Sounds für eine kaputte Welt

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Scheitern von Gavrilo Princip (8/10)

Ganz ehrlich – nach ihrem Konzert im Atelier hatte ich die neue Scheibe von Franz Ferdinand vorzeitig als bestenfalls unpeinliches letztes Aufbäumen einer Band, die ihre besten Tage nun seit langem hinter sich hat, schlimmstenfalls als letzten Sargnagel einer gewissen Auffassung des Indierocks, die musikalisch mit dem langsamen Gitarrensterben der letzten Jahre, soziologisch mit dem Abebben der Faszination für Posterboys und Rockstars, da diese teilweise mit einer phallozentrischen Gesellschaftssicht einhergeht, die zum Weinstein-Skandal geführt hat, abgetan.
Schade wäre es gewesen um die eigentlich sympathischen Schotten, deren erstes Album auch heute noch für ironisches Dandytum, sägende Gitarren und catchy Songs steht. Und die nun auch noch am Weggang von Gründungsmitglied und Leadgitarrist Nick McCarthy leiden mussten – der prompt durch zwei neue Bandmitglieder ersetzt wurde. Klingt vertraut? Vor kurzem erst wollten Bloc Party (aus der gleichen Indierock-Schule wie Franz Ferdinand) Personalkündigungen als Neuerfindung tarnen.
Die Ratten verlassen das sinkende Indie-Schiff, die Kapitäne bleiben und ernten Verrisse? Weit gefehlt bei Franz Ferdinand. Denn passenderweise markiert 2018 das hundertjährige Ende des Ersten Weltkriegs – und die Rückkehr zu alter Form einer Band, die den (niedrigen) Erwartungshorizont von Fans und Kritikern einfach wegtanzt.
Auf Always Ascending gibt es nur einen Totalausfall: das hässliche Artwork. Schaut man darüber hinweg, sind die zehn Songs des Albums (fast) allesamt Hits: Beim Intro vom titelgebenden Opener fühlt man sich noch an atmosphärische Momente von Suede erinnert, kurz darauf lassen Franz Ferdinand Nostalgie für die Indiediscos der 00er-Jahre wach werden.
Die Platte wirkt wie eine Tour durch britische Popgeschichte der letzten 30 Jahre – hier erinnert man an die eigenen Erfolgstage („Lazy Boy“), dort via pornöses Saxophon („Feel the Love Go“) an die funkigen Artgenossen von The Rapture, dann wieder an die Balladen von Pulp („The Academy Award“).
Angereichert wird das Ganze mit den retrofuturistischen Synthies von Neuzugang Julian Corrie, auf die Alex Kapranos seinen lyrischen Stream of Consciousness über das Makabre von Ü30-Single-Parties oder die Selbstverliebtheit auf sozialen Netzwerken ergießt. Eine schöne Zeitreise.

js


Vertonung des Kaputten (9/10)

Efrim Manuel Menuck ist Insidern bekannt als denkender Kopf solch legendärer, experimenteller Bands wie Godspeed You! Black Emperor und Silver Mt. Zion. Godspeed You! Black Emperor schreiben Songs so lang wie ihr Bandname und sind wohl u.a. mitverantwortlich dafür, dass das Postrock-Genre irgendwann den Ruf bekam, endlos lange, monotone (aber atmosphärisch starke) Songs zu spielen.
Mit Pissing Stars veröffentlicht Menuck nun sein zweites Solowerk – und beginnt so schwarz und hoffnungslos, wie man es sich nur vorstellen kann. Der Opener „Black Flags Ov Thee Holy Sonne“ beginnt wie eine Schockszene aus einem Horrorfilm – Störgeräusche begleiten ein bluesiges Summen, man könnte sich das Lied auch als Begleitmusik zu einem der brutal-gleichgültigen, fast schon gemächlichen Gewaltausbrüche in „Fargo“ vorstellen.
Menucks Stimme kommt erst spät zum Zug, um dann verzerrt darüber zu singen, wie „Good times aren’t good times anymore“, bevor Kinderstimmen verhallt den langen, trostlosen, wunderbaren Einklang so bedrohlich beenden, dass es sich fast gut anfühlt, sich so unwohl zu spüren. Die Höllenfahrt geht anschließend alleine titeltechnisch munter weiter: Die folgenden Tracks heißen „The State and Its Love and Genocide“ oder „The Lion-Daggers of Calais“ und bleiben genauso karg, dunkel und schön.
In der Kaputtheit der Tracks fühlt man sich manchmal an eine organischere Version von Xiu Xiu erinnert, von der Hauptband Godspeed bleiben die Dissonanz und die Atmosphäre. Im zentralen, rockigen „A Lamb in the Land of Payday Loans“ wird kurz etwas Optimismus betrieben, man fühlt sich an eine aufgescheuerte Version von Arcade Fire erinnert oder an die artverwandten Trail Of Dead, gegen Ende kommt noch das herausragend schöne „The Beauty of Children and the War Against Poverty“, bevor das titelgebende „Pissing Stars“ mit viel Krach die Apokalypse heraufbeschwört:
Die Welt ist kaputt, vielleicht unheilbar, und Menuck spendiert den kompromisslosen, dissonant unkathartischen Soundtrack dazu. Schön im klassischen Sinne ist das nicht. Schön im Sinne der Ästhetik, die seine Band Godspeed You! Black Emperor mitgeschaffen hat, ist es auf jeden Fall. Es braucht zwar etwas Mut, um sich die Platte an einem Stück anzuhören, aber auf diesem wichtigen Album schafft Menuck Schönheit auf den Ruinen.

js


Anders und doch gleich (6/10)

Seit ihrer Debütsingle 2006 haben die drei Liverpooler von The Wombats mit witzigen Texten gepunktet. Ihr Stil blieb beständig und wies im Laufe der Jahre keine größeren Veränderungen auf. Im neuesten und bereits vierten Album Beautiful People Ruin Your Life werden Themen wie gewohnt in skurrilem Ton angesprochen.
Der Synthie ist, anders als bei dem vorherigen Album, wieder in Vergessenheit geraten, unterdessen drängen die Gitarren wieder in den Vordergrund. Allgemein kann man sagen, dass jedes Lied von einem beständigen Rhythmus begleitet wird. Weniger als die Hälfte der präsentierten Songs haben Potenzial zu einem Hit. Die Songs sind durchaus hörbar, jedoch hängen sie sich alle an die gleichen Motive und sind auf jeden Fall verbesserungsfähig.
Schnelles Tempo, leicht merkbare Melodien und Gitarren fehlen nirgends. Die Fans wissen ganz genau, was auf sie zukommt. Warum sich verdrehen und verstellen, wenn das Konzept perfekt aufgeht?
Dennoch merkt man, dass mit neuen Effekten hantiert wurde: Psychedelic Rock, New Wave und elektronische Rhythmen werden deutlich erkennbar. Einem richtigen Höhepunkt wird dadurch abermals ausgewichen, da der Blick wahrscheinlich weniger auf die Dynamik gerichtet war. Die Vorabsingles „Turn“ und „Lemon to a Knife Fight“ bieten den Fans schon einen kleinen Einblick, wie das neue Album ausgerüstet ist. „Cheetah Tongue“, das durch und durch Indierock beinhaltet, ist die perfekte Wahl für den Einstieg.
Dieser tanz-inspirierende Song zwingt einen durch auffordernde Melodie und Rhythmus zum Bewegen. „Out of My Head“ beginnt mit einer Basslinie, die ihren Durchbruch geschafft hat.
Man hat das Gefühl, dass verstärkter Bass eingesetzt wird, um den Mangel in den anderen Tracks auszugleichen. „I Only Wear Black“ hingegen dröhnt den Zuhörer mit einer unbeschwerten Melodie angenehm mit Glücksgefühlen zu. Damit der Deckel passt, muss noch daran geschliffen werden; dieses Album sorgt trotz allem für gute Laune und Tanzeinlagen.

Mélissa Schmit


Mach was draus! (6/10)

Als viel gebuchter Halligalli-Clown für Radio, TV oder Film tarnen sich seine ernsthaften Absichten meist hinter klamaukigen Auftritten. Doch der allseits beliebte Herr Olli Schulz ist nicht nur juxiger Moderator, quietschfideler Schauspieler oder drolliger Selbstdarsteller, sondern auch – das wird oft vergessen – vergnüglicher Musiker. Seit 15 Jahren bereits veröffentlicht er regelmäßig Alben, erst mit dem Hund Marie, später solo mit wechselnden Begleitern.
Das „Scheiß Leben“ ist nicht nur bei den anderen, sondern kann einen auch selbst erwischen, diese Erfahrung musste der Mittvierziger schon öfter machen. Seine prekären, dabei sehr konkreten und persönlichen Beobachtungen beginnen mit einem Lamento zu forschen Beats und ruppigen Raps. Die Klage wird dabei zur (Selbst-)Anklage: Was passiert ist, ist blöd, aber selbst schuld, zwar nicht an allen, aber doch vielen Irrfahrten.
Zu heterogen
und beliebig
Die Empfehlungen für eine Besserung sind einfach: auf einen reizenden Abend mit wahren Freunden setzen. Das falsche Leben, die Schulden, das Pech, die Niederlagen sachgerecht und stimmgewaltig entsorgen: „Schmeiß alles rein, schmeiß alle raus / Schmeiß alles rein, mach was draus.“ Bei allen künftigen Herausforderungen die inneren Werte dem äußeren Schein vorziehen, denn: „Nicht alles, was gut aussieht, ist in Wirklichkeit so toll“, das gilt insbesondere bei der Wahl des Partners, mag er auch (an bestimmten Stellen) komisch riechen oder schmecken.
Nach einer halben Stunde ist Olli Schulz fertig mit dem „Scheiß Leben“. Er hat als klampfender und klagender, rockender und rappender Liedermacher alles gegeben – und doch nicht vollends überzeugt. Zu bemüht heterogen die Songs, zu beliebig die Gäste (wie die professionellen Textaufsager Linda Zervakis und Bjarne Mädel), zu berauscht vom eigenen Können der Produzent Moses Schneider.
Nehmen wir das Album als kühnes Experiment mit schwieriger Versuchsanordnung, das seinem Anspruch Scheiß Leben, gut erzählt nur zum Teil gerecht wird. Und das liegt in diesem Fall nicht allein am beschissenen Leben.

OS