Pardon oder merci beaucoup?

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Von Christian Schaack 

Als Tochter des französischen Sänger/Songwriters Serge Gainsbourg und der englischen Sängerin/Schauspielerin Jane Birkin wurde die kleine Charlotte von klein an intensiv in Sachen Musik geprägt. Nichtdestotrotz ist ihr Name vielleicht eher in Schauspielerkreisen weltweit ein echter Begriff. In der Zwischenzeit hat die 46-Jährige seit 1986 bereits fünf Studioalben produziert. So verweilte die mittlerweile auch als Sängerin anerkannte Künstlerin hierzulande, um ihr aktuelles Opus „Rest“ vorzustellen.

Vor gut besuchtem Raum tut sich zuerst eine Art Dan-Flavin-Dekor als Bühnenbild auf. Mit schwarz-weißen Neon-Rechtecken werden horizontale und vertikale Akzente gesetzt. Diese futuristisch anmutende Struktur erschafft puristische Formen. Um die Zuschauer einzustimmen, tritt die Vorband Sons of Raphael pünktlich auf. Mit poppigem Elektrosound schaffen die Brüder Ronnel und Loral teilweise rockig anmutende Schwerpunkte. Mit frischen Rhythmen und schnörkelloser Energie entsprechen die aus London stammenden Raphaels wahrhaftig der Prophezeiung, wohl „the next big thing“ jenseits des Ärmelkanals zu werden. Also eine Band, deren Name man sich wahrscheinlich besser merken sollte …

Mit schlicht geometrischer Lightshow und dominant dunklem Ambiente nimmt daraufhin Charlotte das Heft in die Hand. In dunklem Licht gebadet, versteckt sich die Sängerin vorerst schüchtern hinter ihrem Yamaha-Synthesizer. Im ewigen Teenagerlook von Mama Birkin, sprich weißes T-Shirt mitsamt blauer Jeansjacke und -hose, lässt die Künstlerin den Song „Lying with You“ erklingen. Die Elektro-Beats tragen den Rhythmus dieser subtilen Kompositionen, die mit flüsternder Stimme vorgetragen wird. Überhaupt gibt es quer durch den Abend zarte Ansprachen, die eine äußerst empfindsame Natur erahnen lassen. Erklärt wird zudem, dass auf dem aktuellen Album alle Songs von Charlotte selbst geschrieben wurden … bis auf die Lyrics von „Songbird in a Cage“. Diese schrieb Sir Paul McCartney himself, excusez du peu!

Ruhe vor dem Sturm

Die Show gebärt sich in Retro-Synthesizer-Klängen. Letztere huldigen der Neuen Deutschen Welle genauso wie der englischen New Wave. Mit hüpfenden Noten wird mal Vangelis, mal Jean-Michel Jarre oder auch noch neben Tangerine Dream ein John Carpenter erwägt. Drumcomputer erzeugen Filmmusikpassagen, ein Vibrato-Synthesizer haucht mal laute, mal stille Klänge, sodass eine Mischung von aktualisierten Originalsounds aus den 80er Jahren entsteht. Doch nie wird kopiert. In der Tat gestalten die Musiker raffiniert melodische Stimmungen, die mit ausschweifenden Abschnitten teils Kinderlied ähnliche Ohrwürmer erzeugen oder menschlich berührende Elektrowelten erschaffen. Zügig prescht der Elektrozug weiter. Anhand von kindlichen Xylofon-Notenschlägen hämmert die Rhythmik hauchend voran, nachdem ein Synthesizer-Intro bereits träumerisch scheppernd den Beat angedeutet hatte.

Alle Songs werden durchgehend geschickt eingeleitet oder aufgebaut. Rastmomente punktieren den anschmiegsamen Gesang, ehe die sinnlich flüsternde Stimme sanft mit patschendem Beat übertönt wird. Der Synthesizer rollt bergauf, dazu passt der Schlagzeuger mit leichten Variationen und schon klingt alles wie aus einem Guss. In einer Ruhe vor dem Sturm hält die Sängerin die Luft an, bevor die Noten energisch loshüpfen. Schwingend kurven die Akkorde durch den Saal, um eine bevorstehende Explosion vorzubereiten. Fast jeder Song kennt so seinen eigenen Höhepunkt, der je nachdem mehr oder weniger mächtig ausfällt.

Echte Zuneigung

Leise Töne punktieren intime Momente. Begeisternd wird der Aufbau gestaffelt, gesteigert oder moduliert. Jetzt wo die Stimme die hellsten Töne auf der Tonleiter erklimmt, zeigen die Zuschauer echte Zuneigung. Sie mögen die Künstlerin auf spürbare Weise, sodass Charlotte eine Art Heimspiel genießen kann. Danach erklärt die Sängerin, dass der Song „Kate“ von ihrer verstorbenen Schwester handelt, die sich im Jahre 2013 selbst umbrachte. Weiterhin erläutert die Sängerin, dass „Rest“ ihrer Familie gewidmet sei. Dies belege, wie wichtig das Album ihr sei. Perfekt passend folgt darauf „Charlotte for Ever“, ein Gainsbourg-Vater-Tochter-Song wie aus dem Bilderbuch. In ihren Lyrics thematisiert die Autorin auf aggressive oder anprangernde Weise Leid, Tod und Alkoholsucht. Das Ganze auf hohem Niveau.

So plätschert der Song „Rest“ wieder mit kindlichen und hypnotisch repetitiven Akkorden friedlich dahin. „Heaven Can Wait“ ertönt wieder raumgreifender und verweilt, obschon sehr knapp, ansprechend aufgebaut. Der dynamisch poppige Song „Les Oxalis“ wird in Manier von Vater Serge vorgeflüstert, währenddem die Melodie spiralförmig emporsteigt, um sich leichtfüßig in die Ohren zu bohren. Doch oh Schreck, nach 50 Minuten gehen die Musiker bereits ein erstes Mal von der Bühne! Das Publikum fordert darauf hin minutenlang auf intensive Weise eine Zugabe. Zwei Songs später ist das Konzert nach sage und schreibe 58 Minuten Gesamtdauer passé!

Ohne Phantasie

Also dies ist ein faustdicker Schlag ins Gesicht der Fans. Nur insgesamt 15 Songs vorzutragen ist geizig und bleibt eine Zumutung. Mit keinem Wort werden die Musiker vorgestellt und 80% der Show stammen vom letzten Album. Fast nichts aus den vier weiteren Alben. Einige Songs waren in ihrer Liveversion kürzer als drei Minuten … also kürzer als ein mageres Radioformat! Ein 68-jähriger Bruce Springsteen schafft noch heute Konzerte, die drei Stunden dauern. Zudem macht er sich einen besonderen Spaß daraus, die Playlist bei jedem Auftritt zu erneuern. Madame Gainsbourg klebt hingegen vier Spickzettel mit Lyrics auf ihr Klavier und zeigt keine Phantasie in puncto Songfolge. Mit einer peinlichen Länge von 58 Minuten ist Sendeschluss? Respektloser geht es nicht! Talent alleine reicht definitiv nicht aus, um Klasse, pardon, um Würde zu zeigen. N’est-ce pas Madame Gainsbourg?!

Stollentroll
29. März 2018 - 21.41

Nichts dagegen, dass sie das Konzert zu kurz fanden. Aber man sollte schon bei der Wahrheit bleiben. Es waren 75 Minuten, nicht 58.