Schön und zerbrechlich

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Der alte Mann erinnert sich. Schön sind sie nicht, diese Erinnerungen. Bitter klingt seine Stimme, manchmal lacht er sarkastisch auf, wenn er sich die Zeiten ins Gedächtnis ruft, als er mit Mutter und Schwester in einer schäbigen Wohnung lebte, mit Feuertreppe statt Veranda. An manches mag er wohl gar nicht mehr zurückdenken, dann pfeift er...

Das Nationaltheater Luxemburg zeigte am Wochenende das Stück „Die Glasmenagerie“ des amerikanischen Dramatikers Tennessee Williams. Ein „Spiel der Erinnerung“ nannte Williams seine autobiografisch gefärbte Geschichte, mit der er 1944 seinen literarischen Durchbruch feierte.
In Rückblenden beschwört der Erzähler Tom Wingfield seine Vergangenheit herauf. Anders als im Original lässt der renommierte Theaterregisseur David Mouchtar-Samorai in seiner Inszenierung die Figur das alten Tom neben seinem jungen Alter Ego mit auf der Bühne stehen. Wie ein Phantom bewegt er sich zwischen den anderen Schauspielern. Ironisch spricht er manche Dialoge mit oder nimmt sie böse lachend vorweg. Er erinnert sich gut, der alte Mann, gespielt von Ulrich Kuhlmann mit beißendem Sarkasmus, aber nie übertreibend.
Der Vater hat sie schon lange verlassen. Der junge Tom, gespielt von Arne Lenk, arbeitet in einem Lagerhaus, um Mutter und Schwester mit seinem kargen Lohn durchzubringen.
Überfordert von seiner Rolle als Ernährer der Familie und einer überambitionierten Mutter, die für ihn eine berufliche Zukunft plant, die er nicht will, flüchtet er sich aus der Realität.
Jeden Abend verbringt er im Kino, wo er glaubt, die Abenteuer erleben zu können, die das wahre Leben ihm nicht bieten kann. Schier verzweifelt er an dem ungebrochenen Optimismus seiner Mutter Amanda, Nackenschläge und Zurückweisungen ignorierend.
„Morgenstund hat Gold im Mund“, äfft der alte Tom sie nach, wenn sie wieder mal mit zur Schau gestellter guter Laune durchs Zimmer tänzelt. Gabriele Köstler spielt Amandas aufgesetzte Munterkeit mit einer gefährlichen Nähe zur Hysterie. Sie träumt sich zurück in die glücklichen Jahre ihrer Jugend, mit wohlhabenden Eltern, einem abwechslungsreichen Gesellschaftsleben und einer langen Reihe von Verehrern. All das hat sie aufgegeben für einen Mann, der „nichts besaß außer Charme“. Ihre Kinder, Tom und Laura, sollen ihr den Traum eines anderen möglichen Lebens erfüllen. Eine „Geschäftskarriere“ soll ihre Tochter machen oder einen Ehemann finden, um gut versorgt zu sein.

Eine Traumweltvoller Glastierchen

Doch Laura verweigert sich konsequent den Plänen der Mutter. Das schüchterne, gehbehinderte Mädchen, dass am Leben außerhalb der Familie gänzlich zu scheitern droht, verliert sich in ihrer „Glasmenagerie“, einer Sammlung zerbrechlicher Glastierchen. Xenia Snagowskis Laura wirkt so fragil wie ihre „Glasmenagerie“. Tatsächlich ist sie aber stark genug, ihre Traumwelt gegen die dominante Mutter zu verteidigen.
Als Tom eines Tages einen Arbeitskollegen zum Abendessen mitbringt, richten sich Amandas ganze Hoffnungen auf diesen Jim O’Connor als potentiellen Verehrer ihrer Tochter. Ihre realen Verhältnisse komplett verleugnend, erscheint Amanda zum Abendessen in einem alten Ballkleid, verzweifelt bemüht vorzugeben, ein Leben zu führen, das sie schon längst verloren hat.
Deutlicher als in dieser wohl traurigsten Szene des Stückes kann man verpasste Chancen und nicht gelebte Möglichkeiten wohl kaum darstellen. Helge Tramsen als Jim O’Connor wirkt so normal, dass er fast befremdend wirkt. Jim glaubt an seine eigene Tatkraft, eine berufliche Karriere, ein kleines privates Glück. Laura, die in ihrer Schulzeit für Jim heimlich geschwärmt hat, blüht in seiner Gegenwart für kurze Zeit auf.
Vorsichtig öffnen sie sich einander und ganz unbeschwert verlieren sie sich in einem Tanz. Auch wenn Jim Laura sichtlich zugetan ist, muss er doch gestehen, dass er bereits verlobt ist.
Am Ende gelingt Tom die Flucht. Ein anderes, aufregenderes Leben wünscht er sich, vielleicht ja nur ein eigenes. Der alte Tom bleibt zurück auf der Bühne, glücklich ist er nicht. Die Erinnerung wird einen Teil von ihm immer an diesen Ort zurückkehren lassen.