„The Star-Spangled Banner“

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Dan Kolber ist seit Ende August als Austauschschüler für zehn Monate von Gosseldingen nach Blackfoot, Idaho, gereist. Von dort schreibt er jeden zweiten Samstag im Tageblatt über seine Erlebnisse und Eindrücke. / Dan Kolber, Blackfoot

Dass Dan Kolber interessante Texte schreiben kann, hat er in den letzten Jahren bereits in der Jugendbeilage „Extra“ und seit ein paar Monaten in unserer Kulturrubrik bewiesen. Heute analysiert er den amerikanischen Patriotismus.

Man ist halt ignorant. Gut, ich hatte eine leise Ahnung, dass Amerikaner ihr Land sehr ernst nehmen und mit Superlativen nicht sparsam verfahren, wenn es darum geht, ihren Machtstatus in der Welt zu definieren. Im Scheinwerferlicht globaler Massenverachtung ringt man eben um einen festen Halt, dachte ich. Man stottert Verteidigungsparolen hervor mit verunsicherten, bebenden Lippen, kurz vor der möglichen Explosion unter dem seit Jahrhunderten gefühlten Druck europäischer Verschmähung. Wissend, ja wir haben dieses Irak-Problem, ja wir stecken noch immer in Afghanistan fest, und Bush, ja, wir hatten auch Bush …
Wem läuft es nicht kalt den Buckel runter bei dem Gedanken daran, dies könnte auf die Beschreibung der politischen Situation seines Landes zutreffen?
Es ist erschreckend, es ist nicht schön: Ist das dein Land? „Nein!“, würden die meisten Menschen im Einklang sofort und lautstark erwidern, „wir sind auch dies und das! Und damals halfen wir denen und dort brachten wir jenen …“ Selbstlob, das sich im Sande verläuft als spontane Reaktion auf harsche Kritik, die man sich selbst nicht eingestehen will. Es ist eine primitive Antwort auf Kritik, aber umso menschlicher. Und wie ich dachte, bevor ich in die USA kam, der Grundauslöser für diese amerikanische Selbstliebe, über die man zuweilen gerne schmunzelt.
Und zum Teil hatte ich auch recht. Doch nach meinen 2-3 Monaten in den USA erkannte ich, befremdender- und fast belustigenderweise, dass dies nicht das Fundament amerikanischer Vaterlandsliebe sein kann, dafür ist dieser Patriotismus nicht spontan genug. Er ist nicht nur Reaktion, sondern auch Aktion, permanent, den Alltag durchdringend. Es ist schwer zu beschreiben, aber „God bless America!“ ist überall. Morgens beginnt es mit dem unter müde herbhängenden Augenlidern hervorgeleierten „Pledge of Allegiance“ (ich enthalte mich natürlich, dankbar) und zieht sich untergründig weiter durch den ganzen Tag, aktiv z.B. bei Reden auf Schülerkonferenzen, beim ewigen Abspulen der Nationalhymne, oder während gewöhnlichen, eigentlich edukativ-kritisch gedachten Dokumentationsfilmen schwingt sie mit, die ewige Litanei des „We can be proud of this and can be proud of that …!“
Aber auch während politischen Diskussionen, bei denen die Argumentationen gegen Obamas „europäische“ Ideen meist mit der Wendung „Wir Amerikaner wollen das nicht, in Amerika haben wir das nie so gemacht …“ beginnen und oft auch enden.
Es ist ständige Selbstreferenzialität ohne Selbstreflexion, und somit ein Abwehren fremder, nichtamerikanischer Ideen. Diese Haltung ist alles andere als ungewöhnlich und erinnert mich an unzählige politische Diskurse sei es in Luxemburg, Frankreich, China oder Venezuela. Es ist der populistische Meilenstein in politischen Auseinandersetzungen überall auf der Welt, aber in Amerika scheint es dennoch mit äußerstem Genuss und ungewöhnlichster Leidenschaft betrieben zu werden. Wenn auch, ich betone, nicht generell von jedem. Es ist immer wieder unfassbar für mich zu sehen, wie die Amerikaner es fertigbringen, ihren Patriotismus manchmal auf geradezu humoristische Weise ins Groteske zu verzerren, indem sie ihm in allen möglichen Riten huldigen. Sei es ein herrlich platziertes „God bless America“ oder dieses unglaubliche Erlebnis, das mir bei zwei meiner drei bisher hier gehörten Konzerten widerfahren ist: Die Band spielt, die Zuschauer lauschen, alles fast normal. Und dann plötzlich erkennt man wie die Band zum Song „America the beautiful“ wechselt. Das Licht über den Zuschauerrängen wird heller, Bühne und Audienz verschwimmen und mit der Hand am Herzen stimmen alle mit ein: „America! America! …“
Ich weiß dann nicht, ob ich tatsächlich grinsen soll, ich kann es nicht verhindern, aber ein Gefühl der Wärme für die Amerikaner erfüllt mich dann, über diesen alles einnehmenden, naiven Patriotismus, und ich muss einfach lachen, aber darf ich das? Letztendlich wird man zuweilen notgedrungen zum arroganten Europäer denke ich mir, erhebe mich auch und rufe laut und mit einem Schmunzeln zum Ende des Songs: „And yes, God bless America! Hallelujah!“
Alles verrauscht in schrillem Klatschen. Und pathetischen Schluchzern vielleicht … Und die Flagge weht.