Kulturpolitik auf dem Holzweg

Kulturpolitik auf dem Holzweg
(Fabrizio Pizzolante )

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Sie sind jung, dynamisch, gut ausgebildet und kunstaffin. Am Mittwoch hat sich „Richtung 22“ zur Kulturpolitik zu Wort gemeldet.

Es ist ein ungewöhnlicher Anblick auf dem Place de l`Europe. Da, wo normalerweise EU-Beamte in ihre Büros hasten oder Philharmoniebesucher ihren Konzertabend beenden, steht ein Campingtisch.

Drei junge Menschen sitzen daran, Mikrophone sind aufgebaut, Stühle stehen vor dem Tisch. Auf dem Steinboden steht „Pressekonferenz“ mit Kreide geschrieben, Maggy Nagels Namensschild – zu Kulturministerzeiten normalerweise auf dem Podium – ist auf den Boden verbannt.

Diffuses Gefühl des Ausgeschlossenseins

Wenn man den Vertretern von „Richtung 22“ glaubt, herrscht bei jungen, kunstaffinen Menschen im Land ein diffuses Gefühl des Ausgeschlossen-Seins. Bringt es einleitend auf den Punkt: „Wir haben keine Lust brav mitzuspielen“, heißt es dort.

Das Künstlerkollektiv, das im Namen die Richtung vorgibt, nämlich ins 22. Jahrhundert, in Richtung zukünftige Generationen, habe im Land keine Perspektive. Das steht in dem 19-seitige „Hand-Out“, das anlässlich der Pressekonferenz am Mittwoch auf dem Place de l`Europe in der Hauptstadt an die Besucher verteilt wurde. Das Kulturministerium im Land gebe viel mehr Tipps wie, ins Ausland zu gehen oder Lehrer zu werden und Kunst nebenbei zu machen.

Kritik am Kulturbudget

Die Kritik beginnt beim Kulturbudget. 86 Prozent des Geldes gingen an öffentliche oder staatliche Institutionen, das Kulturministerium übertrage so seine Verantwortung auf diese. Bei der direkten Projektfinanzierung habe es seit 20 Jahren keine Änderungen gegeben, heißt es in dem Papier.

Die Fokussierung auf die Institutionen schränke die Kreation ein, der Arbeitsmarkt für Künstler sei ein Albtraum, die Förderung von Nachwuchs werde vernachlässigt und ein Großteil der Gesellschaft nicht erreicht. So geht es dort weiter. In dem Zusammenhang fordert „Richtung 22“ eine Aufwertung des Kulturfonds Focuna, die Erhöhung direkter Projektfinanzierung und Stipendien für junge angehende Künstler.

Kunstszene „leichte Beute“

Vor allem die ethische Haltung, Entscheidungsgewalt zu Kulturfragen müsse erst erarbeitet werden, macht Maurice Sinner, Kommunikations- und Medienstudent mit schauspielerischen Ambitionen bei „Richtung 22“ für die Abwehrhaltung gegen die künstlerisch interessierte Jugend im Land verantwortlich. Das sagt er im Interview mit tageblatt.lu.

Zudem sei eine Kunstszene, die aus lauter Einzelkämpfern bestehe, „leichte Beute“ für die Politik. „Wir müssen alles Mögliche in Kauf nehmen, um uns Verbindungen aufbauen zu können“, sagt Sinner vor dem Hintergrund von Arbeitsverhältnissen im Niedriglohnbereich. „Kinder und Jugendliche werden immer benutzt, um Zukunftsorientation und Innovation quasi zu suggerieren“, sagt er.

Jugendförderung sei Augenwischerei

Wenn man aber schaue, wie staatliche, finanzielle Förderungen eingesetzt würden, sei es „armselig“. Jugendförderung werde als „Augenwischerei“ benutzt und auf die etablierten Institutionen abgewälzt, die der Staat kontrolliere, so die Kritik.
Am Kreislauf des Geldes, am Kreislauf der Verantwortung und am Kreislauf der Innovationsförderung ändere sich nachhaltig nichts. „Zu den Assises culturelles wurden selbst in der Vorbereitung keine jungen Menschen eingeladen“, sagt Sinner.

Man habe die Etablierten der Kunstszene angesprochen, aber nicht diejenigen, die in Zukunft davon betroffen seien. Studenten im Bereich Kunst und Kultur kämen nach dem Studium ins Land zurück und fänden Strukturen vor, die sie nicht mitbestimmt hätten, so Sinner. Außerdem werde Kulturpolitik als Standortpolitik und für das „Nationbranding“ missbraucht.

„Richtung 22“ hat nach eigenen Angaben rund 50 Mitglieder und besteht seit sechs Jahren. Ein Film- und ein Theaterprojekt wurden seitdem pro Jahr realisiert.

Mehr dazu gibt es in der Printausgabe am Donnerstag (30.06.2016) und im ePaper.