/ Schlimmer als ein Verbrechen, ein Fehler
Trotz solch offensichtlichen Scheiterns an der zeitgenössischen Realität kommt Schillers ästhetisch-moralischer Anspruch, „den Weg zum Kopf durch das Herz zu öffnen“, in der preisgekrönten Behandlung durch Stefan Kimmig aus dem Jahre 2007 dennoch vollgültig zum Vorschein. Seine präzise Regiearbeit hat das etwas langatmige Drama in fünf Akten zu einem atemstockenden Thriller von zwei Stunden zusammengezurrt und mehr als verdient beim vergangenen Berliner Theatertreffen den 3Sat-Preis für zukunftsweisende Leistungen des deutschen Schauspiels errungen.
Über den Bezug zur Französischen Revolution und deren imperialen Folgeerscheinungen wird in der Hamburger Inszenierung zwar nur kurz, aber desto nachhaltiger geleicestert: Der gleich zweifach verhinderte Prinzgemahl Robert Dudley (Werner Wölbern) stottert sich im einzig nennenswerten dramaturgischen Beiwerk durch die Marseillaise, um gleich danach diesem „Haus des Schreckens und des Todes“ zu entfliehen – einer schönen Umschreibung für dieses examplarische Kammerspiel der Macht. Zu diesem Zeitpunkt ist Maria Stuarts Schicksal und Legende natürlich längst besiegelt: Auch eine nur mit Sandaletten bewaffnete Stuart (Susanne Wolff) bleibt der Siegerjustiz ihrer Tudor-Rivalin (Paula Dombrowski) haushoch überlegen. Sowohl ihre (reichlich untertrieben dargestellten) Reize als auch ihre straff dargebrachten, übrigen Argumente können im Showdown unter Birken besser wirken, ja, sogar ihr Kerker erinnert im direkten Vergleich zu Elisabeths Großraumbüro mehr an Priams Schloss als an Hekubas Knast.
Peter Jordan als Minister Burgley begeistert derweil in seiner staatstragenden Selbstherrlichkeit ebenso wie Helmut Mooshammers Shrewsbury in all seiner ehrlichen, aber reichlich gefühlsduseligen Humanität. Nur Christoph Bantzer als Amias Paulet bleibt zwischen all diesen Extremen in seinem büttelhaften Gefängniswärtertum etwas blass. Daniel Hoevels gelingt unterdes das Glanzstück, den oftmals zu romantisch-verkitscht interpretierten Mortimer als einsame, triebgesteuerte Terrorzelle zu entlarven – eine gelungene, zuspitzende Aktualisierung seiner Rolle, die sich so schnell von der Bühne nicht verdrängen lassen wird.
Kopf-an-Kopf-Rennen
Ebenso eindringlich nutzt jedoch auch Asad Schwarz-Msesilambas seine sich ihm bietende schauspielerische Gelegenheit: In der bescheidenen Rolle als Sekretär Davison, dem das ausgefertigte Todesurteil ohne ausdrückliche Handlungsanweisung übergeben wird, kulminiert für wenige Sekunden beim Zuschauer die Fiktion, ein Unbeteiligter könne einmal den Lauf der Geschichte ändern. Nur um sich wenige Augenblicke später ein höchstwahrscheinliches, aber menschliches Scheitern eingestehen zu müssen, dem sich auch die wahrhaft Mächtigen – wenn auch mittels allerlei Mummenschanz – seit jeher recht erfolglos zu entziehen trachten.
Da sollte Napoleon übrigens ebenso wie Elisabeth I. verfahren und seinen schönfärberischen Memoiren auf St. Helena anvertrauen, er sei von Minister und Polizeipräsident falsch/zu spät informiert worden. Beiderlei Opfern kann es egal sein – nur im Falle der Schottenkönigin sollte die Ironie des Schicksals Opfer und Täter bis heute in derselben Grabkapelle vereinen, wo sich ihr Charakterbild nun bis in alle Ewigkeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen um der Garteien Gunst und Hass liefert.
- Tageblatt Gewinnspiel vom 24.09.10: « Die Welt von Milch und Käse » mit Poster - 29. September 2010.
- Tageblatt Gewinnspiel vom 28.09.10: « Seife, Duft & Badeschaum » - 27. September 2010.
- Frau wurde leicht verletzt - 26. September 2010.