/ Thoughts of a male Cheerleader
Dass Dan Kolber interessante Texte schreiben kann, hat er in den letzten Jahren bereits in der Jugendbeilage „Extra“ und seit ein paar Monaten in unserer Kulturrubrik bewiesen. Heute schlüpft er in eine ihm völlig unbekannte Rolle.
Und dann war ich plötzlich Cheerleader. Stand vor der johlenden Menge, wurde in den tiefschwarzen, flächenweise von glänzendem Flutlicht besprühten Nachthimmel geworfen und schrie beflügelnde Sätze, wie „We are the mighty seniors and we know we’re the best!“.
Denn ja – ich wollte motivieren. Wollte und musste die Zuschauer und das Football-Team, ausnahmsweise aus Mädchen bestehend, fröhlich gestikulierend und mit einem überzeugten Lächeln um die Lippen auf die Siegerstraße führen. Und dann ließ ich meinen Blick umherschweifen, sah um mich herum nur junge, breite „Männer“, die sonst auf dem Wrestlingplatz Schweiß und Blut schmecken, heute in Cheerleader-Uniform herumhampeln, bemüht, ihre feminine, sorgende Seite zum Ausdruck zu bringen.
In der Rolle des passiven Unterstützers, als Mutter-Figur, das richtige Wort zum richtigen Moment suchend um das „Kind“, den Footballspieler, seelisch zu unterstützen, ihm das Gefühl zu geben, geliebt zu werden, auf dass es sich lohnt zu kämpfen:
„Wir sind hier, nur für euch! Und jetzt gewinnt dieses Spiel! Wir können das Spiel nicht für euch gewinnen, aber wenn auf dem Spielfeld Stille eintritt, trostlos und müde euch die Beine schwer werden, werden wir da sein und unser Ruf wird durch die Nacht erhallen! Auf dass unsere Wärme auf eure Herzen überfließt, drücken wir euch an unsere Brust!“
So klingt sie, die symbolische Übersetzung des Cheerleadertums. Und ehrlich, es war rührend, und tatsächlich nur manches Mal vom nervösen Machogehabe eines unsicher seine Männlichkeit betonenden Cheerleaders unterbrochen.
Während all dieser Ergüsse männlicher Motivationskunst drang vom Spielfeld immer wieder das verzerrte Geschrei weiblicher Stimmen herüber, die um den nächsten Touchdown kämpften. Ungewöhnlich roh, voll Wut, Kraft, als schwänge man die verbalen Keulen des postmodernen Überlebenskampfes: Die Zeiten, in denen Männer sich die Köpfe einschlagen und die Welt beherrschen, sind zu ihrem unbefriedigenden Ende gekommen! Wirtschaftskrise, Kriege überall auf dem Planeten verstreut, Hunger in Afrika, Arbeitslosigkeit und Naturkatastrophen sind die kläglichen Erbstücke männlicher Vorherrschaft! Frauen haben sich zu lange die Kehlen wund geschrien am Rande des Spielfelds!
Und hier in der staubigen Halbwüste Idahos, im kleinen Blackfoot – so überkam es mich plötzlich, während ich aus vollem Herzen die Mädchen anfeuerte – beginnt es also: Die Frauen verdrängen das männliche Geschlecht langsam vom Schauplatz schicksalsträchtiger Konflikte, das tiefreichende Gerüst sozialer Ungleichheit zwischen Mars und Venus wird auf radikale Weise entwurzelt und umgekehrt. Die Göttin der Liebe übernimmt das Feld des Krieges und umgekehrt, Mars wird zum Liebe verbreitenden Edelgeschöpf.
Und hier auf dem Football-Platz, in Blackfoot, nimmt alles seinen Lauf. Beim alljährlichen „Powderpuff Game“, einem American Football Game, bei dem ausnahmsweise die Mädchen gegeneinander antreten, während die Jungen in die Rolle der Cheerleader schlüpfen, erleben wir vielleicht den ersten Blick auf das, was so oft als Neuinterpretation der Frau-Mann-Beziehung angepriesen wird und wohl in dem Satz „Frauen sind sowieso intelligenter als Männer“ gipfelt.
Ich sah die Boy-Cheerleader neben mir aufmunternd die Hände hin und her schwingen, lächelnd, lieb, und hörte vom Spielfeld her den dumpfen Aufprall zweier Mädchen, in Football-Uniform, die gerade, sich gegenseitig zerquetschend, um den ovalen Football rangen.
Und ich erschrak. Tief und fürchterlich. Ist das die Lösung?, fragte ich mich. Ist dies das Resultat von jahrhundertelangem Kampf für die Rechte der Frauen? Dass sie sich nun, anstatt der Jungen, die Köpfe einschlagen können? Dass die Blutspuren auf den Trikots nun zwei X-Chromosome aufweisen dürfen, anstatt nur XY?
Und mich überkam plötzlich, inmitten der johlenden Menge, im Lichte der schimmernden Scheinwerfer, eine unerhörte Angst. Nein, nicht um die Zukunft des Mannes, nicht um die Zukunft der Frau. Sondern um die Zukunft der gesamten Menschheit.
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