Tiefe Einblicke ins innere Seelenleben

Tiefe Einblicke ins innere Seelenleben
(Tageblatt/Hervé Montaigu)

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Die finnische Künstlerin Marita Liulia bezeichnet sich selbst als eine Hexe. Jedoch keine, die uns mit einem bösen Fluch belegt, sondern eine, die tief in die Seele des Menschen blickt.

Als Instrument dient ihr das Tarock. Sie ist regelrecht fasziniert von diesen Spielkarten. Sie mag das Tarotlegen gar so sehr, dass sie ihr eigenes Kartenspiel geschaffen hat.

Und wenn die Künstlerin zur feierlichen Ausstellungseröffnung einlädt, verwandelt sie sich in ein eheimnisvolles Wesen und prophezeit des Besuchers Zukunft.

Todeskarte

„Sagen Sie mir Ihr Geburtsdatum“, fordert Marita Liulia mit einem großen Lächeln im Gesicht. Ich vertraue mich ihr an und komme ihrer Forderung nach. Sie schreibt akribisch auf, addiert die vermerkten Zahlen und schickt mich zur Karte 9, die hinter mir an der Wand hängt und Aufschluss über meine Persönlichkeit und mein inneres Seelenleben gibt. Ein Eremit bin ich also, jemand, der auf der einsamen Suche nach dem wahrhaft Seienden ist.

Marita Liulia aber liebt nur eine Karte, die des Todes, nicht etwa weil sie furchteinflößend ist, sondern weil sie Veränderungen voraussagt! „Wechsel klingt gut!“, sage ich mir. Denn wer braucht ihn nicht, den Tapetenwechsel und mit ihm neue Herausforderungen in unserem oftmals doch so trostlosen Alltag. „Tarot“, das es auch als Online-Spiel auf ihrer Webseite gibt, ist allerdings nicht das einzige Kunstwerk, das die finnische Künstlerin zurzeit in der Abtei Neumünster zeigt.

Ausstellung

Die eigentliche Ausstellung trägt den Titel „Choosing My Religion“. Ganz im Gegensatz zu R.E.M. begibt sich Marita Liulia auf eine historische und philosophische Suche nach den verschiedenen Weltbildern der großen Religionen dieser Welt: Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus und Shinto sind nur einige unter ihnen, die sie über Jahre hinweg erkundet hat. Marita Liulia selbst versteht sich als Atheistin.

Und gerade deswegen war es ihr möglich, unbefangen in die jeweiligen Lebensphilosophien einzutauchen. Und ihr burschikoses Aussehen erlaubte der Künstlerin, unbemerkt in Moscheen einzutreten. Selbst die buddhistischen Mönche akzeptierten sie in ihren Reihen, obwohl Marita Liulia explizit die Frage stellte, wieso sie eine Frau in ihrer heiligen Stätte tolerierten. „‚Du bist auf keinen Fall eine Frau!‘, lautete ihre Antwort“, erzählt Marita Liulia mit funkelnden Augen.

Unersättlich

Sie ist wahrlich eine rastlose und unermüdliche Künstlerin. Sie ist stets auf Achse und arbeitet unentwegt an neuen Kunstprojekten, in deren Mittelpunkt immer und immer wieder die Interaktion mit ihrem Publikum steht. Ein geeignetes Hilfsmittel ist das weltweite Netz. „Seit es das Internet gibt, benutze ich es“, erzählt die im Jahr 1957 geborene Künstlerin, die für die Verwirklichung der Ausstellung „Choosing My Religion“ binnen fünf Jahren rund 45 Länder besucht hat. Nach diversen Ausstellungen in finnischen und norwegischen Museen wird ihre künstlerische Arbeit über die Weltreligionen erstmals außerhalb von Skandinavien gezeigt.

„Jedoch zeige ich hier in Luxemburg nur eine Auswahl der verwirklichten Kunstwerke“, erzählt die Künstlerin – ein durchaus reizvolles und belehrendes Kunstprojekt, das sowohl Fotografie, Malerei und Videoinstallationen umfasst und dem Besucher mittels interaktiven Medien die Möglichkeit bietet, sämtliche Religionen nach Themen zu erforschen, jene auszuschließen, die gegen die eigenen Wertvorstellungen verstoßen und die auszuwählen, die mit dem eigenen Wesen im Einklang steht.

Projekte

„Kürzlich erhielt ich das Angebot, sie in der Arabischen Welt zu zeigen“, erzählt eine stolze und fröhlich gestimmte Künstlerin, die noch einige Tage in Luxemburg weilt. „Ich werde die Zeit nutzen, um an weiteren Projekten zu arbeiten“, offenbart Marita Liulia.

Eines dieser Projekte befasst sich mit dem Thema Tod. „Es gibt in der westlichen Welt zwei Themen, die die Menschen bewegen: der Konsum und der Tod, der unentwegt vermarktet wird“, verdeutlicht Maria Liulia. Doch wie kam sie auf die Idee, das Projekt „Choosing My Religion“ zu verwirklichen? „Nach ‚Tarot‘ war ich regelrecht erschöpft. Ich benötigte eine Auszeit und fand Zuflucht am anderen Ende der Welt, in Tokio. Das war gerade zu der Zeit, in der sämtliche Medien erneut über die drohende Gefahr des islamistischen Terrorismus berichteten. Ich wollte mehr wissen und verstehen, warum ein Krieg unter Religionen und Ideologien derart ausartet und das Leben von Millionen von Menschen auslöscht“, so die seit 30 Jahren unabhängige Künstlerin.

Ein klare oder tröstende Antwort hat sie nicht gefunden. Das konnte sie ihrer Meinung nach auch nicht. Doch hat sie vor allem eins gelernt: „Es gibt zwei Sorten von Extremismus, die die Welt vergiften: der Materialismus und der überzogene Spiritualismus. Es gilt, eine gesunde Mitte, die Balance zu finden“, so die überzeugte Künstlerin.