüpfungspunkte sein können, selbst dann, wenn sie politisch problematische Inhalte transportieren“.

Diese Sichtweise teilt der Präsident des Internationalen Mauthausen-Komitees, Guy Dockendorf: „Die Kommentierung der Graffiti ist jedoch – entweder mit Tafeln, im Audioguide oder bei Führungen – zwingend nötig“, so der Luxemburger, der einen Vergleich mit der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen zieht: Dort wurde die 1992 von Neonazis abgefackelte Häftlingsbaracke auch nicht wieder aufgebaut, sondern, „genau in dem völlig verkohlten Zustand konserviert und seitdem für politische Bildungsarbeit genutzt“.

Affront gegen die Opfer

Diese Auseinandersetzung ist freilich in Mauthausen angesichts oberflächlicher oder gar nicht vorhandener Erläuterungen schwer vorstellbar. Die „Grauen Wölfe“ etwa sind nicht, wie im Duschkeller beschrieben, „eine rechtsextreme Gruppierung in der Türkei“, sondern wie „Milli Görüs“ längst europaweit aktiv.

„Solche Graffiti haben dort nichts zu suchen“, findet daher der Historiker Franz Schausberger. Sie seien „ein Affront, eine tiefe Kränkung und Verletzung der noch lebenden und Nachfahren der KZ-Opfer“, so der Präsident des Dr. Karl-Vogelsang-Instituts und ehemalige Salzburger ÖVP-Landeshauptmann. Zur historisch-didaktischen Aufarbeitung solle man die Graffiti fotografieren, dokumentieren und archivieren.

Entfernen zu teuer?

Für Gudrun Blohberger ist es „nachvollziehbar, zu sagen, das sei an einer Gedenkstätte unangemessen“. Sie glaubt aber, dass „unser Weg auch Vorbild sein könnte für andere, mit ähnlichen Problemen konfrontierte Gedenkstätten“. Sie verweist zudem auf hohe Kosten, die aufwändige Restaurierungsarbeiten am historischen Gemäuer verursachen. Tatsächlich wurden aber schon des Öfteren Restauratoren mit der Entfernung unwürdiger Inschriften beauftragt.

Dass die Graffiti „der Würde des Ortes nicht angemessene Aktivitäten“ sind, findet auch Willi Mernyi. Was die Frage des Entfernens angeht, verweist der Chef des Mauthausen-Komitees aber auf die Zuständigkeit der dem ÖVP-geführten Innenministerium unterstehenden Bundesanstalt Mauthausen Memorial. Deren Pädagogische Leiterin schließt einen Umdenkprozess zumindest nicht ganz aus: „Gedenkstättenarbeit entwickelt sich ständig weiter“, sagt Gudrun Blohberger zum Tageblatt, „auch bei den Graffiti ist das ein Prozess“.

d'Boufermamm
26. Januar 2021 - 19.00

Das braune Virus sitzt tief und keimt wieder auf.