Tiefpunkt einer reizvollen Saison

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LUXEMBURG - Die Konzertsaison im Atelier endet mit der ernüchternden Erkenntnis, dass Punk immer noch lebt. Oder war es Crust? Jedenfalls war es ein Genre, das unser Gleichgewicht ins Wanken geraten ließ.

Cerebral Ballzy nennt sich die Band, die am Montagabend (12.12.) zum Pogo aufrief und die von unserem Kollegen Stefan Kunzmann als die Offenbarung des Jahres schlechthin gilt. Nun, sein Faible für Black Flag ist wahrlich kein Geheimnis. Und irgendwie sympathisieren wir mit ihnen, schließlich zählen sie zu den einflussreichsten Bands der frühen amerikanischen Hardcore- und Punkszene.

Musik aber, wie sie Cerebral Ballzy zu spielen pflegen, haben wir in unserer Jugend mindestens tausend Mal besser gehört. Nichts gegen Punk, ganz im Gegenteil. Diese Lebensphilosophie gilt es zu kultivieren, gar zu bewahren. Eigentlich sollte sie zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt werden. Lebe wild und gefährlich! Das haben viele verlernt. Jene, die einst mit Bierpulle durch die Straßen stolperten und pöbelten, haben sowohl den Irokesenschnitt als auch die Zungen-Piercings abgelegt und sie gegen Anzug und Krawatte getauscht.

Cerebral Ballzy sind noch jung. Ob auch sie eines Tages zum Spießertum konvertieren werden? Laut Stefan Kunzmann undenkbar. Diese Band sei ja schließlich die Inkarnation des Punk, so wie die nachfolgende Band jene des britischen Retro-Rock sein mag.

Im Keim erstickt

Doch auch die Performance von The Horrors hatte einen faden Beigeschmack. Zugegeben, auch Musik, wie sie uns The Horrors vorgaukeln wollen, haben wir mindestens tausend Mal besser gehört. Denken wir bloß an The Verve oder Blur. Oasis mag ich erst recht nicht über die Lippen bringen, schob man sie zeitlebens doch in die Ecke des Brit-Pop. Doch es gibt zur Genüge rezente Beispiele, allesamt Bands, die bereits im Auftrag des Atelier im Großherzogtum auf der Bühne standen: Franz Ferdinand, The Killers, Mando Diao, Kasabian, The Kooks und The Hives. Haben wir eine vergessen?

Retro-Rock, das muss an dieser Stelle einfach mal gesagt werden, langweilt. Gewiss, The Strokes waren irgendwie noch aufregend, reduzierte sich ihre Musik doch auf einverleibende Gitarrenriffs und eine krächzend-rauchige Stimme, die uns den letzten Nerv raubte. Doch irgendwann tummelten sich im Rock-Olymp zu viele Nachahmer, die sich unaufhaltsam vermehrten und sich gegenseitig die Luft abschnürten. Die Szene stagnierte und fand in Arctic Monkeys ihr letztes Lebenszeichen.

Da schätzen wir Bands, die sich vom Brit- und Retro-Rock vollends abgewandt haben und elektronische Wege einschlugen, die manch einen zwar irritierten, doch wenigstens im 21. Jahrhundert den Versuch wagten, neue Klänge aus sich herauszukitzeln.

Mit dem durch und durch anspruchslosen Auftritt von The Horrors endete also die diesjährige Konzertsaison im Atelier – eine Saison, die es in sich hatte. Nicht zuletzt wegen der herausragenden Konzertbegegnungen mit Yael Naim, DJ Shadow, Foals, Death Cab For Cutie und Stephen Malkmus, um nur einige nennen zu wollen. Auch das „Rock-A-Field“-Festival, das sich mit seiner überaus reizvollen Verpflichtung von Arcade Fire auf Anhieb in unsere Herzen spielte, war zugegebenermaßen das Konzert-Highlight des Atelier schlechthin. Das weiß der Autor dieser Zeilen unglücklicherweise nur vom Hörensagen.

Eine heilige Stätte

Doch die Saison hatte auch seine Tiefpunkte. Es wurden Schläge verteilt, die tief unter der Gürtellinie lagen. Die Rede ist vom gescheiterten Projekt „A-battoir“, das dem Atelier neuen Unterschlupf gewähren sollte. Polemiken entfachten, aufgebrachte Bürger gingen auf die Barrikaden, warfen alles und jeden in einen Topf. Die Rede war von Junkies, unverbesserlichen Alkoholikern und Störenfrieden. Irgendwann war das Fass voll und Laurent Loschetter tat das einzig Richtige, indem er die Notbremse zog, während der Kolumnist sich die Frage stellte, ob es tatsächlich die junge, zierliche Frau im samtweichen Abendkleid sei, aus deren Umhängetasche Houellebecqs „La carte et le territoire“ unweigerlich nach Luft ringt, die sich lieber heute als morgen den goldenen Schuss setzen würde?

Nein. Das war sie natürlich nicht. Sie war ein ganz anständiger und liebevoller Mensch, der gerne Musik hört und Konzerte besucht. Denn Konzerthäuser sind keine Crackbude, sondern in gewissem Maße eine therapeutische Einrichtung, heilige Stätten, die von all jenen Menschen aufgesucht werden, die Trost in der Musik suchen, oder aber sie sind Orte für Menschen, die für einige Stunden den Alltag vergessen und in Tagträume flüchten wollen.

Oder aber es handelt sich ganz einfach nur um Menschen, die Musik lieben und mit dem Musiker ihrer Wahl einen unvergesslichen und tanzbaren Abend teilen wollen. Nichts anderes sollte das Ideal eines Konzerthauses sein. Na gut, Konsum gehört sicherlich auch noch dazu.